Politik

Ulrich Chaussy hat sich jahrelang mit dem Attentat beschäftigt. (Foto: Dominik Baur)

17.07.2019

"Wer kann da noch an Schlamperei glauben?"

Autor Ulrich Chaussy über den möglicherweise bald anstehenden Abschluss der Ermittlungen zum Oktoberfestattentat und seine Furcht vor den Folgen

Die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat stehen dem Vernehmen nach kurz vor dem Ende. Ulrich Chaussy recherchiert seit 37 Jahren die Hintergründe des schwersten Terrorakts in der Bundesrepublik und hat zahlreiche Fehler und Versäumnisse der Behörden aufgedeckt. Sollte es jetzt zu einer Einstellung kommen, findet der Reporter, wäre das ein neuer Skandal.

BSZ: Herr Chaussy, es ist eines dieser Daten, von dem viele noch genau sagen können, wo sie waren. Wo waren Sie am Abend des 26. September 1980?
Ulrich Chaussy: Auf dem Dach eines Rucksackhotels in Athen. Dass auf dem Oktoberfest eine Bombe hochgegangen ist, habe ich am nächsten Tag von anderen Gästen des Hotels erfahren. Ich selbst habe erst viel später begonnen, mich mit dem Thema zu beschäftigen.

BSZ: Wie kam das?
Chaussy: Das war am Ende der ersten Ermittlungen, also im November 1982. Da habe ich für den Bayerischen Rundfunk den Opferanwalt Werner Dietrich interviewt. Bei dem Gespräch bin ich zum ersten Mal auf die Widersprüche aufmerksam geworden, die es zu dem Ermittlungsergebnis gab.

BSZ: Ihnen wurde dann ein Teil der Ermittlungsakten zugespielt.
Chaussy: Das stimmt. Anhand dieser Akten und meiner eigenen Nachrecherchen bei den Zeugen konnte ich überprüfen, was die damals eigentlich untersucht haben – und was offenkundig nicht interessierte, nicht weiterverfolgt und unter den Teppich gekehrt wurde.

BSZ: Der Abschlussbericht der ersten Ermittlungen kam ja zu dem Schluss, dass der 21-jährige Gundolf Köhler die Tat allein begangen hat. Sie haben das früh bezweifelt.
Chaussy: Nicht nur ich. Der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann selbst äußerte zu Beginn, er gehe nicht von einer Einzeltat aus. Aber bald wurde die Einzeltätertheorie von der SoKo Theresienwiese des bayerischen Landeskriminalamts durch dessen „Schlussvermerk“ im Mai 1981 installiert. Seit der Veröffentlichung auch des Schlussberichts des Generalbundesanwalts im November 1982 glaubte außer den Ermittlern kein Mensch, der die Berichte gelesen hatte, mehr daran, dass Gundolf Köhler, der Geologie-Student aus Donaueschingen, diese Tat sich alleine ausgedacht, sie alleine vorbereitet und ausgeführt hat. Es gibt etliche Zeugenaussagen, die darauf hinweisen, dass es Konflikte zwischen Köhler und den Leuten gegeben hat, mit denen er zuletzt gemeinsam gesehen wurde. Der Hauptzeuge Frank Lauterjung hat 20 Minuten lang ein Gespräch Köhlers mit zwei Männern beobachtet. Ein anderer Zeuge hat kurz vor der Explosion gesehen, wie Köhler mit den Insassen eines am Straßenrand haltenden Autos gestritten hat.

BSZ: Was bezweckten der oder die Täter?
Chaussy: Das wissen wir nicht. Wenn wir ehrlich sind: Wir wissen fast gar nichts über diesen Anschlag. Der zweite der beiden Zeugen hat zum Beispiel auch gesehen, wie Köhler diese Bombe ganz vorsichtig in einen Mülleimer legte. Eine andere Zeugin erinnert sich daran, wie eine weitere Person an diesem Mülleimer noch mit Köhler an der hellen Tüte zerrte, in der die Bombe war. Diese Person hat sie dann noch im Schein der Stichflamme weglaufen sehen. Es ist also auch völlig unklar, ob diese Bombe wirklich an diesem Ort in dieser Form hat explodieren sollen. Ein paar hundert Meter weiter wäre Gelegenheit gewesen für einen konventionellen terroristischen Anschlag. Im Käfer-Zelt war politische Prominenz, Sportprominenz, alles versammelt.

BSZ: Lässt denn der Zündungsmechanismus vermuten, dass Köhler tatsächlich ein Selbstmordattentäter war? Oder hatte er vielleicht geplant, sich noch vor der Detonation in Sicherheit zu bringen?
Chaussy: Die genaue Zündungsmethode der Bombe ist unbekannt. Allerdings weiß man, dass der Sprengsatz sehr kompliziert war. Ein damals hinzugezogener Sprengstoffexperte des BKA hat mir 2014 gesagt, dass Köhler mit den Kenntnissen, die man bei ihm annehmen konnte, diese Bombe nicht gebaut haben konnte.

BSZ: Köhler war Sympathisant der Wehrsportgruppe Hoffmann, an seiner rechten Gesinnung zweifelte niemand. Trotzdem sahen die Ermittler dann sein Motiv im privaten Bereich.
Chaussy: Er soll wegen einer Nachricht über eine Prüfung, durch die er gefallen ist und die er hätte wiederholen können, nach München gefahren sein, um sich in die Luft zu sprengen. Weil er noch dazu sexuell frustriert und sozial isoliert gewesen sei und keine Zukunftsperspektive gehabt habe.

BSZ: Wer sagt das?
Chaussy: Dieses Psychogramm der Ermittler basiert auf der Aussage eines einzigen Belastungszeugen. Übrigens eines Zeugen, der die Behörden erst wochenlang belogen und bestritten hat, dass er einer der engsten Freunde Köhlers war. Erst als man darauf gekommen ist, dass das nicht stimmen kann, hat er dann diese Geschichte ausgepackt, die die Ermittler eins zu eins übernommen haben. Kontrafaktische Indizien wurden überhaupt nicht berücksichtigt – etwa, dass sich dieser Köhler völlig anders verhalten hat, dass er ein paar Wochen vorher eine Anzeige aufgegeben hat, um als Schlagzeuger in einer Band zu spielen, tatsächlich Mitspieler gefunden und mit ihnen zweimal die Woche geprobt hat oder dass er die Hälfte seines Ferienlohns in einen Bausparvertrag gesteckt hat. Es ist so grotesk.

„Die CSU hatte 1980 kurz vor der Bundestagswahl kein Interesse an Turbulenzen“

BSZ: Warum wurde die Spur zur Wehrsportgruppe Hoffmann nicht weiterverfolgt?
Chaussy: Da hilft es, einen Blick auf den politischen Kontext zu werfen: Bis zur Bundestagswahl waren es gerade noch neun Tage, Kanzlerkandidat der Union war Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der nach dem Anschlag sofort auf Bundesinnenminister Gerhart Baum einschlug und ihm vorwarf, moralische Schuld auf sich geladen zu haben, weil er die Sicherheitsdienste mit seinem Bürgerrechtsgerede so verunsichert habe, dass die sich nicht mehr trauten, radikalen Gruppen den Puls zu fühlen. Wenn jetzt herausgekommen wäre, dass ausgerechnet die Wehrsportgruppe Hoffmann mit dem Anschlag zu tun haben könnte, wäre das für die CSU der politische GAU gewesen. Schließlich war es Baum, der die Gruppe am 30. Januar 1980 verboten hatte, und es war Strauß, der sie jahrelang hat groß werden lassen und sich sogar noch über die Verbotsaktion lustig gemacht hatte: Man solle einen Mann, der sonntags auf dem Land im Kampfanzug spazieren gehe, in Ruhe lassen.

BSZ: Die Fehler bei den Ermittlungen waren also nicht nur Schlamperei?
Chaussy: Da gibt es genug, was unter Schlamperei nicht mehr zu rubrizieren ist. Da wäre zum Beispiel die Geschichte mit der schnittartig abgetrennten, nicht verkohlten Hand, die in der Nacht der Tat erst von einem Polizisten entdeckt wurde, der außerhalb des eigentlichen Suchkreises den Verkehr leitete. Der delegierte die Bergung der Hand an einen Kollegen, und sie wurde nachweislich noch in der Gerichtsmedizin untersucht, doch nach ein paar Tagen war sie verschwunden. Im „Schlussvermerk“ des LKA wurde sie als „Hand des Täters“ bezeichnet. Aber das LKA liefert sie nicht in der Auswahl der 501 wichtigsten Asservate an die Bundesanwaltschaft nach Karlsruhe. Und auch im Archiv des gerichtsmedizinischen Instituts ist das dazugehörige Gutachten verschwunden. Wer kann da noch an Schlamperei glauben?

BSZ: Was ist denn so interessant an gerade dieser Hand?
Chaussy: Laut Gutachten konnte man die Hand keinem der bekannten Opfer des Anschlages zuordnen. Ohnehin gab es außer Köhler niemanden mit abgerissenen Händen, und zu Köhler passte die Hand serologisch nicht. Zudem hätte man nach Auffassung der Sprengstoffexperten von Köhlers Händen, die den Bombenkörper im Augenblick der Detonation umfassten, höchstens ein paar verkohlte Knochenfragmente finden können. Wem also gehörte diese Hand?

BSZ: Wie steht es um die anderen Asservate? Bei 501 Gegenständen könnte ja etwas dabei sein, was mittels heutiger DNA-Analyse neue Erkenntnisse bringt.
Chaussy: Das ist ja das Nächste: Ich habe die Bundesanwaltschaft um die Untersuchung dieser Asservate gebeten. Da kam die Antwort, dass diese zwischenzeitlich vernichtet worden seien.

BSZ: 2014 hat der damalige Generalbundesanwalt Harald Range die Ermittlungen wieder aufgenommen.
Chaussy: Das war wirklich eine große Überraschung. Da hat sicher auch das Auffliegen des NSU im Jahr 2011 eine Rolle gespielt.

BSZ: Inwiefern?
Chaussy: Es gab da schon eine Parallelität der Fälle. Das Oktoberfestattentat war ja ein Beispiel dafür, wie die Behörden mit terroristischen Gewaltverbrechen umgehen, die von rechts kommen könnten. In Karlsruhe hat man mir dann auch bedeutet, dass die Wiederaufnahme auch damit zu tun hat, dass die Justiz um Vertrauen ringt, das durch die NSU-Geschichte deutlich erschüttert worden war.

BSZ: Jetzt, so berichtete jüngst die Süddeutsche Zeitung, sollen die Ermittlungen aber ohne relevante neue Erkenntnisse kurz vor dem Abschluss stehen.

Chaussy: Zumindest will die Sonderkommission des LKA den Eindruck erwecken, dass da nichts mehr zu holen sei. Aber ich hoffe, dass der Generalbundesanwalt darauf achtet, dass er sich nicht noch einmal wie in den Achtzigern von einer SoKo des bayerischen LKA manipulieren lässt. Es sind noch große Teile des Ermittlungsauftrags überhaupt nicht abgearbeitet. Zum Beispiel sollen jetzt erstmals auch westdeutsche Geheimdienstakten gesichtet werden. Die Sache ist für mich offen. Sollte sie jetzt geschlossen werden, haben wir einen neuen Skandal.

BSZ: Erwarten Sie sich denn noch etwas von den Ermittlungen?
Chaussy: Ich weiß zu wenig über den Stand der Ermittlungen. Aber ich bin pessimistisch, dass die SoKo in München die damals geführte Ermittlung tatsächlich kritisch durchleuchten könnte. Mir hat der damalige Leiter der Soko gesagt: „Wir sind nicht für Vergangenheitsbewältigung da.“ Dabei wäre es aus meiner Sicht ein möglicher Schlüssel zur Aufklärung der Tat, wenn man die Aktivitäten und Unterlassungen der ursprünglichen Ermittler mal gründlich beleuchten würde: Wer hat da was und warum gemacht beziehungsweise unterlassen? Ich bin sicher, das würde uns weiterhelfen. Aber das scheint nicht gewollt zu sein. (Interview: Dominik Baur)

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