Politik

Übernehmen die Parteispitze kommissarisch: Thorsten Schäfer-Gümbel, Manuela Schwesig und Malu Dreyer (von links). (Foto: Revierfoto/Revierfoto/dpa)

04.06.2019

Wer kann den freien Fall der SPD stoppen?

Bisher gibt es nur Absagen für die Nachfolge der gescheiterten Andrea Nahles. Die Union schaut machtlos zu, wie die GroKo weiter wackelt

Nach dem Rückzug von Andrea Nahles von der SPD-Spitze zeichnet sich kein rascher Ausweg aus der Koalitionskrise ab. Der SPD-Vorstand entschied am Montag in Berlin, dass die drei Vize-Vorsitzenden Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel die krisengeplagte Partei kommissarisch führen. Wie schon Vizekanzler Olaf Scholz erklärten die drei aber, nicht für den Vorsitz zur Verfügung zu stehen. Vor allem der Verzicht von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig gilt als Überraschung. In drei Wochen will die SPD bei einer Vorstandssitzung klären, wann und wie der Parteivorsitz neu besetzt werden soll.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Dreyer erklärte, die SPD stehe auch nach der Talfahrt bei der Europawahl und dem Rücktritt von Nahles vorläufig treu zur großen Koalition mit der Union. "Wir haben uns nach einem Mitgliedervotum entschieden, in die große Koalition einzugehen, und wir sind vertragstreu", sagte sie in Berlin. Jedoch wolle die SPD-Führung am 24. Juni darüber entscheiden, unter welchen Bedingungen sie das Bündnis über 2019 hinaus fortsetzen und wann genau sie ihre Halbzeitbilanz ziehen wolle.

Außenminister Heiko Maas (SPD) schlug vor, eine Doppelspitze wie bei den Grünen einzurichten und diese per Urwahl zu küren. Finanzminister Scholz sieht keine Eile. "Es wird sich schon fügen, und wir wollen uns dafür Zeit nehmen", sagte er im ZDF. An der Entscheidung über den Parteivorsitz sollten möglichst viele beteiligt werden. "Wir wollen auch darüber diskutieren, ob es ein Team aus zwei Leuten zum Beispiel sein könnte und wie wir die Entscheidung treffen."

Groko auf der Kippe: Union bereitet sich vor

Beim Koalitionspartner stieß die Entscheidung für eine kommissarische Dreier-Führung auf Unverständnis. "Ein Trio? Und wer ist jetzt der verbindliche Ansprechpartner, wer führt?", fragte CDU-Vize Julia Klöckner auf Twitter. Die Spitzen von CDU und CSU machten zudem deutlich, dass sie auch auf einen plötzlichen Auszug der SPD aus der großen Koalition vorbereitet seien.

Die CDU fühle sich der Stabilität verpflichtet, sagte die Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nach einer Führungsklausur in Berlin. Aber: "Für alles, was kommt oder nicht kommt, können Sie davon ausgehen, dass die CDU vorbereitet ist", sagte die CDU-Chefin auf die Frage, ob sie sich bereit fühle, bei einem Ausscheiden der SPD Kanzlerkandidatin oder Kanzlerin zu werden.

Auch bei der CSU werden die Zweifel an der großen Koalition offensichtlich größer. Zwar sagte Parteichef Markus Söder nach einem Auftritt bei der Konferenz der Unionsfraktionschefs von CDU und CSU in Weimar, die CSU wolle eine gute, starke Regierung. Aber eine große Koalition dürfe auch kein Selbstzweck sein, sondern müsse "eine inhaltliche Erzählung" bereithalten. "Das Motiv darf eben nicht sein: Man regiert, weil man Angst hat, sich dem Wähler zu stellen."

Söder: Wir geben der SPD keinen Rabatt

Der CSU-Chef betonte, dass es für die SPD von der Union keinen Rabatt gebe. "Es wird jetzt keiner in der Union auf die Idee kommen, aufgrund der Situation der SPD jeden Tag nur entgegenzukommen." Kramp-Karrenbauer bekräftigte ebenso wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass es eine Grundrente nur mit Bedürftigkeitsprüfung geben könne, anders als die SPD es will. "Wir stehen zu dem, was im Koalitionsvertrag vereinbart ist", sagte Kramp-Karrenbauer.

Die neue SPD-Spitze bestritt, dass die Partei nach dem Rücktritt von Nahles gelähmt sei. Schäfer-Gümbel sagte, die SPD habe schon oft bewiesen, dass sie auch in schwierigen Situationen handlungsfähig sei. "Und das sind wir auch derzeit." Schwesig sagte zu ihrem Verzicht auf eine Kandidatur für den Vorsitz, ihr Platz sei in Mecklenburg-Vorpommern. Dies habe sie so für sich entschieden.

Dreyer sagte, es sei für sie schon lange klar, dass sie als Ministerpräsidentin bei der nächsten Wahl in Rheinland-Pfalz wieder antreten wolle. Deshalb habe sie ausgeschlossen, neue SPD-Chefin zu werden. Schäfer-Gümbel will sich im Herbst aus der Politik zurückziehen - er wechselt als Arbeitsdirektor zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

Kommt jetzt eine Doppelspitze?

"Es ist für uns wirklich ein einschneidender Tag", sagte Dreyer. Die SPD sei nach Nahles' Rücktritt aber nicht kopflos und auch nicht führungslos. Wann über den Vorsitz und die Fortsetzung der großen Koalition entschieden wird, ist noch nicht klar. Ob der für Dezember vorgesehene Wahl-Parteitag vorgezogen werde, sei noch nicht entschieden, sagte Schäfer-Gümbel.

Nahles war am Vormittag im Parteivorstand offiziell zurückgetreten. Die ehemalige Vorsitzende verließ das Willy-Brandt-Haus bereits nach einer Dreiviertelstunde: "Machen Sie's gut", sagte sie vor Journalisten. An diesem Dienstag will Nahles auch in der SPD-Fraktion offiziell zurücktreten. Hier soll es ebenfalls eine kommissarische Lösung geben: mit Vize-Fraktionschef Rolf Mützenich aus Köln.

Neben Maas sprachen sich auch Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und der sächsische Wirtschaftsminister Martin Dulig für eine Doppelspitze aus. "Das ist etwas, womit die anderen offensichtlich ganz gut arbeiten können", sagte Müller etwa mit Blick auf die Grünen. Maas plädierte zugleich für eine Urwahl, also eine Abstimmung sämtlicher SPD-Mitglieder. "Die Zeit der Hinterzimmer muss endlich vorbei sein." Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil nannte dies einen "sehr berechtigten Wunsch von vielen Mitgliedern".

Bei der CDU-Klausur wurde auch das Europawahl-Desaster der CDU erörtert. Die Parteispitze habe deutlich gemacht, dass sie hinter ihrer Vorsitzenden stehe und geschlossen bereit sei, weiter Regierungsverantwortung für Deutschland zu übernehmen, sagte Kramp-Karrenbauer. Sie will ihre Partei mit einem Bündel verschiedener Themen aus dem Umfragekeller führen. Dazu gehören die Bereiche Digitalisierung, Innovationen, Klima und Umwelt, Mobilität sowie gleichwertige Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land. Bis zum Parteitag im November wolle die CDU eine eigene Digitalcharta erarbeiten.
(dpa)

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