BSZ: Herr Brandl, die Regierung von Oberbayern wollte ein Haus für 80 anerkannte Flüchtlinge in der Schrobenhausener Innenstadt anmieten, ohne den Bürgermeister oder den Landrat vorher darüber zu informieren. Der Protest war groß. Sieht so das normale Vorgehen einer Behörde in der Flüchtlingskrise aus?
Uwe Brandl: Leider Gottes gehen in Anbetracht der immer schwieriger werdenden Unterbringungssituation sowohl einige Regierungen als auch einige Landräte dazu über, ohne Rücksprache mit den jeweiligen Kommunen einfach anzumieten, was der Markt gerade hergibt. Und da sind einige Heuschrecken unterwegs, die sich das vom Staat auch noch teuer bezahlen lassen.
BSZ: Was stört Sie beim Thema Unterbringung am meisten?
Brandl: Momentan erleben wir, dass die Standorte, die sich in der ersten Phase 2016/17 sehr intensiv bemüht haben, bei der Folgeunterbringung alleingelassen werden. Jeder, der ein Bleiberecht hat, ist unterzubringen, wenn er zum Beispiel die Familie holt. Und die Familie kann man mittlerweile auch ohne nachgewiesenen Wohnraum und ohne Arbeit nachholen – mit riesigen finanziellen Folgen und mit Riesenfolgen für die Infrastruktur.
BSZ: Wem werfen Sie das vor?
Brandl: Das ist in erster Linie an die Adresse des Bundes gerichtet, weil der letztendlich dafür sorgen müsste, dass die Strukturen belastbar zur Verfügung stehen.
BSZ: In Schrobenhausen revidierte die Regierung von Oberbayern ihre Entscheidung – nachdem der Landrat in einem Brandbrief angekündigt hatte, keine Flüchtlinge mehr aufnehmen zu wollen.
Brandl: Die spannende Frage ist: Wäre das auch passiert, wenn sich ein Bürgermeister in ähnlicher Weise artikuliert hätte? Die Landräte haben da eine gewisse Sonderstellung, weil sie ja gleichzeitig Staatsbeamte und kommunale Beamte sind. Da hört man vielleicht etwas genauer hin.
BSZ: Was sollte sich ändern?
Brandl: Ich wünsche mir einfach mehr Transparenz. Die Tatsache, dass viele Landkreise und Bezirke nicht bereit sind, die tatsächlichen Unterbringungszahlen in den jeweiligen Kommunen offenzulegen, halte ich für grenzwertig. Unabhängig vom jeweiligen Anerkennungsstatus muss man einfach eine gewisse Relation zwischen der einheimischen Bevölkerung und denjenigen, die auf der Flucht sind, einhalten, weil man sonst den Frieden in einer Gemeinschaft ganz schnell gefährden kann. Und Schrobenhausen hat eindeutig unter Beweis gestellt, dass das sehr, sehr schnell gehen kann.
BSZ: Es gibt einen Schlüssel für die Unterbringung von Flüchtlingen in jedem Landkreis. Aber gibt es auch Höchstzahlen für einzelne Viertel?
Brandl: Nein. Aber es gibt Annäherungswerte, auch wenn die nie verbindlich festgelegt worden sind. Bei der Verteilung sollte man den sogenannten Königsteiner Schlüssel anwenden, nach dem auch die Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer je nach Steueraufkommen und Bevölkerungszahl berechnet wird. Es gibt natürlich auch Standorte, die kaum infrage kommen, weil sie über keine Anbindung an den ÖPNV oder über keine Volkshochschule verfügen.
BSZ: Gibt es denn auch Zonen, in denen rechtlich keine Unterbringung von Flüchtlingen möglich ist, etwa neben Kindergärten oder Schulen?
Brandl: Davon habe ich noch nichts gehört. Das wäre auch übel, denn dann müsste man davon ausgehen, dass von diesen Einrichtungen eine besondere Gefahr ausgeht.
BSZ: Davon gehen Sie nicht aus?
Brandl: Nein. Die Menschen sind so unterschiedlich sozialisiert. Man kann ja nicht durch Handumdrehen sehen, ob jemand zu den Guten oder den Bösen gehört.
BSZ: Könnte denn eine Kommune irgendwo eine Ansiedlung verhindern?
Brandl: Nein. Die meisten Unterbringungen werden zwischen Staat und Privateigentümern verhandelt, da haben Kommunen keinen Einfluss. Sie können natürlich sagen: Liebes Landratsamt, bitte achte darauf, dass auch unsere Unterbringungsmöglichkeiten im Bereich der Kitas, der Schulen und der Erwachsenensprachförderung begrenzt sind. Und richte dich bei der Verteilung der Flüchtlinge danach, dass wir leisten können, was an Integrationsarbeit nötig ist.
BSZ: Wie sieht es bei den Bürger*innen aus: Könnten die etwa mit einem Bürgerbegehren die Anmietung einer Unterkunft verhindern?
Brandl: Das können sie an denjenigen adressieren, der für die Unterbringung zuständig ist, etwa den Landkreis. Aber sie können kein Bürgerbegehren gegen einen Privateigentümer initiieren. Anders wäre es, wenn der Baurecht bräuchte, um etwa aus einer Gastwirtschaft eine Asylunterkunft zu machen. Dann hätten sie die Möglichkeit, dagegen vorzugehen. Aber es kann auch nicht sein, dass diejenigen, die sich renitent gegen irgendwelche Unterbringungen wenden, auch noch Recht bekommen. Es ist das solidarische Verhalten aller gefordert. Da sind auch die politischen Instanzen eingeschlossen. Die müssen dafür sorgen, dass keine Überforderung des Landes und der Gesellschaft eintritt.
BSZ: Wie zufrieden sind Sie mit den zuletzt beschlossenen Maßnahmen des Bundes, etwa einer schnelleren Rückführung von abgelehnten oder illegal eingereisten Flüchtlingen?
Brandl: Das Thema Rückführung funktioniert doch schon aus praktischen Gründen nicht wie gewünscht: Wer keinen Pass hat, der kann nicht abgeschoben werden. Dem muss man erst mal nachweisen, wo er herkommt – und dann ist die Frage, ob ihn das Entsendeland überhaupt wieder zurücknimmt.
BSZ: Was fordern Sie stattdessen?
Brandl: Wir müssen drastisch an die Leistungsrechte ran. Das geht bei den Sozialhilfeleistungen los und weiter bei den Geldleistungen. Nur wenn wir das hinkriegen und uns einigermaßen an einem europäischen Durchschnittsstandard orientieren, werden wir unter Umständen nicht mehr diese Zahlen erleben wie jetzt gerade. Dazu bräuchte es aber grundgesetzliche Veränderungen, für die ich momentan leider Gottes keine verfassungsmäßige Mehrheit sehe. Doch es braucht jetzt ein rasches Agieren, weil uns sonst droht, die gesellschaftliche Akzeptanz zu verlieren. Und ich mag nicht daran denken, zu was für erdbebenartigen Verwerfungen das dann in der Politik führen kann.
BSZ: Wie aufnahmefähig sind Bayerns Kommunen denn noch?
Brandl: Es gibt Kommunen, in denen die Toleranzschwelle sehr viel höher ist, und es gibt Kommunen, die jetzt schon aus dem letzten Loch pfeifen, auch weil sie ihr Soll schon übererfüllt haben. Momentan ballt es sich viel in den größeren Kommunen, weil die von der Infrastruktur her ein bisschen leistungsfähiger sind. Aber auch da warne ich davor, sie als unbegrenzt leistungsfähig einzuordnen. Das werden sie nicht sein.
BSZ: Wann sind aus Ihrer Sicht die Grenzen der Belastbarkeit erreicht?
Brandl: Wir sind jetzt an einer Grenze angelangt, bei der wir in ganz Deutschland dringend dafür sorgen müssen, dass dieser Zustrom an Menschen, so bedauerlich deren Schicksal auch sein mag, in erträglichen Grenzen gehalten wird. Und da sind wir momentan drüber. Wir haben nicht unbeschränkt Sozialpädagogen und Betreuer zur Verfügung. Und volkswirtschaftlich werden wir uns das auf Dauer auch nicht leisten können, permanent einen hohen Anteil zu subventionieren. Das wird auch zu mehr Unzufriedenheit in der Bevölkerung führen.
BSZ: Ein Leitantrag für den CSU-Parteitag am Wochenende sieht ja die Reduzierung der Asylanträge für ganz Deutschland von jetzt über 300.000 auf weit unter 100.000 vor. Halten Sie das für realistisch?
Brandl: Ich halte den Ansatz grundsätzlich für richtig. Ich hielte es auch für richtig, europäisch noch deutlich mehr in Sachen gemeinsames Asylleistungsrecht zu unternehmen. Ich glaube, dass die aktuelle politische Gesamtkonstellation aber auch dazu führen kann, dass vieles jetzt in den Äther geblasen wird, was man später nicht halten kann. (Interview: Thorsten Stark)
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