Politik

Der Klimawandel ist längst in Bayern angekommen. Das Bild stammt nicht aus Afrika, sondern aus Hammelburg in Unterfranken. (Foto: dpa/Hildenbrand)

17.03.2023

„Wir müssen uns für die nächste Hitzewelle wappnen“

Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann über Hitzeschutzpläne, eine gesündere Lebensweise als Prävention für den Klimawandel und ihren neuen Nebenjob

Schon länger warnt Claudia Traidl-Hoffmann (53) vor den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels. Im Februar ernannte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sie zur Sonderbeauftragten für Klimaresilienz und Prävention. Im Gespräch erklärt sie, was sie da tut und warum Handeln dringend geboten ist. 

BSZ: Frau Traidl-Hoffmann, was macht eine Sonderbeauftragte des Gesundheitsministers für Klimaresilienz und Prävention?
Claudia Traidl-Hoffmann: Viel. Weil es viel zu tun gibt. Wir haben den Bereich Klimawandel und Gesundheit in den letzten Jahren wenig bis gar nicht betrachtet. Auch weil gar nicht im Bewusstsein war, dass der Klimawandel für unsere Gesundheit Folgen hat. Man dachte: Die Wälder sterben, der Eisbär verliert seine Lebensgrundlage, in fernen Ländern steigt der Meeresspiegel. Aber dass der Klimawandel auch in Bayern Auswirkungen auf unsere Gesundheit und unsere Lebensgrundlage weltweit hat, das ist überhaupt nicht transportiert worden. 

BSZ: Und was tun Sie dagegen?
Traidl-Hoffmann: Ich unterstütze den Minister und das Ministerium wissenschaftlich und liefere die wissenschaftlichen Grundlagen zum Thema Klimawandel und Gesundheit. Zudem geht es darum, den Freistaat an die Folgen des Klimawandels anzupassen, also Maßnahmen für die Klimaresilienz zu entwickeln. Ganz oben steht der Hitzeschutz, weil die Hitze die größte Gesundheitsgefahr darstellt. Es braucht konkrete Pläne für Städte und Kommunen, in Pflegeheimen und in den Krankenhäusern. Mein Vorschlag sind Hitzeschutzbeauftragte in Krankenhäusern, wie es auch überall Hygieneschutzbeauftragte gibt. Sektorübergreifende Maßnahmen müssen ergriffen werden, damit wir für die nächste Hitzewelle gewappnet sind – und die kommt!

BSZ: Wie unabhängig können Sie in Ihrer Funktion agieren?
Traidl-Hoffmann: Meine Funktion ist beratend, unabhängig. Minister Holetschek hat mich wegen meiner Fähigkeit der Außenansicht zur Sonderbeauftragten ernannt. Ich bin davon überzeugt, dass er mich deswegen ausgewählt hat, weil er weiß, dass ich mich weiter kritisch und getrieben durch wissenschaftliche Evidenz äußere und der Politik einen Spiegel vorhalten werde. Im Hauptamt bin ich weiterhin Universitätsprofessorin und Chefärztin für Umweltmedizin. Da bin ich auch weiter unabhängig.

BSZ: Die Staatsregierung hat auch den Aufbau eines Kompetenzzentrums für Gesundheitsschutz und Klimawandel bekannt gegeben. Dafür sollen bis 2025 insgesamt 400 000 Euro zur Verfügung gestellt werden.Ganz schön wenig Geld.
Traidl-Hoffmann: Es handelt sich dabei wohl vor allem um Personalmittel. Förderungen von Projekten kommen noch obendrauf. Und es ist mehr, als von Bundesseite kommt. Aber Sie haben schon recht, mehr ist immer besser. Es ist klar: Alles, was wir heute nicht in den Klimaschutz investieren, wird sich morgen rächen. Die Kosten werden so steigen, da ist der Zinseszins lächerlich dagegen.

BSZ: Sie und das Kompetenzzentrum haben nur eine beratende Funktion. Sie sind also von der Kooperationsbereitschaft der Partner, etwa Kommunen, abhängig.
Traidl-Hoffmann: Richtig. Und da kann man sich schon vorstellen, dass man nicht immer auf offene Ohren trifft, weil Kommunen viele Baustellen haben – alle auf Prio eins. Und hier sehe ich auch meine Aufgabe: zu erklären, warum Klimaresilienz und Prävention so wichtig sind. Ich möchte mit medizinischen und wissenschaftlichen Tatsachen überzeugen. Das Bild von gesunden Menschen auf einer gesunden Erde ist ein überzeugendes. Ich bin ja auch im wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderungen. Dort schreiben wir gerade ein Gutachten zum Thema „Gesunde Erde, gesunde Menschen“. Eine Quintessenz ist, dass in der Nachricht „Klimawandel macht krank und nimmt uns die Grundlage für unser Leben auf dieser Erde“ eine sehr große Kraft liegt, und so die Gesellschaft und die Politiker*innen zum Handeln bewegt werden. Klar, es kostet Geld und Manpower. Aber am Ende tut ihr das für die Gesundheit eurer Bürger*innen.

BSZ: Wie gut ist der Freistaat auf den Klimawandel vorbereitet?
Traidl-Hoffmann: Der Freistaat hat genau wie die ganze Nation ganz viel Luft nach oben in Bezug auf die Anpassung an den Klimawandel. Bayern hat allerdings auch viele Besonderheiten. Gerade, was die Trockenheit unserer Böden und Wälder betrifft. Laut Dürremonitor stehen viele Bereiche in Bayern auf Dunkelrot – extreme Dürre. Auch unsere Kurorte haben mit dem Klimawandel zu kämpfen. Wir haben einfach sehr viel zu verlieren in Bayern, weil wir ein wunderschönes Land haben, das vom Klimawandel massiv beeinträchtigt wird. Daher ist es wichtig, eine Vorreiterrolle einzunehmen.

BSZ: Wo gibt es die größten Probleme?
Traidl-Hoffmann: Das gesundheitlich größte Problem ist die Hitze. Auch, weil wir sie bagatellisieren. Ich zitiere den Münchner Merkur von 2022: „Rätselhaft: 20 Schüler erleiden beim Sportfest in Freising einen Kreislaufkollaps.“ Es waren über 35 Grad. Die Kinder sind Langstrecke gelaufen und danach kollabiert. Was ist daran rätselhaft? Auch wenn Sie in Krankenhäusern zur Hitze nachfragen, kommt oft die Aussage: „Nee, ist bei uns kein Problem.“ Deswegen brauchen wir in den Städten städteplanerische Veränderungen. Mehr Grün. Eine Betonwüste macht eine Stadt zur Falle für Hitzeerkrankte und dann auch für Hitzetote. Millionen von Menschen leiden in Deutschland unter Hitze.

BSZ: Erleben Sie das auch bei Ihren Patient*innen?
Traidl-Hoffmann: Ja. Als Allergologin und Dermatologin sehe ich ja hauptsächlich Menschen mit empfindlichen Hauterkrankungen. Meine Patient*innen mit Neurodermitis berichten mir, dass die heißen Tage die schlimmsten Tage im Jahr sind. Wirklich viele sagen: Wenn das so weitergeht, weiß ich nicht, ob ich weiterleben möchte. Zum Glück gibt es die Möglichkeit, sie vernünftig zu therapieren, aber die leiden massiv.

BSZ: Wer sind die Hauptleidtragenden?
Traidl-Hoffmann: Zu den verletzlichen Gruppen gehören insbesondere die Kleinsten und kranke, alte Menschen. Hauptsächlich leiden die Menschen mit Lungenerkrankungen, die können gar nicht mehr atmen. Menschen mit Vorerkrankungen des Herzens und der Nieren sind ebenfalls in Gefahr. Regelmäßig dekompensieren auch Menschen mit mentalen Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer. Bei uns in der Notaufnahme sehen wir aber auch junge, völlig gesunde Leute, die kollabiert zu uns kommen, weil sie stundenlang ohne Kopfbedeckung auf der Straße gearbeitet haben. Gesunde, junge Menschen, die im Extremfall sterben mussten, weil ihre Körpertemperatur bei 43 Grad nicht mehr zu kompensieren war.

BSZ: Wo stehen die Folgen des Klimawandels in einem Ranking der häufigsten Erkrankungen und Todesfälle?
Traidl-Hoffmann: Der Klimawandel mit der Erderwärmung ist nur ein Punkt. In München sind es im Juli 35, fast 40 Grad. Zur Hitze kommen die ganzen Schadstoffe in der Luft. Und dazu die Menschen, die rauchen, zu viel Alkohol trinken, sich wenig bewegen, übergewichtig sind, sich ungesund ernähren. Diese Kombi, das ist das Gefährliche. Nichtübertragbare, umweltbedingte Erkrankungen machen 71 Prozent aller Todesfälle weltweit aus. Doch all diese Krankheiten können wir natürlich wunderbar angehen: durch Prävention. Deswegen habe ich darauf gedrungen, auch Beauftragte für Prävention zu sein. Ich kann mich viel bewegen, mich gesund ernähren, nicht rauchen, wenig Alkohol trinken. All das macht uns dann wieder resilienter für klimawandelbedingte Veränderungen. Wir können das auch weiterspinnen: Wenn die Pandemie eine Gesellschaft vorgefunden hätte, die gesund gewesen wäre, ohne Übergewichtige, ohne Lungenvorgeschädigte, dann wären wir sicher auch besser durch diese Pandemie gekommen. Durch Prävention können wir uns für alle globalen Gesundheitsgefahren wappnen.
(Interview: Thorsten Stark)
 

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