Politik

Bernhard Stiedl hat das, was Gewerkschafter „Stallgeruch“ nennen. Seit 25 Jahren arbeitet er für die IG Metall. (Foto: Wiedemann)

04.02.2022

"Wir vertreten die Interessen von Geimpften und Ungeimpften"

Bayerns neuer DGB-Chef Bernhard Stiedl über die Impfpflichtdebatte, seine Forderungen an Markus Söder und Defizite im Koalitionsvertrag der Bundesregierung

Mit ihm an der Spitze soll der DGB Bayern noch lauter werden, kündigt Bernhard Stiedl an. Nicht nur, was seine Forderungen nach einem Tariftreue- und Vergabegesetz oder einem Weiterbildungsgesetz angeht. Auch bei der Impfpflichtfrage stehen für den 51-Jährigen die Rechte der Beschäftigten im Vordergrund. Ungeimpften den Lohn zu verweigern – das geht in seinen Augen gar nicht.

BSZ: Herr Stiedl, der DGB kämpft mit Mitgliederschwund – verlieren die Menschen das Vertrauen in Gewerkschaften?
Bernhard Stiedl: Nein, der aktuelle Mitgliederverlust ist vor allem der Corona-Pandemie geschuldet. Die Betriebe stellen nicht mehr so stark ein wie in den letzten Jahren. Und auch Kurzarbeit und Personalabbau wirken sich auf unsere Mitgliederzahlen aus, insbesondere bei Firmen in der Automobil- und Zulieferindustrie. Das ist eine große Herausforderung für uns und auch für mich als neuer DGB-Vorsitzender in Bayern. Den Menschen ist aber auch klar, dass gerade in der Krise starke Gewerkschaften wichtig und notwendig sind.

BSZ: Was hat der DGB für die Arbeitnehmer*innen in der Corona-Krise erreicht?
Stiedl: Zum Beispiel haben Aufstockung und Verlängerung des Kurzarbeitergelds, wie sie der DGB gefordert hatte, sehr dabei geholfen, dass in vielen Fällen Personalabbau vermieden werden konnte. Und durch das große Engagement der Personal- und Betriebsräte konnten in vielen Betrieben und Verwaltungen Lösungen etwa für mobiles Arbeiten oder flexiblere Produktionsabläufe gefunden werden. In der Summe sind wir relativ gut durch die Krise gekommen. Allerdings gibt es noch große Schwierigkeiten im Gastronomie- und Veranstaltungsgewerbe, die ja noch stark mit Einschränkungen zu kämpfen haben. Und auch in den Bereichen Automobil, Zulieferer und Elektronik, wo man unter Lieferengpässen und Rohstoffknappheit leidet.

BSZ: Wie steht der DGB eigentlich zu einer Corona-Impfpflicht?
Stiedl: Bei uns und in den Betrieben wird die Debatte ebenso kontrovers geführt wie in der Gesellschaft. Für den DGB steht aber fest: Impfen ist der Königsweg aus der Pandemie. Und deshalb begrüßen wir alle Kampagnen und Maßnahmen, die die Impfbereitschaft in der Bevölkerung erhöhen. Für uns ist aber der arbeitsrechtliche Aspekt ebenso wichtig wie der gesundheitliche. Und hier sehen wir eine Gefahr, dass eine Impfpflicht, die jetzt in der Pandemie beschlossen werden könnte, auch Konsequenzen für Beschäftigungsverhältnisse für die Zeit nach Corona haben könnte. Unternehmen könnten auf die Idee kommen, auch bei anderen gesundheitlichen Einschränkungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von bestimmten Beschäftigungen auszuschließen. Wir vertreten die Interessen aller Beschäftigten, die der Geimpften und die der Ungeimpften. Unser Appell an alle aber ist: Lasst euch impfen.

BSZ: Mit der Omikron-Variante stecken sich auch viele Geimpfte an, die das Virus dann weitergeben können. Macht das eine Impfpflicht nicht obsolet?
Stiedl: Ich bin kein Virologe – und man sieht ja aktuell, wie schwer sich auch die Politik mit dieser Frage tut. Und natürlich muss sichergestellt werden, dass eine Impfpflicht verfassungskonform ist. Aber wie gesagt, für uns stehen die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Vordergrund, die es zu verteidigen gilt.

BSZ: Sind die nicht akut in Gefahr? Ab dem 16. März gilt in Krankenhäusern und Pflegeheimen eine einrichtungsbezogene Impfpflicht. Auch wenn Ungeimpfte dort erst einmal weiterarbeiten dürfen – in Bayern bekommt man im Quarantänefall nur eine Lohnfortzahlung, wenn man geboostert ist.
Stiedl: Da sehen wir eine große Gesetzeslücke. Unserer Rechtsauffassung nach kann man Ungeimpften das Entgelt nicht so einfach verweigern. Am Ende werden das wohl die Gerichte entscheiden müssen. Aber dass die Unsicherheit, die es da jetzt gibt, auf den Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird, ist für uns ein Unding.

"Nur mit uns zu sprechen, aber überhaupt nicht auf unsere Forderungen einzugehen – das verstehe ich nicht unter einem konstruktiven Dialog mit der Staatsregierung"

BSZ: Eine große Herausforderung jenseits Corona ist für die Gewerkschaften, dass in Bayern nur mehr 30 Prozent der Betriebe tarifgebunden sind.
Stiedl: Ja, die Tarifbindung muss dringend wieder gestärkt werden. Zum einen, indem mehr Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden, damit sie für alle Beschäftigten einer Branche gelten. Zum anderen fordern wir, dass die Staatsregierung endlich auch in Bayern ein Tariftreue- und Vergabegesetz einführt. Es kann doch nicht sein, dass die öffentliche Hand Firmen, die Lohndumping betreiben, mit staatlichen Aufträgen und Geldern auch noch dafür belohnt. So finanzieren wir mit unseren Steuergeldern Firmen mit, die ihre Beschäftigten nicht vernünftig bezahlen wollen und keine vernünftigen Arbeitsbedingungen anbieten.

BSZ: Die Forderung nach einem Tariftreue- und Vergabegesetz in Bayern steht beim DGB schon jahrelang auf der Agenda. Warum sollte sich die Staatsregierung ausgerechnet jetzt bewegen?
Stiedl: Die Ampel-Koalition in Berlin will auf Bundesebene ein solches Gesetz einführen. Und was wäre das für eine paradoxe Situation: Wenn der Bund dann in Bayern zum Beispiel eine Baumaßnahme beauftragt, ist Tariftreue dafür die Voraussetzung. Beauftragt Bayern die Maßnahme, ist sie es nicht. Bis auf Sachsen und Bayern haben alle Bundesländer ein Tariftreue- und Vergabegesetz. Und Sachsen arbeitet gerade daran. Hier weiterhin zu blockieren, ist nicht mehr zeitgemäß. Und ich glaube, dass auch die bayerische Staatsregierung das erkennt – nicht nur mit Blick auf die Landtagswahl im nächsten Jahr. Wir als DGB wollen in diesen Fragen noch lauter werden.

BSZ: Bei der Bezirkskonferenz am Wochenende hat Ihnen Markus Söder in seinem Grußwort einen konstruktiven Dialog angeboten. Was stellen Sie sich denn unter einem konstruktiven Dialog mit der Staatsregierung vor?
Stiedl: Dass sich auch Forderungen von uns in den Gesetzgebungsverfahren wiederfinden. Wir stellen fest, dass es in dieser Hinsicht mit den Arbeitgeberverbänden einen überaus konstruktiven Dialog gibt. Sonst würde es zum Beispiel längst ein Weiterbildungsgesetz geben.

BSZ: Aber Dialog findet doch statt, oder?
Stiedl: Natürlich. Bei einem großen Personalabbau in einer Region zum Beispiel ist die Staatsregierung gesprächsbereit. Geht es dann aber darum, gemeinsam mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach Lösungen für eine Vermeidung des Personalabbaus zu suchen oder auch einmal Ansagen an Unternehmen zu machen, höre ich von ihr wenig. Sie zeigt dann eher Verständnis für die unternehmerische Entscheidung, greift zum Beispiel deren Argument einer schlimmen Weltmarktlage auf. Nur mit uns zu sprechen, aber überhaupt nicht auf unsere Forderungen einzugehen – das verstehe ich nicht unter einem konstruktiven Dialog.

„Beim Thema Umverteilung gibt es im Koalitionsvertrag der Bundesregierung eine große Lücke“

BSZ: Wie viel Hoffnung legen Sie in die Bundesregierung? Glauben Sie, dass unter Rot-Grün-Gelb die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland kleiner wird?
Stiedl: Ich bin da etwas skeptisch. Zum einen, weil die Finanzierungsfrage für viele Maßnahmen fehlt. Zum anderen, weil eine Umverteilung etwa durch eine Vermögensabgabe oder eine Reform der Erbschaftsteuer nicht stattfindet. Da gibt es im Koalitionsvertrag eine große Lücke. Andererseits aber werden von der Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro zehn Millionen Beschäftigte profitieren. Und auch das geplante Tariftreue- und Vergabegesetz ist eine große Verbesserung.

BSZ: Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass Unternehmen den Mindestlohn einfach umgehen, zum Beispiel indem sie Arbeit an Freie auslagern, die dann mit Pauschalen abgespeist werden?
Stiedl: Natürlich haben wir bei der Einführung des Mindestlohns, aber auch in dessen Verlauf Ausweichbewegungen in einigen Bereichen gesehen, etwa die unhaltbaren Zustände in den Schlachtbetrieben. Und auch heute sehen wir derlei Bemühungen bei windigen, wenn nicht gar kriminellen Arbeitgebern, sei es im Bereich der Logistik oder des Reinigungsgewerbes. Hier gilt es, die Kontrollen zu verschärfen, ob durch den Zoll oder die Prüforgane der Sozialversicherungen. Dafür braucht es aber auch genug Personal.

BSZ: Minijobs wird es weiterhin geben, die Verdienstgrenze soll sogar auf 520 Euro angehoben werden.
Stiedl: Das sehen wir überaus problematisch. In diesem Bereich arbeiten ja vor allem Frauen, für die solche Jobs oftmals eine Sackgasse sind. Auch die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern schließt man so nicht.

BSZ: Aber die Abschaffung von Hartz IV dürfte Sie doch freuen.
Stiedl: Nicht wenn Hartz IV einfach nur in Bürgergeld umbenannt wird. Der Hartz-IV-Regelsatz wurde im Januar gerade einmal um drei Euro auf 449 Euro erhöht. Notwendig für ein menschenwürdiges Leben wären aber mindestens 600 Euro. Wenn dann auch noch die Sanktionen bleiben, ist das alles nur Augenwischerei.
(Interview: Angelika Kahl)

Info: Bernhard Stiedl
Der gebürtige Deggendorfer folgt dem verstorbenen Matthias Jena als Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftbunds (DGB) Bayern nach. Am vergangenen Freitag setzte er sich bei einer Kampfabstimmung mit 61 zu 37 Stimmen gegen seinen Mitbewerber durch. Stiedl ist SPD-Mitglied und begann seine hauptamtliche Tätigkeit 1997 als Gewerkschaftssekretär in der IG Metall-Geschäftsstelle Ingolstadt. Zuletzt war er Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Ingolstadt. Der 51-jährige geprüfte Betriebswirt ist gelernter Feinmechaniker und absolvierte berufsbegleitend ohne Abitur ein Studium der Betriebswirtschaftslehre. Stiedl ist verheiratet und hat eine Tochter. (aka)

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