Politik

Kitas sollen bis zu den Sommerferien im Notbetrieb bleiben. (Foto: dpa/Uwe Zucchi)

13.04.2020

Wissenschaftler fordern Corona-Exit

FDP: Vorschlag zu Kitas zwingt Frauen zurück an den Herd

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will an diesem Mittwoch mit den Ministerpräsidenten über mögliche Lockerungen der harten Beschränkungen für Menschen und Wirtschaft in Deutschland beraten. Eine wichtige Grundlage der Beratungen dürften die am Montag vorgelegten Empfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina aus Halle sein.
Die Leopoldina-Stellungnahme sei für sie "eine sehr wichtige Studie", wenn es um die Frage gehe, "wie können wir weiter vorgehen, wenn die Experten uns sagen, dass wir auf festem Grund stehen, was die Verbesserung der Infiziertenzahlen anbelangt", hatte Merkel am Donnerstag vor Ostern gesagt. Das dürfte trotzdem nicht bedeuten, dass die Empfehlungen aus Halle eins zu eins umgesetzt werden.
Neben den Leopoldina-Empfehlungen liegt Merkel und den Regierungschefs unter anderem auch eine Ausarbeitung eines von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) eingesetzten Expertenrats vor. Empfehlungen und Anmerkungen zu wesentlichen Bereichen:
BILDUNG: Die Leopoldina-Experten raten zu einer schrittweisen und nach Jahrgangsstufen differenzierten Wiedereröffnung von Schulen, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen. Alle Maßnahmen müssten hier auf längere Zeit unter Einhaltung der Vorgaben zu Hygiene, Abstand, Mund-Nasen-Schutz, Tests und Quarantäne umgesetzt werden.
Ihre Empfehlung, zuerst Grundschulen und die Sekundarstufe 1 (Haupt-, Real- und Gesamtschulen bis Klasse 10 sowie Gymnasien bis einschließlich der Klassen 9 beziehungsweise 10) zu öffnen, begründen sie damit, dass Jüngere mehr auf persönliche Betreuung, Anleitung und Unterstützung angewiesen seien.
In Grundschulen müsse mit deutlich reduzierten Gruppengrößen von maximal 15 Schülern gestartet werden, um das Abstandsgebot besser einhalten zu können. Auch zeitversetzter Unterricht sei möglich. Zudem solle es eine Konzentration auf Schwerpunktfächer geben, etwa Deutsch und Mathematik in der Grundschule. "Der Schulhof darf nicht zum Austauschort von Viren werden", wird betont. Es solle mit den Abschlussklassen begonnen werden, "damit sie auf den Übergang in die weiterführenden Schulen vorbereitet werden können".
Entsprechend dieser Logik empfehlen die Experten auch bei Kitas und Kindergärten einen Betrieb mit reduzierten Gruppengrößen von maximal fünf Kindern (5- und 6-Jährige) je Raum am Übergang zur Grundschule. Weil kleinere Kinder sich nicht an Distanzregeln und Schutzmaßnahmen hielten, sollen die Kitas für sie bis zu den Sommerferien im Notbetrieb bleiben - dies solle auch für die Horte gelten.
In der Sekundarstufe 1 solle der Unterricht mit jenen Stufen beginnen, bei denen zentrale Abschlussprüfungen stattfänden - bei allen weiteren Jahrgängen wird eine Konzentration auf Kernfächer (Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen) vorgeschlagen. An den Universitäten und Hochschulen solle das Sommersemester "weitgehend als online/home-learnig-Semester zu Ende geführt werden".
In der NRW-STUDIE heißt es, das Recht auf Bildung der Kinder und Jugendlichen sei ein Grundrecht. "Bildungsangebote sollten daher so schnell wie möglich - in verantwortbarem Umfang und unter Einhaltung hoher Schutzstandards - ermöglicht werden". Es wird zur Differenzierung der Unterrichtsformate zwischen Ober-, Mittel- und Unterstufen sowie zu zeitversetztem Unterricht geraten.
ÖFFENTLICHES LEBEN: Zunächst könnten etwa der Einzelhandel, das Gastgewerbe und Behörden öffnen, schlagen die Leopoldina-Experten vor. Auch private und dienstliche Reisen sowie gesellschaftliche, kulturelle und sportliche Veranstaltungen könnten wieder stattfinden. Auch hier sollten jedoch die Voraussetzungen gelten, dass es wenige Neuinfektionen gebe, bekannte Hygieneregeln eingehalten werden und Krankenhäuser gut gerüstet sind. Die Experten sprechen sich zudem für eine Maskenpflicht etwa in Bussen und Bahnen aus.
Die NRW-EXPERTEN schreiben, in der Gastronomie seien strikte Vorgaben denkbar, was den Tischabstand oder die Personenzahl angehe. "Großveranstaltungen wie Fußballspiele der Bundesliga mit Zuschauern, aber auch Messen und Kongresse werden auf absehbare Zeit nicht stattfinden können", heißt es weiter. Kulturelle Angebote wie Konzerte oder Theatervorstellungen könnten gegebenenfalls mit entsprechenden Einschränkungen wieder stattfinden.
PANDEMIEBEKÄMPFUNG: "In der Phase der allmählichen Lockerung darf es nicht wieder zu einem raschen Anstieg der Infektionszahlen kommen", warnen die Leopoldina-Experten. Als wirksamste Maßnahmen beschreiben sie das Tragen von Mund-Nasen-Schutz, flächendeckendes Testen, die Verwendung mobiler Daten, die Identifizierung der Infizierten sowie die Entwicklung von Therapien. Dies sei notwendig, um das System zu stabilisieren, bis ein wirksamer Impfstoff gefunden sei.
Es wird aber auch betont, dass es auch aus gesundheitlicher Sicht wichtig sei, die Maßnahmen zu lockern. Als negative Auswirkungen nennen die Forscher unter anderem eine Zunahme häuslicher Gewalt und psychische Probleme wegen wirtschaftlicher Existenznöte. Explizit abgelehnt wird eine Isolierung von einzelnen Bevölkerungsgruppen wie beispielsweise älteren Menschen zu deren Schutz. Dies sei eine "paternalistische Bevormundung".
Die NRW-EXPERTEN sagen ebenfalls klar: "Das Ziel der Eindämmung der Pandemie bleibt bestehen." Mit Blick auf neuere Erkenntnisse über das Virus solle aber damit begonnen werden, die Maßnahmen differenzierter und flexibler zu steuern.
ENTSCHEIDUNGSGRUNDLAGE OPTIMIEREN: Die Leopoldina kritisiert, dass bisherige symptomgeleitete Erhebungen zur verzerrten Wahrnehmung des Infektionsgeschehens führen. Um bessere Daten zu bekommen, werden die Erhebung von GPS-Daten und App-Umfragen nach dem Gesundheitszustand oder Datenspenden von Fitness-Armbändern genannt. Die freiwillig bereitgestellten Daten könnten anonymisiert, sicher und geschützt als Fundament für bessere Prognosen dienen.
Auch die NRW-EXPERTENGRUPPE spricht sich unter anderem für den Einsatz von Mobiltelefon-Apps ein, um Infektionsketten lückenlos verfolgen zu können. Um den Einstieg in die "Normalisierung" zu steuern, müsse für eine breite Informationsbasis etwa auch die Zahl der Tests auf bis zu 500 000 pro Tag erhöht werden.
WIRTSCHAFTS- UND FINANZPOLITIK: Staatsbeteiligungen sollten laut Leopoldina "nur im äußersten Notfall zur Stabilisierung von Unternehmen eingesetzt werden". An der Schuldenbremse sei festzuhalten. Mittelfristig würden Impulse nötig werden. Dies könnten Steuerentlastungen sein oder das Vorziehen der Teilentlastung beim Solidaritätszuschlag "oder seine vollständige Abschaffung".
Die NRW-Experten sprechen sich dafür aus, wirtschaftliche Aktivitäten so schnell wie möglich soweit verantwortbar wieder zuzulassen. Dabei sollten weiterhin Schutzmaßnahmen wie Masken, Abstand und Trennwände ergriffen werden. Einzelhandelsgeschäfte könnten sicherlich früher öffnen als Diskotheken.

ABWÄGUNGSPROZESSE: In der Leopoldina-Stellungnahme heißt es: "Grundrechtseinschränkungen müssen nicht nur ein legitimes Ziel verfolgen - was in der gegenwärtigen Situation mit dem Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung außer Zweifel steht." Dennoch habe der Staat die Pflicht, angesichts der Schwere der Maßnahmen "ständig zu überprüfen, ob nicht mildere Maßnahmen in Betracht gezogen werden können."

"Wenn die Regierung diesem Vorschlag folgt, ist das ein Schlag ins Gesicht aller berufstätigen Eltern", sagt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und sozialpolitische Sprecherin der FDP im Bayerischen Landtag, Julika Sandt. "Meist sind dann die Mütter diejenigen, die ihrem Job nicht mehr nachgehen können. Dies führt nicht nur zu Einkommensverlusten, sondern auch zu einer Rückkehr zu traditionellen Rollenmustern, in denen die Frau ihren Platz am Herd hat.

Auch auf die Kinder hätten die Vorschläge verheerende Auswirkungen. Die sozialen Unterschiede vertiefen sich aufgrund der fehlenden frühkindlichen Bildung und dies kann sich negativ durch das gesamte Leben der Kinder ziehen. Auch die soziale Vereinsamung wegen des fehlenden Austauschs mit anderen Kindern ist, vor allem für die vielen Einzelkinder, eine psychosoziale Gefahr.

Die Öffnung der Kitas darf nicht von einem Datum abhängen, sondern vielmehr von der Situation: Sobald eine Reproduktionsrate von COVID 19 unter 1 und Verdopplungszeit von mehr als 28 Tagen vorliegen, muss der Kitabesuch für alle Kinder wieder möglich sein." (BSZ/dpa)

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