Politik

Erneut könnte es passieren, dass Turnhallen zweckentfremdet werden müssen, um Geflüchtete unterzubringen. (Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

11.11.2022

Wohnen statt turnen

Geflüchtete unterbringen: Kommunen sind ratlos

Schulsport gestrichen, weil die Turnhalle anderweitig gebraucht wird? Was zur Zeit des großen Flüchtlingsansturms 2015 an der Tagesordnung war, soll jetzt, da Deutschland erneut von Geflüchteten überrannt wird, nicht mehr passieren. Kinder und Jugendliche, so Bayerns Landkreistagspräsident Thomas Karmasin (CSU), sollen nicht mehr büßen für die Unwilligkeit des Bundes, Deutschlands Grenzen wirksam zu schützen. Karmasin sagt: Dass Schulturnhallen als Unterkünfte dienen und deshalb der Sportunterricht ausfällt, „das darf es nicht noch einmal geben“.

Stattdessen denkt Karmasin, der auch Landrat von Fürstenfeldbruck ist, laut über die Beschlagnahmung von leer stehenden Immobilien nach. Denn nicht nur in seinem Landkreis seien die Kapazitäten für die Unterbringung von ständig neuen Flüchtlingen bald erschöpft, so der Landrat. Erste Prüfungen für die Beschlagnahmungen seien bereits angelaufen.

Hintergrund: Neben mehr als einer Million Ukrainer*innen steigt nach der Aufhebung coronabedingter Reisebeschränkungen auch die Zahl der Asylsuchenden aus anderen Ländern, vor allem dem Nahen Osten, deutlich an. In den ersten sieben Monaten dieses Jahres wurden fast 114.000 Asylanträge in Deutschland gestellt – 17 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Vielerorts wissen Kommunen nicht mehr, wo sie die Leute noch unterbringen sollen. Schon müssen Vereine wieder Räumlichkeiten leer machen, werden Hotels angemietet und Notunterkünfte in Zelten errichtet.

Energiepreise explodieren

Doch anders als vor sieben Jahren befindet sich Deutschland nun in einer schweren Rezession samt der höchsten Inflation seit Kriegsende. Ebenso sind die Kassen der Kommunen leer – nach mehr als zwei Jahren Pandemie und angesichts der Energiepreisexplosion infolge des Ukraine-Krieges.

Auch der Bayerische Städtetag befürchtet große Probleme bei der Unterbringung von Flüchtlingen. Die Lage sei „angespannt“, sagt der Vorsitzende und Straubinger Oberbürgermeister Markus Pannermayr (CSU). „Ich gehe davon aus, dass wir uns auch auf Notlösungen stützen müssen, weil der reguläre Wohnraum, der eigentlich dafür vorgesehen wäre, tatsächlich nicht verfügbar ist“, so Pannermayr.

Das bayerische Innenministerium sieht die Ankündigung von Beschlagnahmungen freilich skeptisch. Diese wären „allenfalls in Einzelfällen mit Ausnahmecharakter möglich, aber auch nur als Ultima Ratio und nur für eng begrenzte Zeiträume“, so ein Sprecher von Ressortchef Joachim Herrmann (CSU). Die Kommunen sollten versuchen, „vorrangig andere Möglichkeiten auszuschöpfen“, ergänzt der Sprecher. Außerdem stünde „gegen etwaige behördliche Maßnahmen den Betroffenen der Rechtsweg offen“. Das kann man, knapp ein Jahr vor der Landtagswahl, auch als Warnung der Staatsregierung an die Kommunalpolitik verstehen: Finger weg von dieser Option!

22 Milliarden Asylausgaben

Für jede Krise, die keiner Naturkatastrophe entspringt, gibt es Verantwortliche. „Ich will nicht kommentieren, dass die Bundesrepublik nach wie vor zusätzliche Anreize für eine ungebremste Zuwanderung schafft“, ärgert sich Landkreistagspräsident Karmasin. Und hier gehen die Bewertungen von Landkreistag und Städtetag auseinander. Der sozialdemokratische Präsident des Deutschen Städtetags, Leipzigs OB Burkhard Jung, befindet nämlich nur: „Bund und Länder müssen sich auf mehr Flüchtlinge einstellen und mehr Kapazitäten schaffen, in denen Menschen aufgenommen werden können.“ Also kein Wort davon, dass auch Geld vom Bund nicht vom Himmel fällt, sondern von der wirtschaftlich gebeutelten steuerzahlenden Bevölkerung stammt. Und auch kein Appell von Jung, den Zuzug an sich zu begrenzen. Mehr als 22 Milliarden Euro gab allein der Bund im vergangenen Jahr laut Bundeszentrale für politische Bildung für asylbedingte Leistungen aus; das entspricht fast einem Drittel des bayerischen Staatshaushalts. Die vom Bund nicht erstatteten Kosten von Ländern und Kommunen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Für einige Politiker*innen ist das offensichtlich eine Summe, die sich durchaus noch erhöhen lässt.

Und wer sich als führendes SPD-Mitglied auch nur vorsichtig für eine Verlängerung der Grenzkontrollen ausspricht, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser, der muss mit scharfen Attacken aus den eigenen Reihen rechnen. Statt „einer Politik der Grenzkontrollen“ brauche es „eine klare Politik der Solidarität“, fordert der Vizebundesvorsitzende der Jungsozialisten, Birkan Görer. Er erwarte von der Ministerin, dass sie „nicht nach unten tritt“. Einen drohenden Kollaps der hiesigen Städte und Gemeinden abzuwenden, ist für die Jusos also „Treten“. Da muss man erst mal drauf kommen.
(André Paul)

 

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