Politik

Vor allem Frauen jobben nebenher - besonders oft im Freistaat. (Foto: dapd)

12.10.2012

Wollen - oder müssen sie?

In Bayern haben besonders viele Menschen einen Zweitjob - über die Ursachen streiten die Experten

Die eine putzt nach dem Bürojob eine Arztpraxis, der andere schreibt nach der Vorlesung ein Gutachten, die dritte kellnert in der Kneipe. Immer mehr Menschen in Deutschland haben einen Zweitjob. Seit 2003 hat sich der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, die neben ihrer regulären Arbeit noch mindestens einen Minijob ausüben, verdoppelt: von 4,3 Prozent auf 8,8 Prozent. In Bayern ist der Anteil der Nebenjobber an den Beschäftigten mit 10 Prozent sogar noch höher. Im Ländervergleich belegt Bayern hinter Baden-Württemberg (11 Prozent) und Schleswig-Holstein (10,3 Prozent) den dritten Platz, so eine aktuelle Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Insgesamt hatten im März 2012 knapp 480 000 bayerische Beschäftigte einen Nebenjob auf 400-Euro-Basis.
Die Bundesagentur für Arbeit führt den Zuwachs darauf zurück, dass seit 2003 die Minijobs auch als Nebenjob mit der Verdienstgrenze von 400 Euro ausgeübt werden dürfen – steuer- und abgabenfrei. Über die Motive der Nebenjobber sagen die Zahlen nichts. Wollen oder müssen immer mehr Bayern einem Zweitjob nachgehen?
Für Matthias Jena, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Bayern, ist die Sache klar: Die Leute jobbten nebenher, „um überhaupt noch über die Runden zu kommen“. Dass materielle Not viele Bayern zum Zweitjob zwinge, bestreitet dagegen das bayerische Sozialministerium. Neben der Neuregelung der 400-Euro-Jobs sieht man dort als Hauptursache, dass mit der guten Arbeitsmarktlage die Beschäftigung insgesamt steige und damit auch die Zahl der Minijobs. Auch Joachim Unterländer, arbeitspolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion, glaubt nicht, dass es nur um ökonomische Zwänge geht. Als Beispiel nennt er Rentner, die immer noch fit sind und deshalb arbeiten wollen. Der Anteil der über 60-Jährigen an den Sozialversicherten mit Zweitjob  ist allerdings mit nicht einmal 5 Prozent gering.

DGB: Frauen werden zu schlecht bezahlt


Signifikant dagegen: Es arbeiten im Freistaat wesentlich mehr Frauen (281 000) als Männer (197 000) im Nebenjob auf 400-Euro-Basis. Doch auch dem gewinnt Christine Haderthauers (CSU) Ministerium etwas Positives ab: Die Minijobs seien schließlich gerade  für Frauen „eine unkomplizierte Möglichkeit, ein (Familien-)Zusatzeinkommen zu erzielen und dabei weiterhin Berufspraxis aufrechtzuerhalten“. DGB-Bayern-Chef Jena hält das für unsinnig und kontert: Frauen würden im Schnitt weit weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen. „Das ist ein wichtiger Grund, warum Frauen neben ihrem Vollzeitjob oft noch einen zweiten annehmen müssen.“
„Egal wie man die Zahlen interpretiert – das ist alles rein spekulativ“, sagt Frank Wießner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Er fordert, den Anstieg der Nebenjobber zu erforschen. „Allerdings ist das aufgrund der fehlenden Datenlage methodisch schwierig.“ Dass vor allem in reichen Teilen Deutschlands der Trend zum Zweitjob ausgeprägt ist, erklärt Wießner so: In Regionen mit einem gut funktionierenden Arbeitsmarkt sei das einfach möglich. „In strukturschwachen Gebieten ist es ja oft schon schwierig, einen Erstjob zu finden.“
Auch Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) beschäftigt sich  mit der Zunahme der Zweitjobber. Er stützt sich dabei auf Zahlen des Mikrozensus. Danach hatten 2011 416 000 Erwerbstätige in Bayern einen Nebenjob. Auffällig: Es sind viele Menschen darunter, die ein gutes Ausbildungsniveau vorweisen können. „Klassische Zweitjobber sind zum Beispiel Landwirte, die einen Nebenerwerb haben“, sagt Brenke, „und klassische Minijobber sind westdeutsche Frauen in ländlichen Regionen.“ Deshalb sei es nicht erstaunlich, dass gerade in Bayern und Baden-Württemberg ihr Anteil an den Erwerbstätigen hoch sei. Die Gründe seien unterschiedlich. Allerdings gibt er zu bedenken: „Wenn eine Frau  nebenher putzt, darf man davon ausgehen, dass das auch aus  einem monetären Zwang heraus geschieht.“ (Angelika Kahl)

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