Politik

01.11.2025

Zeitenwende: Entwicklungshilfe soll deutscher Wirtschaft helfen

Deutschland gibt Afrika Geld - China holt sich die Rohstoffe. Geht es nach der Bundesregierung soll damit Schluss sein. Bei der Entwicklungszusammenarbeit stehen seit kurzem zunehmend wirtschaftliche Interessen im Fokus. Die Wirtschaft ist begeistert, die Linke entsetzt. Sie spricht gar von "Kolonialisierung".

Mit den Zeitenwenden ist das so eine Sache. Als etwa der damalige Kanzler Olaf Scholz (SPD) kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine eine radikale Abkehr des strikten Sparkurses bei der Verteidigung auf den Weg brachte, fand dies weltweit Beachtung. Die von Schwarz-Rot beschlossene Zeitenwende in der Entwicklungspolitik verläuft bislang dagegen weitgehend geräuschlos. Dabei ist der neue Kurs der Bundesregierung bei der Entwicklungshilfe der größte Umbruch in diesem Bereich seit dem Zusammenbruch des Ostblocks.

Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan kündigte bereits im Mai an, Deutschland setze von nun an auf einen Dreiklang der Entwicklungszusammenarbeit mit der „Außen- und Verteidigungspolitik“. Und vor gut drei Wochen stellte die SPD-Politikerin dann einen Aktionsplan vor, der es in sich hat. Ein Schwerpunkt der Entwicklungshilfe soll demnach künftig auf der gezielten Unterstützung deutscher Unternehmen liegen, insbesondere aus dem Mittelstand. Wo deutsche Firmen besondere Versorgungs- und Investitionsinteressen haben, will das Ministerium zudem den Abbau und Import von Rohstoffen stärker in den Blick nehmen.

Kein Wunder: Allzu oft baute Deutschland in der Merkel- und Ampel-Ägide zwar vielerorts zu Recht lebenswichtige Brunnen oder Schulen – doch es war China, das sich durch eine mitunter auch erpresserische Entwicklungspolitik diverse Mineralien und Seltene Erden auf dem rohstoffreichen Kontinent sicherte. Auch mithilfe jener importierter, in der Volksrepublik verarbeiteter Seltener Erden erpresst Peking nun den Westen. Zugleich pfeift die rote Diktatur in den Abbauländern des Globalen Südens auf jegliche Menschenrechte, Arbeitnehmer- sowie Umweltschutz.

Sowohl das Ministerium als auch maßgebliche Unions-Politiker betonen, man werde darauf achten, dass die wirtschaftlichen Kooperationen sozial und ökologisch nachhaltig ausgestaltet seien. „Das Ziel sind Partnerschaften, von denen alle Seiten profitieren“, sagt etwa ein Sprecher des Entwicklungsministeriums.

Kritik an den Ausgaben

Der Bundestagsabgeordnete Stefan Rouenhoff (CDU) hofft mit Geldern der Entwicklungshilfe Risiken für deutsche Firmen zu verringern und Markteintritte zu erleichtern. Deutschland habe 2024 rund 7,8 Milliarden Euro an neuen Mitteln für Partnerstaaten zugesagt, über Entwicklungsbanken werde zudem ein Vielfaches dieses Betrags an Krediten mobilisiert. Aber leider profitierten „viele deutsche Unternehmen nicht davon“. Auch Wolfgang Stefinger (CSU), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, findet: „Es darf in der Entwicklungspolitik kein Tabu sein, dass diese auch deutschen Unternehmen und damit deutschen Interessen dient.“

Dass man bei der Verteilung des im vergangenen Jahr 11,2 Milliarden Euro großen Entwicklungsbudgets nun zudem stärker deutsche Sicherheitsinteressen im Hinterkopf hat, ist ebenfalls wenig überraschend. In der Sahelzone sind diverse Staaten trotz europäischer Hilfen längst zu Vasallen Russlands geworden. Auch gewinnen Autokraten und blutrünstige Islamisten in Afrika an Einfluss. „Entwicklungszusammenarbeit kann einen Beitrag leisten, Extremismus und Terrorismus zu bekämpfen“, sagt der renommierte Politikwissenschaftler und Ethnologe Wolfgang Gieler. Denn durch die Förderung von Bildung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Bau von Infrastruktur würden „auch die Ursachen einer Radikalisierung angegangen“.

Am krassesten ist der Paradigmenwechsel allerdings bei den wirtschaftlichen Interessen. Künftig sollen laut Entwicklungsministerium unter anderem im Vorfeld von Regierungsverhandlungen mit strategisch wichtigen Partnern Wirtschaftsvertreter mitreden dürfen – etwa Verbände oder Firmenbosse. So etwa im westafrikanischen Ghana.

"Strategiewechsel dringend notwendig"

Bayerns Wirtschaft ist erfreut. Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), sagt: „Wir begrüßen die neuen Ansätze der Entwicklungspolitik der Bundesregierung, insbesondere die geplante stärkere Einbeziehung von Unternehmen und Verbänden im Vorfeld der Aufnahme von Verhandlungen in den Ländern.“ Ein Strategiewechsel sei „dringend notwendig, denn die bisherige Entwicklungshilfe erfüllt die in sie gesteckten Ziele nicht“.

Für Brossardt ist klar: „Der Ansatz, willkürlich in Schwellen- und Entwicklungsländern kleinteilige Projekte mit hohen finanziellen Mitteln zu fördern, funktioniert nicht.“ Der Zugang zu kritischen Rohstoffen und Ressourcen müsse „zentrales Ziel der deutschen Entwicklungspolitik sein“. Zugleich können beide Seiten aus Sicht der VBW durch den Export neuster Technologien profitieren. Diese erleichterten die Weiterverarbeitung von Rohstoffen vor Ort und erhöhten die dortige Wertschöpfung.

Die Menschen vor Ort profitieren – eine sozialverträgliche Umsetzung vorausgesetzt. Zugleich würden die Rohstoffimporte Deutschlands diversifiziert, was die Unabhängigkeit im Krisenfall erhöht.

Kritik der Linken am Strategiewechsel

Doch es gibt auch Kritik. Charlotte Neuhäuser, Bundestagsabgeordnete der Linken, sagt: „Entwicklungszusammenarbeit darf nicht in erster Linie ein Hebel sein, um private Unternehmensinteressen der deutschen Wirtschaft durchzusetzen.“ Durch die Neuausrichtung laufe die Entwicklungszusammenarbeit „derzeit akut in Gefahr, in einen neuen Kolonialismus abzurutschen“.

Klar ist: Die Entwicklungshilfe ist weltweit im Umbruch. Die USA haben die Hilfen massiv gekürzt. Fachleuten zufolge drohen deshalb Millionen Menschen an Krankheiten und Hunger zu sterben. Der weitgehende Rückzug der Amerikaner könnte laut Experte Gieler zur Folge haben, dass sich Nehmerländer verstärkt an andere Geldgeber wenden – etwa an China oder die Golfstaaten. „Dadurch steigt das Risiko, dass entwicklungspolitische Standards wie Transparenz, Partizipation oder Menschenrechte in den Hintergrund geraten“, prophezeit Gieler. (Tobias Lill)
 

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