Politik

Für Musikfestivals sind die Corona-Auflagen weiterhin besonders streng. (Foto: dpa/Gabbert)

20.08.2021

Zerstörtes Musikleben

Corona-Politik: Eindrücke vom Festival-Sommer in Bayern

Es sind schräge Zeiten. Wenn sich die Veranstaltungsbranche allein dafür bedankt, dass ihre Konzerte besucht werden, verrät das viel über die massiven Schwierigkeiten für Kunst und Kultur in Corona-Zeiten.

Johannes Erkes hat sich beim Publikum bedankt. Vor dem zweiten „Festivo“-Konzert im August erklärte der Leiter des Kammermusik-Festivals in Aschau den Gästen die Auflagen samt reduzierter Bestuhlung. „Für uns private Veranstalter ist das nicht einfach“, sagte Erkes. „Dass ein solches Konzert nur eingeschränkt besucht werden darf und der Kartenverkauf derart stockt, zeigt auch, wie viel Angst und Verunsicherung herrschen.“

In Normalzeiten wäre das prominente Gastspiel mit dem Tenor Ian Bostridge in der Festhalle Hohenaschau restlos ausverkauft und rappelvoll gewesen. Jetzt aber wähnte man sich in einer exklusiven Privat-Soiree. Für eine kleine Reihe wie „Festivo“ ist das wirtschaftlich nur mit treuen Sponsor*innen möglich.

Offenbar hatte der Bariton Christian Gerhaher recht, als er im harten Kultur-Lockdown vor einer „drohenden Entwöhnung des Publikums“ warnte. Für subventionierte Häuser in Städten mag das irgendwie zu meistern sein. Die Privaten aber auf dem Land kämpfen. Gerade sie machen jedoch in der Breite und Dichte den „Kulturstaat Bayern“ aus.

Da ist Festivo: Nach dem coronabedingten Komplettausfall 2020 wird die sommerliche Reihe vorerst auf mehrere Monate ausgedehnt. Auch der Vorverkauf startet kurzfristiger, und es wird nur noch die große Festhalle bespielt. Damit möchte man flexibel bleiben, wenn sich Corona-Auflagen ändern. Bei den „Insel-Konzerten“ auf Herrenchiemsee setzt das Leitungsduo Nils Mönkemeyer und William Youn hingegen weiterhin auf zwei Konzerte pro Programm: vormittags und nachmittags. Damit es sich rechnet.

Der Festival-Sommer war schon abgehakt, bevor er beginnen konnte

Für das Musikleben sind die Corona-Auflagen eben weiterhin besonders streng. Noch dazu differieren sie mitunter sogar von Dorf zu Dorf. Dabei hatte die Staatsregierung kurz vor der Sommerpause einen Beschluss zu „kulturellen Großveranstaltungen mit länderübergreifendem Charakter mit mehr als 1500 Besuchern“ aus dem Hut gezaubert: viel zu spät und diffus. Im Zweifel müssen Veranstaltende eigene Konzepte erstellen und genehmigen lassen. Wenn sich Auflagen ändern, wiederholt sich das Spiel.

Ein Ortswechsel, Bayreuth in Oberfranken: Nach dem Totalausfall 2020 wagten die Wagner-Festspiele nun einen Neustart. Hier waren die Corona-Regeln auffallend streng. Selbst der Chor durfte auf der Bühne nicht singen, was zu lautstarken Protesten geführt hatte. Natürlich ist das strenge Regelwerk verständlich, zumal das Festspielhaus keine optimale, moderne Belüftungsanlage hat. Allerdings berichten Veranstaltende aus der Region, dass manche Gesundheitsämter auf die strengen Auslegungen bei den Wagner-Festspielen verwiesen hätten, um diese dann auch bei ihnen einzufordern.

Im Grunde war der Festival-Sommer schon abgehakt, bevor er beginnen konnte. Mit der Kakophonie unterschiedlicher Regeln samt fehlender Planungssicherheit hat die Staatsregierung jedwede Perspektive im Keim erstickt.

Was das für den Nachwuchs bedeutet, offenbarte wiederum ein Besuch in Lugano bei „Ticino Musica“. Bei diesem Festival für Jungtalente machte im Juli auch Valerie Steenken aus München mit. Die 22-jährige Geigerin studiert an der Münchner Musikhochschule. Was sie über ihre Erfahrungen in der Corona-Pandemie als Musikstudentin in Bayern berichtet, ernüchtert auf ganzer Linie. Im stillen Kämmerlein für sich zu üben, allein und isoliert, ohne klares Ziel: „Da muss man sehr stark sein. Mit Musik hat das nichts tun. Ich möchte Musikerin sein. Dafür lebe ich, aber: Wird man davon auch leben können?“'

Tatsächlich haben bereits einige ihr Musikstudium aufgegeben. Die Lehrkräfte an den Hochschulen unternähmen alles, um zu helfen und zu motivieren, aber: „Wenn es ein Strukturproblem gibt, können auch sie nicht viel tun.“

Steenken befürchtet im Musikleben genau das, was der Münchner Bratschist und Viola-Professor Nils Mönkemeyer schon im Frühjahr skizzierte: eine „knallharte Selektion“. Nur die Stärksten drohten dauerhaft zu überleben, so Mönkemeyer. Gleichzeitig könnten viele private Ensembles und Initiativen verschwinden, obwohl gerade sie das Musikleben nachhaltig inspirieren.

Zurück in den Chiemgau: In seiner Rede zum ersten Festivo-Konzert betonte der Aschauer Bürgermeister Simon Frank (Bürgerliste Zukunft für Aschau), wie wichtig die Kultur doch für Wirtschaft und Tourismus sei. In der Pandemie zähle sie zu den „mit Abstand am stärksten betroffenen Branchen“. Corona habe den „Kulturstaat Bayern“ relativiert.

Solche klaren Worte hört man aus der Politik viel zu selten. Die Gemeinde sei stolz auf Festivo, so Frank. Wie weit dieser Stolz konkret gehen würde, sagt er leider nicht. Von Bayerns Kunstminister Bernd Sibler (CSU) ist dagegen gar nichts mehr zu hören. Er scheint sich irgendwohin verkrümelt zu haben. Besonders eigenständig wirkte er ohnehin nie. Die Abrechnung für diese Kulturpolitik könnte noch folgen: an der Wahlurne.
(Marco Frei)

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