Ein gut gefülltes Bierzelt, rund 1000 Leute sitzen erwartungsvoll auf den Bänken, Bedienungen bringen Bier und Schweinsbraten, gleich geht’s los. Showtime! Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zieht, flankiert von den örtlichen Honoratioren, ins Moosburger Bierzelt ein – eines von vielen, die er dieser Tage bespielt. Jubel und Blasmusik, die Menschen erheben sich von den Plätzen, viele wollen ihrem Landesvater die Hand schütteln. Der lächelt ausdauernd und wirkt doch, als stünde er unter Strom. Beim Händeschütteln scannt er immer wieder kurz die Menge, ist gedanklich schon weiter, stets auf dem Sprung.
Klar, es geht ja auch um viel. Die Umfragen sind wenig verheißungsvoll, die CSU lag zuletzt bei Werten um 36 Prozent, während der freche Koalitionspartner Freie Wähler zulegte, trotz oder wegen der Flugblattaffäre um Hubert Aiwanger. Gleich wird Söder seine 75-minütige Rede halten, die zum Bierzelt passt und die Leute begeistert. Selbst ein Freie-Wähler-Funktionär springt danach auf, spendet frenetischen Beifall, nennt die Rede „unterhaltsam“.
Tatsächlich ist es durchaus nicht so, dass ausschließlich CSU-Anhänger*innen und Söder-Fans gekommen sind. Gleich vor dem Zelt steht ein älterer Mann im karierten Hemd, der klarmacht, dass für ihn keineswegs feststeht, wo er sein Kreuzerl bei der Landtagswahl machen wird. Ja, nickt er, Söder „schaut auf Bayern“, das findet er gut. Allerdings: Hubert Aiwanger tut das auch; „die Linie, die der fährt, ist sehr gut“. Doch vor allem, sagt der Mann, sei es die AfD, die „die wirklichen Probleme“ anspreche. Welche? „Zuwanderung“, lautet die Antwort. Und deshalb könne er sich „vorstellen, die AfD zu wählen“.
Aiwanger? Passt schon, findet das CSU-Publikum
Für Söder und die CSU ist das der Albtraum: Menschen, die wütend und frustriert sind und ihre Stimme deshalb den Rechtspopulisten geben. In seiner Rede arbeitet sich Söder daher auch an der AfD ab, zetert und argumentiert und bittet, die Abstimmung am 8. Oktober nicht zur „Denkzettel-Wahl“ werden zu lassen. Er warnt, „der Wohlstand wird sterben“, wenn die in der AfD geäußerte Forderung nach einem EU-Austritt Realität würde. Und „wie bescheuert muss man eigentlich sein“, ruft Söder, wenn man jetzt, da Putin den Ukraine-Krieg angezettelt hat, aus der Nato raus will. Wenn das geschehe, warnt Söder, „kommt Putin zu uns“.
Ein Festzeltbesucher aus Freising (67) stellt klar: Er hält die AfD für „unwählbar“. Zusammen mit einer anderen Partei – den Grünen. Einmal in seinem Leben habe er die Grünen gewählt, sagt der Verlagsangestellte, das war in den 80er-Jahren. Inzwischen sind sie für ihn „eine Partei der moralischen Selbstüberhöhung und der Bevormundung“.
Söder dürfte es mit Wohlgefallen zur Kenntnis nehmen. Die Grünen sind der andere Gegner, an dem er kein gutes Haar lässt. Er ätzt über deren „Verbotspolitik“ und den Drang zur Zwangsbeglückung – zum Beispiel beim Essen. „Ich war selber mal Veganer“, juxt Söder, „für ein paar Stunden.“ Die Leute kichern. Söder durchsetzt seine Ansprache mit kleinen Scherzen, nicht jeder ist ein Knaller. Alles in allem ist es eine kurzweilige Rede. Manchmal scheint er abzuschweifen, doch verliert er sich nie in Wortgirlanden à la Stoiber. Söder ist äußerst konzentriert, findet immer wieder zurück zum Punkt. Die Leute mögen das. Gelangweilt wirkt niemand.
Söder juxt: "Ich war auch mal Veganer, für ein paar Stunden"
Söder spricht frei, doch natürlich hat er ein Konzept. Beim CSU-Parteitag wird er wenig später eine sehr ähnliche Ansprache halten. Etwas weniger derb, passend zum Anlass. Während er im Bierzelt seine Lust auf deftiges bayerisches Essen sowie dessen Güte mit der Bemerkung garniert, „die halbe Welt frisst und säuft bayerisch“, klingt das vor den Parteitagsdelegierten vornehmer: Die halbe Welt „futtert und schlürft bayerische Produkte“, formuliert der Parteichef. Um sogleich über „grün verhungerte Funktionäre“ zu lästern. Söder streichelt die heimische Landwirtschaft für deren begehrte Erzeugnisse. Unter dem Jubel der Parteitagsdelegierten gibt er der bayerischen Agrarministerin Michaela Kaniber eine Jobgarantie. Ein klares Signal an den aufmüpfigen Koalitionspartner. Hubert Aiwanger hatte das Agrarressort, zum Verdruss der CSU, jüngst für sich beansprucht.
Bei Söders Bierzeltpublikum wie auch unter Parteitagsleuten hat Aiwanger einen erstaunlich guten Stand. Niemand will den Freie-Wähler-Politiker wegen der sogenannten Flugblattaffäre verdammen. Tenor: Das ist 35 Jahre her, und es gilt die Unschuldsvermutung. Der Verlagsangestellte aus Freising sagt, was ihn gestört habe, war, „dass ein Lehrer aus dem inneren Bereich der Schule ein Dokument entwendet und an die Presse gegeben hat“. Gemeint ist das Flugblatt mit antisemitischem Inhalt, das in Hubert Aiwangers Schulranzen gefunden wurde und als dessen Verfasser sich dessen Bruder geoutet hatte.
Ein Ehepaar in den 50ern, das aus Mainburg angereist ist, sieht die Sache genauso. Die beiden, BMW-Beschäftigte und überzeugte CSU-Fans, schimpfen wie viele andere auf die Medien, die „voreingenommen und einseitig“ und überhaupt „an ganz viel schuld“ seien. Ein älterer Mann bevorzugt klarere Worte: Journalist*innen, schnaubt er, seien „Arschlöcher“.
Einig ist man sich im CSU-Publikum auch über einen weiteren Aufreger: die Bewertung des Thüringer Abstimmungsergebnisses. Dass die CDU im dortigen Landtag einen Antrag zur Grunderwerbsteuer eingebracht hat, dem die AfD zur Mehrheit verholfen hat, löst hier keinen Empörungsschrei aus. Das sei „nicht furchtbar“, sagt das Mainburger Paar. Sie zucken mit den Schultern. „Das war nur eine Frage der Zeit.“ Ein anderer sagt: Einem sinnvollen Antrag zuzustimmen, bedeute „keine Zusammenarbeit“. Der Aufruhr sei „scheinheilig“.
Söder lobt derweil auf dem Podium die Lebensqualität in Bayern, schimpft auf die Ampel und fordert eine „grundlegende Wende in der Integrationspolitik“. Auf legalem Weg, ruft er, finde man wegen krasser Bürokratie „kaum Mitarbeiter“ aus dem Ausland, „aber kriminelle Straftäter kann man nicht abschieben“. Tosender Applaus.
Eine einsame Protestiererin im Bierzelttrubel
Dass das Thema Migration höchst kompliziert ist, wissen sie natürlich in der CSU. Sie sei froh, sagt eine Oberpfälzer Delegierte beim Parteitag, „dass ich das nicht lösen muss“. Schafft man mit den auch von Söder geforderten Grenzkontrollen eine Trendwende? Nein, antwortet ein Delegierter aus Niederbayern. Er ist Polizist und seit 35 Jahren in der CSU. Die Menschen, die an der Grenze kontrolliert werden, sagt er, „kriegen ja trotzdem ein Asylverfahren“. Er glaubt: „Das Problem muss in Afrika gelöst werden.“
Protestrufe und Leute, die Steine werfen, wie zuletzt bei den Grünen – derlei bleibt Söder erspart. Beim Parteitag eh. Und im Bierzelt ist eine einsame Protestiererin von Fridays for Future alles, was der Ministerpräsident an Zumutung ertragen muss. Schweigsam steht sie in ihrem Dirndl während Söders Rede in der Nähe des Podiums. „Herr Söder, wie kann ich Ihnen vertrauen?“ steht auf dem Schild, das sie hochhält. Wie sie das meint? Söder verspreche viel und halte wenig, klagt die Studentin aus Freising. „Er wollte doch 1000 Windräder bauen.“ Und ein 365-Euro-Ticket für Studierende habe er auch mal gefordert – es kam nie.
Söder, der Wendehals – es ist ein Etikett, das hartnäckig an ihm klebt. „Er ist ein Opportunist“, bestätigt ein Bierzeltbesucher. Und fügt an: „aber im positiven Sinn: Er erkennt Möglichkeiten.“
(Waltraud Taschner)
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