Politik

Die Arbeitsstättenverordnung soll Angestellte (wie hier in München) unter anderem besser vor Sonneneinstrahlung schützen. (Foto: dpa)

06.03.2015

Zoff ums Homeoffice

Eine neue Verordnung soll den Arbeiterschutz modernisieren – für die CSU klingt das Ganze reichlich bürokratisch

Bei der Umsetzung der geplanten Arbeitsstättenverordnung des Bundesarbeitsministeriums sind die Fronten verhärtet. Von einer „zeitgemäßen Anpassung der Regeln für den Arbeits- und Gesundheitsschutz arbeitender Menschen“ spricht der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), von einem „bürokratischen Irrsinn in Absurdistan“ die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). Dabei scheint die Verordnung zunächst durchaus sinnvoll zu sein.

Die Arbeitsstättenverordnung soll die von der Europäischen Union geforderten Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten verbessern. Dazu gehören beispielsweise ausreichende Beleuchtungs-, Lüftungs-, Heizungs-, Feuerlösch- und Versorgungseinrichtungen. Außerdem sollen Arbeitsplätze barrierefrei werden, den hygienischen Anforderungen entsprechen und mit Fluchtwegen ausgestatten werden. Nicht zuletzt sind Sanitär-, Pausen-, Erste-Hilfe- und Unterkunftsräume für zum Beispiel stillende Mütter vorgesehen. Die Einhaltung der Regeln soll vom Ausschuss für Arbeitsstätten (ASTA) überwacht und bei Verstößen geahndet werden.

Für die BDA ist der vorliegende Entwurf allerdings „überzogen, praxisuntauglich und nicht sinnvoll“: „Es gibt in Deutschland bereits seit rund 40 Jahren eine Arbeitsstättenverordnung, welche die maßgebliche Regelung für die Sicherheit und zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten trifft“, erklärt ein Sprecher von Präsident Ingo Kramer der Staatszeitung. Diese sei erst 2004 umfassend novelliert worden und enthalte zum Beispiel auch Regelungen zum Schutz von Nichtrauchern und Menschen mit Behinderungen. „Sofern die Bundesregierung die Arbeitsstättenverordnung ändern will, muss sie zu praktikablen Regelungen kommen, die deutsche Unternehmen nicht mit noch mehr Bürokratie belasten.“ Vor allem solle nicht über die Eins-zu-Eins-Umsetzung der EU-Vorgaben hinausgegangen werden.

Ähnlich kritisch äußern sich Arbeitsrechtler. Volker Rieble vom Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht bemängelt insbesondere das vorgesehene Recht des Arbeitsgebers und des Betriebsrats, den Arbeitnehmer an seinem häuslichen Arbeitsplatz zu kontrollieren. „Das ist mit der Unverletzlichkeit der Wohnung nicht vereinbar“, schimpft er. „Irrsinnig“ sei auch die strikte Tageslichtvorgabe für jeden Arbeitsplatz und die kurze Erreichbarkeit von Toiletten. „Soll wirklich in jedem Großlager und auf jedem Containerterminal alle 100 Meter ein Klohäuschen stehen?“, fragt er. Seiner Meinung nach hätten sich bei der Verordnung ein paar „Technik-Freaks“ ausgetobt und ein „theorielastiges Schutzkonzept“ entwickelt.

Alle 100 Meter ein Klo?

Auch Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) wirft Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vor, die Arbeitsstättenverordnung sei „voll von unsinnigen und absurden Bestimmungen, die allesamt praxisuntauglich“ seien. Laut Ministerium bestehe noch an vielen Stellen Klärungsbedarf: „Zum Beispiel: Welche Regelungen sollen denn nun sinnvollerweise für Telearbeitsplätze gelten, und wie soll der Arbeitgeber diese kontrollieren?“, konkretisiert Aigners Sprecher. Der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Landtag Erwin Huber (CSU) ist daher froh, dass das „Bürokratiemonster“ vorerst vom Kanzleramt gestoppt wurde. „Die Verständigung im Berliner Koalitionsausschuss hat ein klares Zeichen für unsere Mittelständler und für den Erhalt der Arbeitsplätze in Deutschland und in Bayern gesetzt“, betont der Abgeordnete. Bei einer Neuregelung sei es jetzt wichtig, nicht alle Unternehmer per se unter Generalverdacht zu stellen.

Für das Bundesarbeitsministerium ist die Arbeitsstättenverordnung aber noch lange nicht vom Tisch: „Die Gespräche laufen weiter“, versichert ein Sprecher von Nahles der BSZ. Die Verordnung sei erforderlich, um den technischen Entwicklungen und der veränderten Arbeitswelt Rechnung zu tragen. Natürlich werde dabei auch die Unverletzlichkeit der Wohnung gewahrt: „Im Wesentlichen ist nach der korrekten Einrichtung des Arbeitsplatzes keine weitere Besichtigung im Privatbereich mehr erforderlich“, beteuert das Bundesministerium. Nur dadurch herrsche Rechtsklarheit, was beispielsweise bei Arbeitsunfällen im Homeoffice wichtig sei.

Für den DGB in Bayern ist die ablehnende Haltung der Arbeitgeberverbände und von Teilen der Politik für einen modernen Arbeitsschutz nicht nachvollziehbar. So stamme die aktuelle Bildschirmverordnung beispielsweise aus dem Jahr 1996. „Jedem müsste aufgefallen sein, dass sich sowohl Bildschirme als auch unsere Gewohnheiten und Arbeitsweisen seitdem stark verändert haben“, tadelt die stellvertretende Vorsitzende Verena Di Pasquale. Sie sieht besonders die seit Jahren steigenden Zahlen im Bereich der psychischen Belastung mit großer Sorge. Außerdem sei die Arbeitsstättenverordnung nach zweijähriger Diskussion vom Arbeitsstätten-Ausschuss beschlossen worden. „Diesem gehören neben den Gewerkschaften Arbeitgeber, Unfallversicherungsträger und Wissenschaftler an.“

Für den bayerischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Markus Rinderspacher handelt es sich wegen der Zusammenführung der bisherigen Arbeitsstätten- und der Bildschirmarbeitsplatzverordnung um einen „Bürokratieabbau und nicht um eine Überbürokratisierung“. „Interessanterweise stammt sogar die am heftigsten kritisierte Vorschrift abschließbarer Schränke für alle Beschäftigten vom sächsischen CDU-Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich und nicht aus dem Bundesarbeitsministerium“, sagt er der BSZ. Rinderspacher vermutet hinter der Ablehnung der Arbeitgeberverbände eine Art Trotzreaktion auf den Mindestlohn.

Da bereits ein Viertel aller Deutschen im Homeoffice arbeitet, unterstützen auch die Landtags-Grünen die neue Arbeitsstättenverordnung. Wenn man die Kosten für einen krankheitsbedingten Ausfall eines Mitarbeiter gegenrechne, der wegen unzulässiger Räumlichkeiten beispielsweise einen Sturz erleide, gibt Kerstin Celina zu bedenken, seien die Pläne „sicherlich nicht so kostenintensiv, wie manche es derzeit glauben machen möchten.“ (David Lohmann)

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