Politik

Eine Möglichkeit: das Kind einfach zur Sitzung mitbringen (hier in Berlin). (Foto: dpa/Rainer Jensen)

31.10.2019

Zwergerl-Alarm im Gemeinderat

Wie kinderfreundlich sind eigentlich Kommunalparlamente? Die Staatszeitung hat sich umgehört

Vor elf Jahren sorgte der Landrat des Kreises Donau-Ries, Stefan Rößle (CSU), mit der Ankündigung für Aufsehen, als erster bayerischer Kommunalpolitiker in Elternzeit zu gehen. Gerade war er zum vierten Mal Vater geworden und er wollte nach eigenem Bekunden bei seinem Jüngsten nachholen, was er bei den älteren Kindern versäumt hatte. Nun ist ein Landrat zwar zuerst Verwaltungsbeamter, aber eben auch Mitglied des Kreistags. Im Kreistag erntete Rößle von seiner eigenen Fraktion dafür betretenes Schweigen, dafür kräftigen Applaus von der linken Seite des Kommunalparlaments.

Heute stellt sich die CSU an die Spitze der Bewegung. Kürzlich brachten zwei Mitglieder der CSU-Fraktion im Regensburger Stadtrat einen Antrag ein, der ehrenamtliches Engagement und die Sorge um den Nachwuchs besser vereinbart sehen will. Astrid Freudenstein (CSU), die bei der Kommunalwahl im März 2020 Oberbürgermeisterin werden will, und der Fraktionsvorsitzende der Christsozialen, Josef Zimmermann, beklagen: „Seit 1872 gibt es in Deutschland einen Mutterschutz für berufstätige Frauen, aber für ehrenamtlich engagierte Mütter und Väter im Stadtrat von Regensburg gibt es das bis heute nicht.“

Auch der Landtag ist gefragt

Konkret fordern sie, dass Eltern bis zu sechs Monate nach der Geburt für die Kinderbetreuung die Möglichkeit bekommen, sich beurlauben zu lassen. Ergänzend sollen neue Möglichkeiten der Abstimmung geschaffen werden, wenn Eltern nicht anwesend sein können. Zudem sollen die Aufwendungen für die Kinderbetreuung während Sitzungen für Kinder bis zwölf Jahre teilweise erstattet werden. Bisher ist es in den Kommunen so geregelt, dass man beim entschuldigten Fehlen in Veranstaltungen zwar weiterhin die Aufwandsentschädigung erhält, nicht aber das Sitzungsgeld.

Cornelia Trinkl (CSU) ist in ihrem Heimatort Röthenbach an der Pegnitz seit 2002 Stadträtin, 2008 zog die heute 37-Jährige auch in den Kreistag ein und seit 2014 bekleidet sie das Amt der stellvertretenden Landrätin – alles Ehrenämter. Zur Kommunalwahl im Frühjahr 2020 kandidiert die Gymnasiallehrerin als Landrätin für den Landkreis Nürnberger Land. Mit dem seit 2008 amtierenden Armin Kroder fordert sie einen Amtsinhaber heraus, der weitermachen möchte. Der Wahlkampf dürfte also heftig werden. Cornelia Trinkl hat eine vierjährige Tochter, im Dezember erwartet sie ihr zweites Kind.

Wie sie das vereinbaren will? Die junge Frau lacht: „Männliche Kollegen haben auch kleine Kinder – aber die fragt keiner.“ Persönlich habe sie das Glück, dass die Familie mithelfe bei der Kinderbetreuung. Den Antrag ihrer Parteifreundin Astrid Freudenstein findet sie trotzdem „charmant, weil er jungen Frauen die Angst davor nimmt, sich politisch zu engagieren“. Gut wäre es auch, wenn man über eine Vergütung für die Kinderbetreuung nachdenken würde, glaubt sie. „Und wenn ich als junge Mutter mal einen Termin nicht wahrnehmen kann, weil ich keinen Babysitter bekommen habe oder das Kind krank ist, dann erwarte ich dafür auch Verständnis.“

Verena Dietl (SPD), 38 Jahre alt und Mutter zweier Buben im Alter von fünf Jahren und neun Wochen, wurde vor wenigen Wochen nach dem überraschenden Parteiaustritt von Alexander Reissl neue Fraktionsvorsitzende im Münchner Stadtrat. Derzeit nimmt sie den Kleinen mit in die Sitzungen. „Zum Glück habe ich ein sehr stilles Kind, das klappt ganz gut.“ Genau wie bei ihrer fränkischen Kollegin hat aber auch die Familie viel Unterstützung geleistet. „Ich möchte anderen jungen Frauen mit meinem Beispiel Mut machen, dass man beides unter einen Hut bekommt, das Mandat und die Kinder.“ Was sie sich wünscht: „Dass manche älteren männlichen Kollegen Verständnis zeigen, wenn man etwas später zu einer Sitzung kommt. Und eine Betreuungsmöglichkeit im Rathaus für die Zeit der Sitzungen wäre schön.“

Auch wenn es noch keine offizielle Regelung gibt – in vielen Kommunen hat man bereits Lösungen gesucht. Christine Schüßler, Leiterin des Bürgermeisteramts in Nürnberg, erzählt: „Es kommt immer wieder vor, dass kleine Kinder in die Sitzung mitgebracht werden. Da stört sich niemand dran.“ Und Christian Porsch, Sprecher des Bezirkstags Oberfranken, weist darauf hin, dass es auf dem Gelände der Bezirksverwaltung Zimmer gebe, in denen Kinder spielen können. Constanze Mauermayer, Sprecherin des Bezirks Oberbayern, berichtet, dass wiederholt Mamas ihre Zwergerl mit in die Sitzung gebracht und dort gestillt hätten. Dafür hätten alle Verständnis.

In München gibt es eine festgeschriebene Regelung vom Juli 2018: „Beantragt ein weibliches Stadtratsmitglied innerhalb der gesetzlichen Mutterschutzfristen eine Befreiung von der Pflicht zur Sitzungsteilnahme, ist diese vom Oberbürgermeister zu gewähren.“ Auch auf die Freistellung über den Mutterschutz hinaus nimmt der Beschluss Bezug: „In der Vergangenheit konnten die nötigen Freistellungen von der Verpflichtung zur Teilnahme an Sitzungen unbürokratisch gewährt werden. Die Landeshauptstadt beabsichtigt weiterhin, junge Mütter und Väter, die sich um ihre Kinder kümmern wollen, an den Stadtratssitzungen als entschuldigt anzusehen.“ Zudem dürfen Kinder in die Sitzungen mitgenommen werden.

Ob ehrenamtliche Stadt- und Gemeinderäte ihre Aufwandsentschädigung während der Elternzeit bekommen, müsse der Landtag über die Gemeindeordnung klären, erklärt Gunnar Schwarting von der Hochschule für Verwaltungswissenschaft in Speyer. Die Möglichkeit, das allein über die jeweilige Geschäftsordnung des Kommunalparlaments zu regeln, sieht er nicht. Bei Städten wie München, die vergleichsweise hohe Aufwandsentschädigungen zahlen, stelle sich auch die Frage, wie es mit der Verrechnung des eigentlichen Elterngelds – also für den Hauptberuf – aussehe. Hier sei wiederum der Bund gefragt.

Zeit also für einheitliche, klare Regelungen allerorten. (André Paul)

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