Unser Bayern

Ausschnitt aus einer Grafik (um 1515/1520) von Hans Wurm. Sie zeigt Nürnberg von Süden. Im Stadtinneren sind die Türme der älteren, inneren Stadtumwehrung zu erkennen. Eine große Anzahl der Türme war mit Wohnungen ausgebaut und vermietet. (Foto: GNM)

06.05.2022

Begehrte Oberstübchen

Wenn sie nicht zur Verteidigung benötigt wurden und weil Wohnraum knapp war, vermieteten viele Orte ihre Stadttürme

Die Türmerwohnung ist ein bekanntes Phänomen. Aber eine zusammenfassende architekturhistorische Untersuchung des Wohnens im Turm fehlt bisher. Dies überrascht, ist doch besonders im 20. Jahrhundert das Wohnen im Hochhaus immer wieder gleichgesetzt worden mit dem Wohnen im Turm. Der Fokus dieses Artikels liegt auf den Woh-nungen in den Türmen der Stadtbefestigung.

Sicher können und müssen viele dieser Turmwohnungen präzise als Dienstwohnungen ange-sprochen werden, da sie eben auch Dienst- und Arbeitsort waren. In kleinen Städten mit einem Turm, höchstens zwei oder maximal drei Türmen überstieg die Zahl der Türmer, Wächter und Soldaten jedoch schnell die der vorhandenen kommunalen Turmwohnungen.

Das Wohnen im Turm wird gemeinhin mit dem Türmer in Verbindung gebracht, dessen Hauptaufgabe es war, nach Feuer und Feinden Ausschau zu halten. Darüber ist in Vergessenheit geraten, dass Wohnungen in Türmen auch dann anzutreffen sind, wenn sie nicht als Dienstwohnung für einen Türmer dienten. Für die Kleinstadt Creglingen (Main-Tauberkreis/Baden-Württemberg) ist zum Beispiel überliefert, dass Hannß Schneider, der als „Haußgenoße“ und nicht als Türmer bezeichnet wird, im Jahr 1703 in einem Turm wohnte. Eine reguläre Vermietung von Turmwohnungen dürfte in diesen kleinen Städten dennoch die Ausnahme gewesen sein, kann aber keinesfalls ausgeschlossen werden. Umgekehrt muss festgestellt werden, dass längst nicht alle Türmer auch auf den jeweiligen Wachtürmen gewohnt haben. Wohnungen in Türmen waren also nicht nur für Türmer und Soldaten eingerichtet worden, sondern standen gegebenenfalls auch dem freien Mietmarkt zur Verfügung.

Die Ursache für das Wohnen im Stadtturm dürfte im Mangel an Ressourcen gelegen haben. Wohnraum war in den meisten Zeiten knapp, zu knapp um ein Gebäude nicht bestmöglich zu nutzen. Der Turm innerhalb der Stadtbefestigung diente primär der Verteidigung. Da sich der Ver-teidigungsfall jedoch auf wenige und zählbare Momente in der jeweiligen Stadtgeschichte beschränkte, war es nur konsequent, den Stadttürmen zusätzliche Nutzungen zu geben. Dies trifft insbesondere bei großen Verteidigungsanlagen mit einer Vielzahl an Türmen zu.

Die Wohnungen in den Türmen sind stets mehr oder weniger bescheiden in ihren Dimensionen. Aus heutiger Perspektive scheint es kaum vor-stellbar, dass dort mehrköpfige Familien gewohnt hatten. Allerdings gab es ohnehin viele sehr kleine Mietwohnungen, von denen sich die Turmwoh-nungen in ihren Grundzügen nicht sehr unterschieden. Dies gilt auch für die Infrastruktur, die sich auf einen Herdstandort mit Ofen beschränkte: Fließendes Wasser und Abwassersysteme fehlten in allen Kleinwohnungen der Vormoderne. Der größte Unterschied liegt im Kraft- und Zeitaufwand, diese Wohnungen zu erreichen und Gebrauchsgüter samt Wasser dorthin zu transportieren beziehungsweise Unrat wieder abzutransportieren. Da viele Türmerwohnungen seit Langem aus der Nutzung gefallen sind, ohne baulich überformt oder gar zerstört worden zu sein, geben sie vielleicht am eindrücklichsten die Wohn- und Lebenssituation der städtischen Unterschicht vor 1800 wieder.

Im Folgenden geht es zuerst um  Turmwohnungen in Nürnberg, daran schließt sich ein Vergleich mit anderen großen Städten an. Dass sich die Wohnsituation in den Befestigungsanlagen von Kleinstädten in vielerlei Hinsicht von denen der Großstädte unterschied, wird separat anhand mehrerer fränkischer Kleinstädte aufgezeigt.

Nürnberg

Nürnberg als bedeutendste und größte fränkische Stadt besitzt bis heute einen imposanten Mauerring des späten Mittelalters. In der Stadtbeschreibung des 18. Jahrhunderts wer-den 84 Türme an der inneren und 45 Türme an der äußeren Mauer genannt. Um das Jahr 1400 mit dem Bau des letzten Mauerrings wird die Ge-samtzahl der Stadttürme auf 130 rekonstruiert. Die Stadtmauer ist seit dem Mittelalter in vier Abschnitte unterteilt, die nach den vier Farben Schwarz, Blau, Rot und Grün benannt sind. Die Türme in den jeweiligen Abschnitten wiederum sind alphanummerisch durchnummeriert, sodass jeder Turm anhand der Farbe und des Buchstabens eindeutig zu identifizieren ist: Zum Beispiel Rot X, Schwarz D und so fort.

Auch die Nürnberger Türme hatten nicht nur Verteidigungsfunktion: Vielfach wurden sie als Woh-nung von jeweils einem Haushalt genutzt. Anga-ben zur Anzahl der vermieteten Stadtmauertürme finden sich bereits im 15. Jahrhundert: 1431 sind 73 vermietete Wohnungen in den Stadtmauer-türmen erfasst, hinzu kamen drei weitere Wohnungen im Bereich der Befestigung. 1468 erzielte die Stadt Einnahmen aus 58 vermieteten Türmen. Die Anzahl geht am Ende des Mittelalters erstaun-lich stark zurück: 1510 sind nur noch 37 vermietete Türme überliefert. Knapp 50 Jahre später wa-ren 42 Türme vermietet, darunter aber auch fünf Türme im Bereich der älteren (inneren) Stadtmauer, sodass die Zahl der vermieteten Türme in der äußeren Mauer konstant geblieben war.

Im Zeitraum zwischen 1699 und 1762 lassen sich 44 vermietete Stadtmauertürme nachweisen, sechs weitere Türme wurden erst im 18. Jahrhundert dem freien Mietmarkt zugeführt. Von diesen 50 Türmen haben sich 33 mehr oder weniger gut erhalten. Die größten Verluste sind im Bereich des blauen Abschnitts zu verzeichnen. Dort waren im 18. Jahrhundert von insgesamt 23 Türmen 14 frei vermietet, nur sechs sind erhalten.
In Nürnberg lassen sich zwei Gruppen von Bewohnern in den Türmen definieren. Zum einen waren dies die Türmer, Torwächter und sonstige Sicherheitsfachleute. Dies gilt zum Beispiel (...)

Verweildauer

Das Zinsmeisteramt scheint es gerne gesehen zu haben, wenn ein neuer Mieter den bisherigen alten und alleinstehenden Mieterinnen ein Wohnrecht einräumte. Dabei handelte es sich nicht in jedem Fall um Familienangehörige. Christoph Friedrich Rupper erhielt 1733 den Zuschlag für die Wohnung im Turm Blau X, weil er per schriftlicher Zusage die Witwe Barbara Precklinger weiterhin dort bei sich wohnen ließ. Die Zusage wurde schriftlich festgehalten.

Die Wohnungen waren demnach so attraktiv und wohl auch günstig, dass sich trotz solcher Verpflichtungen ausreichend Bewerber fanden. Das belegen mehrere Indizien. So sind in Akten häufig regelrecht inständige Bitten von Bewerbern überliefert. Für die Attraktivität des Mietpreises spre-chen die Mietdauer und der Mieterwechsel innerhalb einer Familie. In den betrachteten 44 Türmen gab es zwischen 1699 und 1762 insgesamt nur 148 Mieterwechsel, das sind durchschnittlich 3,36 Wechsel pro Turm in 64 Jahren. Die Verweildauer betrug demnach durchschnittlich 19 Jahre. In knapp 40 Prozent der Fälle wurde die Wohnung an Familienmitglieder weitergegeben, an die Witwe oder ein Kind. Berücksichtigt man den Mie-terwechsel innerhalb der Familie nicht, so sind es sogar nur 91 Mieterwechsel. Dies bedeutet, dass eine Familie durchschnittlich einen der Türme gut 30 Jahre gemietet hatte. In den anderen städtischen Mietwohnungen betrug die Verweildauer 15,5 Jahre. Die durchschnittliche Dauer eines Mietverhältnisses liegt heute bei zehn Jahren. (...)

Kleinstädte

Die Befestigungsanlagen der gro-ßen Städte lassen sich nicht direkt vergleichen mit den Mauerzügen in Kleinstädten. Letztere verfügten in der Regel nur über wenige Stadttürme. Ausreichend groß, um darin zu wohnen, waren häufig nur die Türme über den Stadttoren.

Uffenheim gehörte zum Markgraftum Brandenburg-Bayreuth und war Oberamtsstadt. Die Bewohner der Türme lassen sich erst anhand der Ur-aufnahme von 1834 fassen. Zuvor finden sich nur einzelne Hinweise. An erster Stelle sei der Obere Torturm, das Würzburger Tor, genannt. Die Tor-befestigung wurde im 17. Jahrhundert stark ausgebaut. 1686 wohnte der obere Torwart, Hans Kuttreuf, im Torvorbau und ein weiterer Haushalt im Turm selbst. 1834 befanden sich im WürzburgerTorturm eine Torwärter- und eine Türmerwohnung. Eine weitere Wohnung existierte im Unteren Torturm, dem Ansbacher Tor. 1732 waren dort das Gefängnis und die Wohnung des Amtsknechts untergebracht. Später, 1834, finden sich das Gefängnis und eine Polizeidienerwoh-nung im Heinrichsturm, einer zweigeschossigen Eckbastion im Nordwesten der Stadt. 100 Jahre zuvor, 1732, wohnte dort noch der Feldwächter.

Neben den beiden Tortürmen und der Eckbastion lässt sich zumindest zeitweise auch für den sogenannten Bürgerturm eine Wohnnutzung nachweisen. Bei diesem Turm handelt es sich um einen schlanken und nahezu fensterlosen Rundturm. Im Jahr 1732 wohnte dort der Kuhhirte. Die Wohnsituation muss sehr ärmlich gewesen sein, hat der Turm doch lediglich einen Außen-durchmesser von 5,5 Metern.

Interessant ist, dass die Nutzung der Türme in Uffenheim einem Wechsel unterworfen war und die Wohnungen unterschiedlichen öffentlich Bediens teten zugeteilt waren. Eine Fremdvermietung der Turmwohnungen ist bisher in diesem Ort nicht nachweisbar.

Lauf an der Pegnitz gehörte seit 1504 zum Territorium der Reichsstadt Nürnberg. Der Stadtmauerring verfügte über drei bewohnte Tortürme und einen Batterieturm in der Südwestecke der Befestigungsanlage. Von diesen vier Türmen wurde lediglich der Torturm am Wassertor später abgebrochen. 1717 lebten fünf Haushalte in den vier Türmen, nur zwei Haushalte können dienstlich in Zusammenhang mit der Stadtbefestigung gebracht werden. Bei Georg Merz und der Untermieterin Kunigunda Dümblerin wird klar, dass sie keine Verteidigungs- oder Wächteraufgaben hatten und entsprechend auch an einem anderen Ort hätten wohnen können. Bei Conrad Feilner und Peter Lauer fehlen die Berufsangaben, sie dürften demnach aber auch nicht in einem öffentlichen Dienstverhältnis gestanden haben.

Die Amtswohnung auf dem Wasserturm lässt sich hingegen auch noch 1807 nachweisen: Dem  Landknecht wurden für die Wohnnutzung 50 fl  als Naturalleistung angerechnet.

Der Judenturm in Lauf repräsentiert einen ande-ren Typ der Turmwohnung. In dem erhaltenen Plan aus der Zeit um 1820 wird als Käufer noch der Dienstknecht Paulus Dornauer für die bestehende Wohneinheit im 3. Stockwerk sowie eine neu einzurichtende Wohnung im 2. Stock genannt. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich der Wohnungszuschnitt im Obergeschoss gegenüber dem Jahr 1717, als der Turm an Peter Lauer vermietet war, nicht geändert hat. Zudem wurde die im Plan eingezeichnete Schmiede be-reits im Jahr 1729 im Erdgeschoss eingerichtet. Diese war an den Schmied Leonhard Gattner ver-mietet, möglicherweise einem Vorfahren des späteren Käufers. Der Nagelschmied bewohnte eine Wohnung direkt oberhalb der Schmiede. Zusätzlich zu der Wohnung im Fachwerkgeschoss muss demnach bereits im 18. Jahrhundert eine weitere Wohnung im Turm eingebaut gewesen sein ... (Thomas Wenderoth)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in UNSER BAYERN, Ausgabe Mai/Juni 2022 (BSZ Nr. 18 vom 6. Mai 2022)

Abbildungen:

Der fünfgeschossige Turm an der Nürnberger Frauentormauer verfügte ursprünglich an den Ecken des Daches über vier kleine Turmerker, die auch als Scharwachttürme bezeichnet werden. Der Eingang erfolgt erdgeschossig von der nördlich gelegenen Stadtmauerstraße. (Foto: SZPhoto, Aufmaß: U.Schindler, E.Waldmann, Bearbietung: Leander Pallas, Lea Sinan)

Das Würzburger Tor in Uffenheim. Im „Oberen Torturm“ lassen sich seit dem 17. Jahrhundert zwei Wohnungen nachweisen. Im Vorbau (Barbakane) wohnte der obere Torwart (Hans Kuttreuf), im eigentlichen Turmobergeschoss war ein weiterer Haushalt untergebracht. (Foto: dpa: Daniel Karmann)

 

 

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