Unser Bayern

Ein bischen Zirkus vom fahrenden Volk war auf manchem Dorfplatz gerne gesehen - aber zunehmend nahm an speziell an Bärentreiber Anstoß - und zwar in Sorge um die Tiere. (Foto: Getty Images)

21.03.2014

Bewundert und gehasst

Serie "Aktenkundig": Die anfängliche Faszination für Zigeuner wich bald dem Ordnungseifer, die Nichtsesshaften wieder los zu werden

Zigeuner – heute ist der Begriff verpönt. Er wird nur noch in „rechten" Kreisen diffamierend benutzt. Früher war der Begriff in Akten gang und gäbe – freilich hatte er auch damals eine diskriminierende Konnotation. Zum einen beschrieb er Menschen, die einen unsteten Lebenswandel führten; es genügte, nur wenige Monate „nach Zigeunerart" gelebt zu haben, um in den Akten als Zigeuner abgestempelt zu werden. Zum anderen wurde versucht, mit ihm Menschen unter eine Ethnie zu subsumieren. Zigeuner: teils gehasst, teils romantisierend bewundert. Sie dürften – ethnisch betrachtet – ihren Ursprung in Indien gehabt haben. Sie kamen in mehreren Wanderungswellen auf das europäische Festland. Im 14. Jahrhundert ist ihre Anwesenheit in Griechenland aktenkundig, in Deutschland treten sie 1417 in den Hansestädten auf, 1424 ist ihr Erscheinen in Regensburg dokumentiert. Wo sie auftauchten, waren sie zunächst nicht ungern gesehen. Ihre Geschichten faszinierten: Den Quellen zufolge behaupteten, sie aus Ägypten zu kommen. Und ihr Nomadentum sei eine Strafe dafür, dass sie einst der Heiligen Familie auf deren Flucht keine Aufnahme gewährt hätten. Ein andermal erzählten sie, ihnen sei vom Papst eine temporäre Strafe für ihren zeitweiligen Abfall vom Christentum auferlegt worden. Die bewusst gewählte Unbehaustheit und das stetige Reisen auch zu heiligen Orten, ganz wie es Jesus vorgelebt hatte, brachte ihnen sogar Wertschätzung ein: Ihre Grafen, Herzöge und Könige wurden von den Städten, auch Regensburg, mitunter reich beschenkt. Das fügte sich in das soziale Sicherungssystem der Zeit: Dem Einzelnen war aktive Nächstenliebe abverlangt, vor allem für jene, die in der Nachfolge Christi Not litten. Allerdings ließ sich dieser Pilgerschwindel nicht dauerhaft aufrecht erhalten. Zweifel kamen auf, ob sich die „Czigainer" tatsächlich einem Leben der Buße verschrieben hatten – ihr Betteln rief schließlich Ressentiments hervor. Sie gerieten in den Dunstkreis der Zauberei, Hexerei und allerlei anderweitiger krimineller Machenschaften. Eine zusätzliche Verschlechterung ihres Ansehens trat mit dem Fall von Konstantinopel 1453 und der aufkeimenden Türkenhysterie ein, die auch auf die Zigeuner übertragen wurde. Man verdächtigte sie, türkische Spione zu sein. Sie wurden deshalb 1498 aus Deutschland ausgewiesen, was aber nicht konsequent umgesetzt wurde. Allerdings gelang es den Zigeunern deshalb nicht, später in die hieratischen Zünfte aufgenommen zu werden. Also mussten sie weiterhin als nomadisierende Handwerker in der Metallbearbeitung oder als Korbflechter ihr Dasein bestreiten. Ihr Image litt nicht zuletzt darunter, dass viele mangels Erwerbsmöglichkeiten dem Bettel nachgingen oder Räuberbanden bildeten. Ablehnung und Misstrauen zwischen der Bevölkerung und den fremdartigen Zigeunern eskalierten auch hin und wieder: Es gab regelrechte Kleinkriege, wie ein derartiger Fall für das Jahr 1661 im Pfleggericht Neunburg vorm Wald zeigt: Demzufolge versuchte am 6. März 1661 eine Gruppe von über 20 Zigeunern in Fuchsendorf unter Androhung der Brandschatzung ein Nachtquartier zu erhalten. Die Einwohner widersetzten sich und sandten um Hilfe nach Neunburg (vorm Wald), die auch prompt eintraf. Die Dörfler verfolgten unter Leitung des Pflegers die inzwischen nach Jedesbach abgezogenen Zigeunern, die dort in Scheunen ihr Quartier aufgeschlagen hatten. Man stöberte sie auf, vertrieb sie unter vorgehaltenen Gewehren und nahm drei von ihnen in Gewahrsam – diese wurden nach 25 Tagen Haft bis an die Landessgrenze „verschubt". Diese Maßnahme wäre wenige Jahrzehnte später kaum mehr denkbar gewesen: Der französische König Ludwig XIV. ließ „seine" Zigeuner vertreiben – was zu massiven Wanderungsbewegungen in den angrenzenden deutschen Ländern führte. Das Strafrecht wurde drastisch verschärft. Es begann die Zeit der Zigeuner-Schrecktafeln, die an den Landesgrenzen aufgestellt wurden: In Wort und Bild war darauf zu sehen, was die Zigeuner zu erwarten hatten: Auspeitschungen, Hinrichtungen mit dem Strang oder dem Schwert und Ähnliches. In Bayern erfolgte 1716 die Aufstellung derartiger Tafeln mit der Inschrift: „Todesstrafe den das Land Bayern betretenden Zigeunern befohlen". Mitte des 18. Jahrhunderts verschwinden die Zigeuner aus den Poenal-Mandaten – die übrigens keineswegs so umfassend und blutrünstig umgesetzt worden sind, sondern sich im Rahmen der üblichen Strafzumessungen für die jeweiligen Delikte bewegten. Grund dafür war, dass der frühneuzeitliche Wohlfahrtsstaat nunmehr gegen die Gesamtheit der Vaganten vorging, von denen die Zigeuner nur ein Teil waren. Die Versorgung aufgegriffener Vaganten bürdete man deren Geburtsgemeinden auf – was aber bei Ausländern oder Heimatlosen nicht möglich war. So blieb meist die Verschubung an geeignete Landesgrenzen oder gelegentlich die Zwangsrekrutierung bei wiederholt Abgeschobenen. Einen dauerhaften Erfolg bei der Bekämpfung des umherziehenden Volkes konnte man so allerdings nicht erzielen. Auch die Effizienz der aus bewaffneten Bürgern und Landleuten rekrutierten „Zigeunerstreifen" ließ wohl zu wünschen übrig; in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden diese Organisationen jedenfalls professionalisiert: spezielle Militäreinheiten wurden als Bettel- oder Vagantenstreifen ausgewiesen. Die Wirkungslosigkeit der Mandate in dieser Zeit lässt sich sicherlich auch auf einen Interessenskonflikt zwischen Machthabern und Beherrschten zurückführen. Zigeuner boten nämlich der ansässigen Bevölkerung durchaus Dienstleistungen, die gerne angenommen wurden: allen voran die musikalische und artistische Unterhaltung, aber auch der Handel mit nützlichen Kleingeräten wie Töpfen, Pfannen, Krügen und Kesseln. Nicht zu vergessen: Manch guter Christ ging ganz gerne zur Wahrsagerin oder versuchte es mit der Zigeunern nachgesagten Zauberei und allerhand anderen magischen Praktiken... (Christoph Bachmann) Lesen Sie den vollständigen Beitrag im Märzheft von Unser Bayern (BSZ Nr 12 vom 21. März 2014) Abbildungen: Weit entfernt von der im Dreivierteltakt besungenen Operettenseligkeit schlug umherfahrenden Zigeunern Argwohn und Ablehnung entgegen, in den Akten sind auch Verfolgungsjagden dokumentiert. Obwohl sie auch gute Handwerker waren, blieben sie von den Gilden ausgeschlossen. In den oft vielköpfigen Familien mussten selbst die Kinder mitmachen, wenn kleinere Haushaltsgerätschaften hergestellt wurden. (Foto: Getty Images) Während das fahrende Volk immer mehr aus dem öffentlichen Bild verbannt wurde, erfreuten sich romantisierende Vorstellungen vom ungezwungenen, lustigen Zigeunerleben bei Schriftsteller, Malern, Opern- und Operettenlibrettisten ungeschmälerter Beliebtheit. (Foto: SZPhoto)

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