Unser Bayern

Innenraumansicht der Klosterkirche Mariä Himmelfahrt nach der Restaurierung im Jahr 2018, die notwendig geworden war, nachdem infolge von Sturmschäden Wasser in den Dachraum und auf das Baitzgewölbe eingedrungen war. Die Feuchtigkeit führte zu Verfärbungen und Abblättern von Putz und Stuck. (Foto: Norbert Sterl)

12.05.2023

Hadern mit der Kunst

Aus der bewegten Bau- und Ausstattungsgeschichte einer neubarocken Klosterkirche im niederbayerischen Thyrnau

Zisterzienserklöster wurden seit jeher zur Ehre Mariens, zu „Unserer lieben Frau“, gegründet. Dieser Tradition entsprechend haben auch die Zisterzienserinnen der Abtei St. Josef in der nie-derbayerischen Gemeinde Thyrnau ihren 1912 bis 1914 errichteten Klosterkirchenneubau der „Aufnahme Mariens in den Himmel“ gewidmet  und als Bildthema für den Hochaltar vorgegeben. Angesichts hoher Neubaukosten nahmen sie im Jahr 1915 gerne das Angebot des Kapuzinerpaters Gabriel Scheibenzuber aus Altötting an, das Hochaltarbild sowie ein „Heiligstes Herz Jesu“-Bild kostenlos zu malen. Doch die Freude hierü-ber war nicht von langer Dauer.

Das Hochaltarbild zeigte die Himmelfahrt Mariens vor den Augen der Jünger und der Frauen am geöffneten Grab. Eine Figur im Vordergrund in weißer Kleidung und Mönchstonsur sollte vermutlich den hl. Bernhard darstellen. Das Bild ist heute nicht mehr erhalten. Bekannt ist aber, dass von der Fachwelt die Malkunst von Pater Gabriel Scheibenzuber offenbar nicht sonderlich geschätzt wurde. So erfuhr sein Angebot in den 1920er-Jahren, die Deckenmalereien für die Wallfahrtskirche Kappl bei Waldsassen wiederum kostenlos anzufertigen, vom Landesamt für Denkmalpflege eine Ablehnung mit der Begründung, dass er „keine künstlerische Kraft sei“. Auch die Thyrnauer Klosterchronik berichtet bereits kurz nach Fertigstellung der beiden Altarbilder in der Klosterkirche, dass sich „Sachverständige gegen einen künstlerischen Wert derselben“ geäußert hätten. Die Abtei entschied daher im Zuge der Errichtung der beiden Seitenaltäre in den Jahren 1926 und 1927, auch die beiden Hochaltarbilder neu anfertigen zu lassen.

Beauftragt wurde diesmal die talentierte Malerin, Zeichnerin und Maria-Ward-Schwester Mater Immakulata Weidinger (1895 bis 1962). Sie hatte an der Kunstakademie in München studiert, war anschließend in den Orden der Englischen Fräulein eingetreten und arbeitete als Zeichenlehrerin, Erzieherin und Oberin im Institut Niedernburg in Passau, später als Oberin des Instituts Freudenhain in Passau. Ihre Zeichnungen, Aquarelle und Bilder sind heute wenig bekannt. Für den Hochaltar der Thyrnauer Klosterkirche fertigte Mater Immakulata Weidinger 1932 ein Altarbild der Aufnahme Mariens in den Himmel im Geist der Nazarener: Maria steht im Licht des geöffneten Himmels, umringt von geflügelten Engelsköpfen und zu ihren Füßen zwei Kinderengel, die Lilien darbringen und Rosen streuen. Diese romantisierende Art der Darstellung der Himmelfahrt Ma-riens, deren ausgeprägtes Frömmigkeitspathos noch bis in das 20. Jahrhundert hinein ein beliebtes Motiv für Heiligen- und Madonnenbilder war, wurde spätestens seit der Nachkriegszeit als trivial angesehen und kaum mehr wertgeschätzt.

Das muss auch in der Abtei Thyrnau der Fall ge-wesen sein, da man bereits 1948 abermals ein neues Hochaltarbild anfertigen ließ. Das Marienbild von 1932 ist bis heute im Kloster Thyrnau erhalten und im Zellentrakt St. Maria aufbewahrt. Das ebenfalls von Mater Immakulata Weidinger gemalte Altarauszug-Gemälde Heilige Dreifaltigkeit gab die Abtei nach einer 1961 durchgeführten grundlegenden Kirchenmodernisierung als Schenkung an ihr Tochterkloster im bolivianischen Apolo.

Das heutige Hochaltarbild malte 1948 der Salvatorianerpater Ivo (Josef) Schaible (1912 bis 1990). Er hatte in Passau Theologie studiert, wurde 1939 im Dom zu Passau zum Priester geweiht und studierte von 1946 bis 1951 an der Akademie der Bildenden Künste in München Fresko- und Monumentalmalerei. Anschließend war er bis 1964 Missionar in Kolumbien und entwickelte sich zu einem bedeutenden Sakralkünstler, zudem wirkte er als Landschafts- und Porträtmaler sowie als Glaskünstler. Bereits während seines Studiums führte er eine Reihe von kirchlichen Aufträgen aus.

In dieser frühen Schaffensphase malte Schaible für die neubarocke Klosterkirche in Thyrnau ein neues Altarbild, das er, inspiriert von dem Mariä-Himmelfahrt-Bild des Bologneser Malers Guido Reni, im Stil der italienischen Malerei des 17. Jahrhunderts gestaltete. Als Entgelt zahlten die Schwestern dafür „in bar 200 M(ark) und fünf neue Meßkleider“, wie in der Chronik des Klosters vermerkt ist. Das Hochaltarblatt zeigt die Aufnahme Mariens in den Himmel, emporgetragen von drei Engeln und begleitet von zwei Kinderengeln. Einer der beiden Kinderengel trägt einen Strauß Lilien, mit denen Maria in der Kunst häufig dargestellt wird. Unter der aufsteigenden Figurengruppe treten die Wolken in der rechten unteren Bildecke zurück und geben den Blick auf die südwestliche Ansicht der Thyrnauer Klosteranlage frei.

Die Geschichte der Zisterzienserinnen der Abtei Rathausen-Thyrnau lässt sich bis in das 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Im Jahr 1245 erwarb der wohlhabende Schweizer Bürger Peter Schnyder nahe Luzern ein Landstück („Riedholz“) an der Reuss und stiftete es an die Zisterzienserabtei Kappel. Mit dieser Stiftung schuf er für eine in der Gegend ansässige Gruppe von Beginen, frommen Frauen und Schwestern, die dort in religiöser Gemeinschaft lebten, die Voraussetzungen für die Errichtung eines Klosters. Die kirchliche Bestätigung für die Klosterneugründung erfolgte 1251 durch Bischof Eberhard von Konstanz. Er nannte den Ort Domus consilii, Rathausen, und gestattete den Schwestern, nach den Konstitutionen der Zisterzienser zu leben. 1259 wurden Kirche und Kloster in Rathausen geweiht. Die vollständige Inkorporation in den Orden erlangte das Kloster 1261. Die zu dieser Zeit amtierende Magistra, Meisterin Mechthild, die dem Rathauser Konvent vorstand, wurde gleichzeitig in den Rang einer Äbtissin erhoben.

Im 16. Jahrhundert kam es in den Luzerner Klöstern zu einem Niedergang klösterlicher Lebenskultur. In Rathausen sank die Zahl der Klosterfrauen auf vier Schwestern. 1588 wurden die Luzerner Frauenklöster Rathausen, Eberseck, Neuenkirch und Eschenbach reformiert und auf zwei Klöster zusammengelegt: Die jungen Schwestern kamen nach Rathausen, wo sie ein neues reformiertes Kloster beleben sollten, die alten Schwestern gingen nach Eschenbach. Die für Rathausen vorgesehenen Schwestern und Novizinnen verbrachten die Jahre bis 1592 zunächst im Kloster Friedenweiler im Schwarzwald, wo sie auf ein künftig geregeltes zisterziensisches Klosterleben vorbereitet wurden. In diesen vier Jahren wurde das alte Rathauser Kloster unter der Leitung des Priors von Cîteaux gemäß den Vorschriften des Zisterzienserordens völlig erneuert. Bei ihrer Rückkehr nach Rathausen zählte die Klostergemeinschaft sieben Schwestern und zwei Novizinnen. Das Kloster wurde einer strengen Klausur unterworfen und mit einer Ringmauer umgeben, die ausschließlich über das neue Torhaus einen Kontakt nach außen zuließ. Eine im Kloster Thyrnau erhaltene Federzeichnung aus dem Jahr 1651 zeigt die Klosteranlage nach dem Reform-Umbau.

Im 19. Jahrhundert wurde das Kloster Rathausen Opfer der Revolution in der Schweiz, die in einem Bürgerkrieg gipfelte, dem sogenannten Sonderbundskrieg. Zu den Verlierern dieses Krieges gehörte auch der Kanton Luzern, der aufseiten der konservativen Katholiken kämpfte, die einen zentralen Bundesstaat verhindern und die „Alte Eidgenossenschaft“ mit souveränen Kantonen erhalten wollten. Um die Reparationszahlungen an die Siegerkantone finanzieren zu können, hoben die in Luzern an die Macht gelangten Liberalen 1848 die Zisterzienserklöster St. Urban und Rat-hausen auf. Die Rathauser Schwestern mussten noch im selben Jahr das Kloster verlassen. Sie fanden für einige Jahre Unterkunft in Eschenbach und anderen Schweizer Frauenklöstern, bis es ihnen gelang, 1855 ein kleines ehemaliges Kapuzinerkloster in Schwyz anzumieten. Als 1874 die Schweiz in ihrer Bundesverfassung verfügte, dass aufgehobene klösterliche Gemeinschaften nicht länger im Land geduldet wurden, verließen die Schwestern die Schweiz endgültig und siedelten sich 1876 in Frankreich in dem ehemaligen Kapuzinerkloster Vézelise bei Nancy an.

Aber auch dieses Kloster mussten sie nach 25 Jahren wieder verlassen, weil mit der Einführung des französischen Vereinsgesetzes von 1901 die Selbstverwaltung der Ordensgemeinschaften weitgehend aufgehoben wurde und die Enteignung drohte. Vorübergehend verteilten sich die Schwestern auf Schweizer Zisterzienserinnenklöster und das Schlösschen Hahnberg bei Arbon am Bodensee, von wo aus sie Verhandlungen für eine künftige Niederlassung in Bayern aufnahmen. Denn auf Vermittlung des Abtes Konrad
Kolb der Zisterzienserabtei Marienstatt im Westerwald erhielten die Schwestern Unterstützung aus Bayern zunächst durch den Kapuzinerpater Augustin Heller, der zu dieser Zeit  Guardian in Burghausen war und eine Wiederbesiedlung des aufgehobenen Zisterzienserklosters Raitenhaslach bei Burghausen anstrebte. Weil die ehemalige Klosteranlage für die Rathauser Schwestern aber nicht erschwinglich war, stellte er Kontakt zu dem damaligen Passauer Dompropst, Landtags- und Reichstagsabgeordneten Franz Seraph von Pichler her, der die Schwestern fortan erfolgreich dabei unterstützte, in Bayern eine neue Bleibe zu finden. Er empfahl zwei geeignete Häuser in Niederbayern: das ehemalige Kloster Niederaltaich und das ehemals fürstbischöfliche Jagdschloss in Thyrnau. Niederaltaich musste ebenso wie zuvor Raitenhaslach aus Kostengründen ausscheiden. So fiel die Wahl auf das Schlossgut Thyrnau, das die Schwestern im März 1902 zum Preis von 78 000 Mark einschließlich der Nebengebäude und eines Grundbesitzes von etwa 30 Hektar erwarben. Vor dem Kauf musste das Bewilligungsdekret abgewartet werden, das Prinzregent Luitpold im Februar 1902 erließ und damit den Schwestern die Niederlassung in Thyrnau erlaubte. Am 12. März 1902 bezogen Äbtissin M. Juliana Füglister und fünf Mitschwestern das Schloss. Diesen Tag legten die Schwestern als Gründungsdatum des Klosters fest und stellten es unter das Patronat des hl. Josef sowie unter den Schutz der Gottesmutter. Im September 1902 war der Konvent in Thyrnau mit 20 Chorfrauen und 12 Laienschwestern vollzählig versammelt.

Die im 18. Jahrhundert als Sommersitz errichtete ehemalige Schlossanlage konnte aber nicht alle räumlichen Anforderungen einer Klostergemeinschaft erfüllen. Zudem hatte das Schlossgebäude seit der Säkularisation im Jahr 1803 neunmal den Besitzer gewechselt und seither kaum Pflege und Instandhaltung erfahren. Umfangreiche Instandsetzungs-, Umbau- und Erweiterungsbaumaßnahmen, darunter der Neubau einer Klosterkirche, waren damit der Aufpreis, um das barocke einstige Jagdschloss zu einer Klosteranlage ausbauen zu können.
Mit dem Ziel, auch in Thyrnau die Baustandards und Klausuranforderungen einer selbstständigen Abtei künftig erfüllen zu können, begann man im Jahr 1910 mit der Erweiterung der Klosteranlage und errichtete in diesem Jahr als Anbau an die Nordwestseite des Schlossgebäudes für die wachsende Klostergemeinschaft einen Zellentrakt mit Einzelzellen als Schlafräume.

1912 bis 1914 folgte der Neubau der Klosterkirche an der Südostseite des Schlossgebäudes. Mit der Bauplanung für den Kirchenbau beauftragten die Schwestern den renommierten Architekten Johann Baptist Schott. Mit seinem „Spezial-Architekturbüro für kirchliche Kunst“ in München war er im späten Historismus ein vielbeschäftigter Kirchenbaumeister, der vor allem in der Diözese Passau zahlreiche Kirchenbauten in den Stilformen der Neuromanik, der Neugotik und des Neubarock schuf. Wie zuvor bereits beim Anbau des Zellentrakts übernahm Architekt Schott auch bei der Planung des Kirchenneubaus die barocken Formen des Jagdschlosses aus dem 18. Jahrhundert ... (Norbert Sterl)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der Ausgabe Mai/Juni 2023 von UNSER BAYERN (Bayerische Staatszeitung Nr. 19 vom 12. Mai 2023)

Abbildung:
Die Aufnahme Marias in den Himmel war von den Thyrnauer Zisterzienserinnen als Motiv für den Hochaltar ihrer Klosterkirche vorgegeben. Aber erst die dritte Interpretation von 1948 hat dauerhaft den Geist und das ästhetische Empfinden des Ordens getroffen. Gemalt hat es der Salvatorianerpater Ivo Schaible, der auch die Akademie der Bildenden Künste in München besucht hatte.            (Foto: Nobert Sterl)

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