Unser Bayern

Edles Gewebe für den Kirchendienst (Ausschnitt): Kasel mit Stickerei aus Gold-, Silber- und farbigen Seidenfäden, Mittelamerika um 1650.

22.05.2015

Haute Couture für den Altar

In Regensburgs Dompfarrkirche Niedermünster hat sich ein umfangreicher Paramentenschatz erhalten

In dem von Fürstäbtissinnen regierten ehemaligen kaiserlichen Reichsstift Niedermünster in Regensburg lebten seit dem 9. Jahrhundert gebildete und selbstbestimmte Frauen in einer geistlichen Gemeinschaft. Niedermünster ist Grablege des Hl. Erhard, des dritten Bischofs von Regensburg. Nicht zuletzt aufgrund der sepulkralen Bedeutung der Stiftskirche, die als eine der ältesten Kirchen Bayerns über den inzwischen ausgegrabenen Ruinen römischer Gebäude steht, wurde aus Niedermünster eines der wohlhabendsten und angesehensten Damenstifte des Heiligen Römischen Reiches. Es war über seine weltlich lebenden Stiftsdamen, die über Privatbesitz und eigene Dienerschaft verfügten, auf das Engste mit dem bayerischen Adel verflochten. Die napoleonischen Umwälzungen am Beginn des 19. Jahrhunderts beendeten auch das reichsstiftische Leben in Niedermünster. Kurz nachdem die letzte Fürstäbtissin (1815) verstorben war, verließen die noch übrigen Damen das Stift freiwillig. 1821 wurde die Stiftskirche zur Dompfarrei erhoben, was diese bis heute geblieben ist. Die profanen Gebäudeteile des Stiftes sind seither Sitz des Ordinariates und der Bischöflichen Residenz. Jüngst wurde in der Dompfarrkirche ein Paramentenschatz wiederentdeckt, der sowohl qualitativ als auch quantitativ zu den herausragenden Textilschätzen Süddeutschlands gehört. Das älteste Stück dieser Kollektion wurde um die Mitte des 17. Jahrhunderts in Mittelamerika für den Export in den europäischen Markt gestickt, die jüngsten Meisterwerke des Bestandes stammen aus der Zeit des Jugendstils und des Art Deco. Der Schwerpunkt des Bestandes liegt auf Messgewändern aus Seidengeweben des 18. Jahrhunderts. Darunter befinden sich allein sechs vollständig erhaltene Festornate und fünf Kaseln mit ihrem Zubehör – einschließlich der reichen Posamentenbehänge und prachtvollen Pluvialschließen. Hinzu kommen mehrere virtuos bestickte Kaseln. Zu den umfangreichen Beständen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts gehören zwei große Ornate mit Traghimmeln und Fahnen sowie über 20 anspruchsvolle Kaseln, vier Pluviale, zehn prachtvolle Pastoralstolen und diverse Prozessionsfahnen der der Dompfarrkirche angeschlossenen Bruderschaften und Kongregationen. Die Bedeutung des Bestandes aus der Zeit des Damenstiftes liegt insbesondere darin, dass es sich dabei um sehr reich mit Gold- und Silberfäden broschierte Seidengewebe handelt, deren Erwerb aufgrund der ungeheuren Kosten dem Hochadel vorbehalten war. Es ist davon auszugehen, dass von diesen Seiden nur wenige Bahnen gewebt wurden. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass sich das Gegenstück zu einem der extravagantesten Ornate aus einem Goldgewebe mit Pelzbändern heute im Louvre befindet. Insgesamt führt der Paramentenbestand aus der Stiftskirche die wichtigsten stilistischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Seidenmuster zwischen 1700 und etwa 1770 vor Augen. Die Bestände der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts knüpfen in ihrer Motivik an die Stoffmuster des 17. und 18. Jahrhunderts an, während ab der Jahrhundertmitte motivisch eine Rückbesinnung auf das Mittelalter festzustellen ist. Mit der Vollendung des Domes zwischen 1870 und 1872 setzte das Bistum Regensburg nicht nur im Bereich der Außenarchitektur Maßstäbe, sondern ließ diesen auch im Bereich der Innenausstattung Erneuerungen folgen. Vor allem Domvikar Georg Dengler (1839 bis 1896) wirkte durch die jahrzehntelang von ihm herausgegebenen Vorlagensammlungen stilprägend. Die zunächst 1857 vom Christlichen Kunstverein der Diözese Rottenburg gegründete Zeitschrift Kirchenschmuck setzte er zwischen 1873 und 1895 als Neue Folge fort. Darin maß Dengler der Erneuerung der Paramentik besonderen Rang zu und beförderte damit die Paramentenreform im Sinne einer Rückwendung zu mittelalterlichen Vorbildern. Regensburg avancierte in der zweiten Jahrhunderthälfte hinsichtlich der Weiterentwicklung einer als zeitgemäß empfundenen, modernen Paramentik zu dem im deutschen Süden maßgeblichen Zentrum. Nur wenigen war dieser Schatz bisher bekannt, gleichwohl er zu den Kronjuwelen des kirchlichen Kunstgutes der Regensburger Stadtkirche zählt. 1923 wurden die bedeutendsten Stücke in der großen Reihe der Kunstdenkmäler von Bayern erwähnt, zwei davon mit Abbildungen gewürdigt. Einst rettete Erzbischof von Dalberg (1744 bis 1817) den exquisiten Bestand vor der Säkularisation, in den Jahren der Weltkriege gut versteckt, geriet die Sammlung seit Mitte des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit. Kenntnis über die historische Entwicklung, die dieser Bestand genommen hat, verdanken wir den wenigen noch erhaltenen Quellen und seltenen Inventaren des 18. Jahrhunderts an den bischöflichen, städtischen und staatlichen Archiven in Regensburg, München und Amberg. Hinweise auf Paramentenanschaffungen im 18. Jahrhundert enthalten ferner Leichenpredigten auf drei Fürstäbtissinnen. Woher die Fürstäbtissinnen die kostbaren Seiden bezogen, muss spekulativ bleiben, feststeht aber, dass diese ehemals zu höfischen Zeremonialroben verarbeitet waren und erst in ihrer Zweitverwendung dem Altar zugeführt wurden. Die teils noch deutlich zu erkennenden alten Faltenbrüche stammen aus der Zeit der Erstverwendung und deuten darauf hin, dass die ehemaligen Hofkleider als Robe à la Française gearbeitet waren. Die Anschaffung einer Hofrobe verursachte enorme Kosten. Es war üblich, sie nach ihrer oft nur einmaligen Nutzung bei Hofe entweder als fromme Stiftungen an die Kirche zu geben, oder sie wieder zu veräußern. Dies führte im 18. Jahrhundert zu einem regen Handel mit fürstlichen Zeremonialroben aus zweiter Hand, die zu einem Bruchteil der ursprünglichen Anschaffungskosten zu erwerben waren. Als Abnehmer hatten die Händler gezielt Käufer aus dem Umfeld der katholischen Amtskirche im Blick, da diese weniger den aktuellen Modelaunen der Muster unterlagen, sondern bei den Stoffen für Messgewänder eher die Kostbarkeit und die liturgischen Farben in Betracht zogen. Es ist möglich, dass auch die Fürstäbtissinnen von Niedermünster auf diese Weise in den Besitz der exquisiten Seiden gelangten, die dann von einem in den Archivalien erwähnten „Ornateschneider" im Stift umgearbeitet wurden... (Matthias Mayerhofer) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Mai-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 21 vom 22. Mai 2015) Abbildung:
Dalmatik aus zwei Seidengeweben mit spätbizarren Mustern und Behang aus Goldquasten, Lampas, überwiegend broschiert mit Gold- und Silberfäden und wenigen farbigen Seiden, Italien (Venedig?) oder Frankreich um 1715/1720.

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