Unser Bayern

Franziska Müller begutachtet "ihre" Fahne in der Bayerischen Staatskanzlei nach der Restaurierung. (Foto: STK)

22.07.2011

"Ich glaube, die Nadeln kleben an mir"

Stickarbeiten von Franziska Müller finden sich im Vatikan, in Kirchen, Museen – und in der Staatskanzlei

Längst hat man sich damit abgefunden, dass die alten Handwerkskünste zwischen Pressspanmöbeln und Wegwerfkleidung keinen Platz und keine Wertschätzung mehr im Alltag erfahren. Die großmütterlichen Speicherfunde sind an den Flohmärkten bereits verscherbelt, Männer und Frauen gleichberechtigt im mangelnden Vermögen einen Knopf annähen zu können. Vor allem der Bereich der textilen Künste wurde in den vergangenen Jahrzehnten geradezu verachtet, haftete ihm doch der Geruch muffiger gehäkelter Sofaschoner, unemanzipierter Topflappen und großmütterlich gestickter Spitzendeckchen an. Man kann jedoch den Eindruck gewinnen, dass sich hieran bald etwas ändert. Zum einen, weil bisher vieles seine Renaissance erlebte, was zuvor fast gänzlich vernichtet wurde. Zum anderen, weil das großmütterliche Handarbeitskränzchen in modernen Strick-Kaffees wieder auflebt und Internet-Plattformen, auf denen Selbstgemachtes angeboten wird, sich zunehmender Kundschaft und selbst ernannter Geschäftsleute erfreut. In einer Gesellschaft, in der Zeit knapp geworden ist, sind Zeugnisse kontemplativ-kreativen Tuns wieder ein kostbares Gut. Zeichen gegenwärtiger Wertschätzung der textilen Künste in Fachkreisen zeigen Ausstellungen, wie „future beauty": Im vergangenen Frühjahr zeigte das Münchner Haus der Kunst 30 Jahre japanische Mode. Und im Murnauer Münter-Haus sind Perlenstickereien und Textilarbeiten nach Entwürfen von Wassily Kandinsky und Gabriele Münter zu sehen (bis 11. September). Ebenfalls im bayerischen Oberland zeigte das Gulbransson-Museum in Tegernsee im Rahmen der Ausstellung über Josef Oberberger textile Arbeiten von Franziska Müller, die nach Oberbergers Entwürfen gearbeitet wurden. Das bietet die Gelegenheit, sich mit alten Handarbeitstechniken, vergessenen Handwerken und textilen Künsten zu befassen – und exemplarisch das Lebenswerk von Franziska Müller vorzustellen. Ihren textilen Werken begegnet man in ganz Bayern. Allerdings muss man sich auf Spurensuche begeben, da ihre Stickereien meist nicht beschildert und unsigniert sind. Franziska Müller studierte bei Josef Oberberger von 1937 bis 1943 angewandte Kunst in München, nachdem sie ihre Gesellen- und Meisterprüfung als Paramentenstickerin abgelegt hatte. Nach dem Krieg führte sie mit ihrem ersten Mann 14 Jahre lang ein Atelier für Paramentik in Koblenz. Als Paramente bezeichnet man Textilien für den liturgischen Gebrauch, wie geistliche Gewänder, Altardecken, Textilien zur Ausstattung des Kirchenraums oder für liturgische Verrichtungen wie Prozessionen. Das Handwerk der Paramentik ist nicht zu verwechseln mit der Herstellung von Posamenten. Das Posamentierhandwerk stellt Zierbänder, Borten, Kordeln und Quasten her, die auf Textilien als Schmuckelemente appliziert werden. Nach dem Tod ihres Mannes verkaufte Franziska Müller das Geschäft und zog zu ihrem zweiten Ehemann nach Söcking bei Starnberg. Dort lebt die heute über 90-Jährige nun seit 40 Jahren. Oberberger, bekannt als „Obe", trat die Nachfolge seines Lehrers Olaf Gulbransson an der Münchner Kunstakademie an. Und so wie Oberberger mit Gulbransson bis zu seinem Tode befreundet war, verband Franziska Müller mit Oberberger eine lebenslange Freundschaft. Wie erfolgreich diese Verbindung auf künstlerisch-handwerklicher Ebene war, zeigt sich an ihren Stickereien nach Oberberger-Entwürfen wie Perlenarbeiten nach seinen Glasfenstern oder der abgebildete Engel (Seite 11). Die Engelsfigur hebt sich hell im mit glitzernden Glasperlen besetzten Kleid vom zartgrauen Hintergrund ab, der zur Gänze in vertikalen Reihen als Fläche gestickt ist. Der zeichnerische Vorentwurf ist deutlich spürbar und unverfälscht, in das textile Material aber kongenial durch abwechslungsreiche Stichtechniken, die Wahl der Metallgespinste und Perlen farblich umgesetzt. Auch Oberbergers Signatur rechts unten ist aufgestickt, ebenso die Widmung „Für Ziss", als Abkürzung für Franziska. Diese sehr persönliche Arbeit ist allerdings nicht öffentlich zugänglich, sondern zeigt sich im Original nur dem, der das Privileg besitzt, Franziska Müller in ihrem orientalisch verwunschenen Haus besuchen zu dürfen. Ihr Sinn für die angewandten Künste, ihr ästhetisches Gespür durchzieht konsequent ihre Wohnräume, den lichtdurchfluteten Wintergarten und den von ihr in Erlebnisräumen angelegten Garten. Man ist überrascht, neben klerikal initiierten Arbeiten, die von einer Paramentenstickerin zu erwarten sind, so viel Profanes, aber vor allem Orientalisches zu finden: Textilien, die nicht aus ihrer Hand stammen, sondern Sammlerstücke orientalischer Kultur sind. Doch eigentlich ist es nicht verwunderlich, dass durch die eigene handwerkliche Könnerschaft und künstlerische Ausbildung Respekt und Offenheit für fremde kulturelle Errungenschaften erwächst. Zum anderen verlangt die Stickerei im Entwurf eine äußerst klare ornamentale Bildsprache, die eben in der orientalischen Ornamentik zu finden ist. Öffentlich zugänglich, aber ein wenig versteckt, finden sich zwei ihrer aufwändigen Textilwerke in der Kapelle der Söckinger Kirche. Nach dem Eintreten in den Kirchenraum muss man sich links halten und die durch einen Vorhang abgetrennte Seitenkapelle betreten. Rechts befindet sich eine Marien-Ikone in Perlenarbeit und links ein Wandbehang, ursprünglich als Antependium, also als schmückende Verkleidung des Altartisches gedacht. Das Antependium wechselt entsprechend der Farben des Kirchenjahres. Beide Arbeiten sind sichtbar aufwändig und reichhaltig mit wertvollen Materialien wie vergoldeten Perlen, Süßwasserperlen, Karneolen und Amethysten bestickt. Der Ikone sieht man zum einen ihre traditionellen Vorbilder an, zum anderen ist sie in delikater Materialwahl einzigartig. Erinnerungen an die Mosaiken von Ravenna werden wach. Und so erzählt Franziska Müller von den Heiligen Drei Königen, die sie nach christlich-byzantinischem Vorbild geschaffen hat und die sich heute im Diözesanmuseum in Augsburg befinden. Weshalb sie die Heiligen Drei Könige als kompromisslose Perlenarbeit und nicht zum Beispiel im Flachstich umgesetzt hat, weiß sie pragmatisch zu beantworten: „Weil’s halt nichts anderes gab als Perlen damals …" (Rosemarie Zacher) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Juli-Ausgabe von Unser Bayern.

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