Unser Bayern

Die Ottheinrich-Bibel ist eine der kostbarsten Bilderhandschriften der Welt. Von Neuburg nahm sie Ottheinrich mit nach Heidelberg – Herzog Maximilian I. „entführte“ sie 1622 nach München. Allerdings wurde sie schon bald erneut Kriegsbeute: 1632 nahmen sie schwedische Besatzer mit. Dann tauchte sie am Hof von Sachsen-Weimar und später von Sachsen-Gotha auf. Aus dortigem Familienbesitz erwarb der Freistaat Bayern 1950 drei der acht Teile. Die restlichen Bände kamen erst 2007 zurück nach München – dank einer Finanzierungsallianz konnten sie vor dem Auktionshandel in London gerettet werden. (Foto: dpa/Frank Mächler)

14.07.2023

Raub oder Rettung?

Vor 400 Jahren wurde die berühmte „Bibliotheca Palatina“ von Heidelberg nach Rom gebracht – und Bayern ging leer aus

"Bücher habe ihre Schicksale“: Dieser Satz des römischen Dichters Terentius gilt auch für die Bestände der Bibliotheca Palatina. Die „Mutter aller Bibliotheken“ beanspruchte Papst Gregor XV. im Zuge der Eroberung Heidelbergs durch Tilly, den legendären Feldherrn von Herzog Maximilian I. Mögen der Name Palatina (lateinisch für Pfalz) und der Standort Heidelberg zunächst auf das Kurfürs­tentum der Pfalz verweisen, so sind die Bezüge zu Bayern mehr als deutlich: sowohl was die Zusammensetzung ihrer Bestände betrifft als auch die Umstände ihrer „Verlagerung“ von Heidelberg über München nach Rom.

Ende Februar 1623 erreichte ein schier endloser Zug von Frachtwägen, gesichert von einer berittenen Militäreskorte, die Residenzstadt München. In den Kisten verpackt befand sich eine komplette Bibliothek. Es war die Kriegsbeute aus der Eroberung Heidelbergs im September 1622. Herzog Maximilian (er wurde Ende Februar 1623 Kurfürst) hatte im Vorfeld seinen General ausdrücklich gebeten, bei einer möglichen Plünderung Heidelbergs die Bibliothek in der dortigen Heiliggeistkirche zu schonen und sie unbeschadet nach München zu bringen. Aber es geschah letztlich nicht auf sein Geheiß, dass dieser einmalige Schatz in seine Residenzstadt kam – und obendrein weiterreiste.

Systematischer Ausbau

Die Bibliotheca Palatina, wie sie später genannt wurde, hatte nicht nur in der gelehrten Welt einen hervorragenden Ruf. Prächtig ausgestattete Bibliotheken mit vielen seltenen Objekten, Büchern wie Handschriften, dienten dem Repräsentationsbedürfnis der Fürs­ten des 16. und 17. Jahrhunderts – so auch der Pfälzer Kurfürsten, die bereits Mitte des 15. Jahrhunderts anfingen, neben der Universitätsbibliothek eine fürstliche Büchersammlung anzulegen und deren Bestände auszubauen. Die Wiederentdeckung antiker Autoren beförderte den Sammel­eifer humanistischer Gelehrter in ihrer Jagd nach alten Handschriften. Sie durchkämmten Klosterbibliotheken und andere Sammlungen nach unbekannten Manuskripten, begannen diese zu kaufen oder zu kopieren und schließlich auch zu publizieren.

Ulrich Fugger: 275 Zentner Bücher

Daneben trugen die dynastischen und konfessio­nellen Verwicklungen des 16. Jahrhunderts zur Ausweitung der Bücher- und Handschriftenbestände Heidelbergs bei. Der in Augsburg geborene Humanist Ulrich Fugger (1526 bis 1584) erbte von seinem Vater Raymund die Liebe zur Antike und zu schönen Dingen. Die europaweiten Geschäftsverbindungen seiner Familie nutzte er zum Erwerb von Büchern, Handschriften und vollständigen Humanistenbibliotheken. Vor allem Venedig war ein Zentrum des Handels mit alten Manuskripten. So soll Fugger in sieben Jahren, zwischen 1546 und 1552, die ungeheure Summe von 126 000 Gulden für den Kauf von Manus­kripten und Büchern ausgegeben haben, aber auch zur Förderung von Gelehrten und der Realisierung der Edition von Druckausgaben antiker Autoren.

1553 konvertierte Ulrich Fugger zum Protestantismus und war im katholischen Bayern und seiner katholischen Familie nicht mehr gelitten. Wegen seiner gewaltigen Geldausgaben stellte ihn 1562 die Stadt Augsburg auf Veranlassung der Familie unter Kuratel. Gerne nahm er daher das Angebot des Pfälzer Kurfürsten Friedrich III. an und übersiedelte 1564 nach Heidelberg. In der Folge holte er nicht nur seine umfangreiche Bibliothek mit reformatorischer Literatur an den Rhein, sondern auch seine Handschriftensammlung griechischer, lateinischer, hebräischer und orientalistischer Manuskripte, die in ihrer Zeit zu den bedeutendsten Sammlungen zählte. Rund 275 Zentner Bücher fanden so auf vier Wagen den Weg von Bayern in die Pfalz. Eine Inventarliste von 1571 ergibt etwa 500 Pergamenthandschriften, rund 800 Papierhandschriften und 8200 Drucke. Fugger baute bis zu seinem Tod im Jahr 1584 die Bibliothek noch weiter aus: Unter anderem kaufte er die Bibliothek seines Freundes, des in Lindau geborenen Achilles Pirmin Gasser (1505 bis 1577), der ebenfalls ein fanatischer Sammler war. Fugger zahlte 800 Gulden für dessen Bestände.

Nach dem Tod Fuggers 1584 ging seine Büchersammlung in das Eigentum des pfälzischen Kurfürsten über.

Ottheinrich: Bücher zum repräsentieren

Einer der prominentesten Besucher im Hause Fugger war bereits in den 1550er-Jahren ein anderer passionierter Büchersammler seiner Zeit: Pfalzgraf Ottheinrich von Pfalz-Neuburg, der 1556 in Erbfolge Kurfürst der Pfalz wurde. Er erweiterte die Heidelberger Büchersammlung – man sprach von ihr schließlich sogar als der „Mutter aller Bibliotheken“. Ottheinrich besaß nicht nur eine Reihe von großformatigen Wandteppichen, sondern sammelte auch noch andere Objekte wie etwa Kupferstiche oder Münzen – und natürlich Bücher, gedruckte wie ungedruckte. Seine Bibliophilie zeigt sich darin, dass er alle Bücher und Handschriften einheitlich in Kalbsleder binden und auf dem Umschlag sowohl mit seinem Konterfei als auch mit seinem Wahlspruch „mit der zeyt“ versehen ließ. Dem Kurfürsten galten seine Bibliothek und Prachteinbände bewusst zur Selbstdarstellung.

Anschaffungsetat per Testament

Mit Antritt seiner Regentschaft als Kurfürst nahm Otthein­rich sowohl seine private Sammlung als auch die Sammlung seines Fürstentums Pfalz-Neuburg mit nach Heidelberg (jedenfalls das, was nach seiner Ächtung und Verbannung sowie der Besetzung seiner Neuburger Residenz übrig geblieben ist und was er danach wieder aufbauen konnte). Kurz vor seinem Tod 1559 verfasste Ottheinrich ein Testament, das sich allein auf zwei Seiten nur mit der Zukunft seiner Büchersammlung beschäftigt und allein damit schon dokumentiert, wie wichtig ihm seine Bibliothek nicht nur zu Lebzeiten, sondern auch nach seinem Tod war. So bestimmte er beispielsweise, dass für die Bibliothek jährlich auf der Frankfurter Messe mindes­tens für 50 Gulden Bücher zu beschaffen seien. Falls diese Summe mangels entsprechender Bücher nicht ausgeschöpft werden konnte, verfiel die Summe nicht, sondern konnte ins folgende Jahr übertragen werden und somit den nächsten Etat aufstocken. Zum Vergleich: Der Hauslehrer Ottheinrichs, den sein Vormund Jahrzehnte zuvor für sein Mündel bestellt hatte, bekam an Jahreslohn gerade mal 25 Gulden. Zur Sicherstellung der 50 Gulden verfügte Ottheinrich eine Stiftung von 2000 Gulden, woraus jährlich die geforderte Summe zu entnehmen war. Von biblio­thekarischem Sachverstand zeugt zudem seine Einschränkung, dass die genannte Summe ausschließlich zum Bucherwerb und nicht für mögliche Einbandkosten zu verwenden sei. Es gab also einen regelmäßigen Anschaffungsetat, wie es ihn in dieser Form wohl in keiner anderen Bibliothek dieser Zeit gegeben haben dürfte.

Ottheinrich war beim Erwerb von Büchern nicht sonderlich zimperlich. So hat er als erster protes­tantischer Kurfürst der Pfalz bei der Säkularisation der Klöster in seinem Machtbereich die traditionsreiche und schon damals überaus geschätzte Bibliothek des Klosters Lorsch „samt butzen und stil“ mitgenommen – darunter neben anderen mittelalterlichen Handschriften auch das berühmte Lorscher Evangeliar, das in der Hofschule Karls des Großen um 810 entstanden war.

Was Ottheinrich nicht ahnte: 1622, also 100 Jahre, nachdem er in Pfalz-Neuburg die Regentschaft übernommen hatte und er damit überhaupt die Mittel und die Möglichkeit bekam, Bücher in größerem Umfang zu sammeln, entschied sich auch mit der Niederlage der protestantischen Pfälzer im Kampf mit den wittelsbachischen Vettern in München das Schicksal seiner Bibliothek – und nicht nur seiner. Schließlich hatten Ottheinrich und seine Pfälzer Verwandten durch die Hinwendung zum Protestantismus diesen militärischen Konflikt mit heraufbeschworen.

Begehrte Eroberungsbeute

Mit der Niederlage des pfälzischen „Winterkönigs“ Friedrich V. in der Schlacht am Weißen Berg (November 1620) in Böhmen war das Schicksal der Pfalz besiegelt. Kurfürst Friedrich V., inzwischen in Den Haag im Exil, beschwor schon im Oktober und November 1621 seine Räte in Heidelberg, Bibliothek und Archiv in Sicherheit zu bringen. Als die Truppen der Liga Heidelberg eroberten, spekulierte Herzog Maximilian nicht nur auf den Kurfürstenpos­ten, der nach der Maßgabe der „Goldenen Bulle“ alternierend zwischen der Pfalz und Bayern wechseln sollte; er rechnete ebenfalls mit dem Besitz der oberen Pfalz und der in Heidelberg lagernden Bücher. Die Heidelberger Büchersammlung schien ihm vor allem für ein geplantes Geschichtswerk wichtig, vermutete er doch in der Pfalz umfangreiches Material zur Geschichte der Wittelsbacher Familie.

Das Fell des Bären wurde quasi schon vor seinem Erlegen verteilt: Auf die Pfälzer Büchersammlungen hatte lange vor der Eroberung Heidelbergs neben Herzog Maximilian eine Reihe anderer Interessenten ein Auge geworfen. Kaiser Ferdinand II. etwa: Er bat noch vor der Einnahme Heidelbergs Tilly um die Überlassung der Kriegsbeute, darunter an erster Stelle die „ansehnlich, weit und breit berümbte Bibliothek“... (Alfred Wolfsteiner)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der Ausgabe Juli/August des BSZ-Online-Magazins UNSER BAYERN. Sie können die komplette, 40-seitige Ausgabe downloaden unter www.bayerische-staatszeitung.de. Für BSZ-Abonnenten ist dieser Service kostenlos, sonst 3 Euro pro Ausgabe. 

 

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