Unser Bayern

Je länger die Reise dauert, desto mehr kommt die Sehnsucht auf, während der Fahrt mal alle Viere von sich zu strecken. (Foto: SZ Photo)

19.11.2010

Reisen und Speisen zwischen Salonwagen und Holzklasse

175 Jahre Eisenbahn in Deutschland: Die Fahrgäste forderten schnell mehr Bequemlichkeit und Service

Mit der „bahnbrechenden" Erfindung der Eisenbahn brach sich auch in Deutschland ein neues Zeitgefühl buchstäblich Bahn, als die erste deutsche Eisenbahn vor 175 Jahren, am 7. Dezember 1835, von Nürnberg nach Fürth fuhr. Mit der damals atemberaubenden Geschwindigkeit von 25 Kilometern in der Stunde zog die eigens von England importierte Dampflokomotive, der legendäre Adler, die vier hölzernen Waggons in 13 Minuten die knapp sechs Kilometer lange Strecke nach Fürth. Eine neue Ära begann, Zeit und Raum schrumpften zusammen – das Zeitalter des Reisens brach an. Heinrich Heine fasste „diesen neuen Abschnitt der Weltgeschichte" in Worte und schrieb im fernen Paris: „Welche Veränderungen müssen jetzt eintreten in unserer Anschauungsweise und in unseren Vorstellungen. Sogar die Elementarbegriffe von Zeit und Raum sind schwankend geworden. Durch die Eisenbahn wird der Raum getötet, und es bleibt uns nur noch die Zeit übrig". Die Eisenbahn stellte die Welt auf den Kopf, weil sie ungeahnte Möglichkeiten der Mobilität eröffnete und Reisen, bis dahin ein Privileg der oberen Klassen, für jedermann nahe rückte – freilich strikt nach Klassen getrennt: die erste und die zweite Klasse für die gehobenen Stände, die exklusiv im Salonwagen und im Coupé reiste, die dritte Klasse, die „Holzklasse" ohne Abteile und nur mit Holzbänken für das Proletariat; schließlich die vierte Klasse für das „Lumpenpack", das wie das Gepäck, als „Bagage", im Stehen fahren musste. Aber das Eisenbahnfieber hatte sie alle gepackt, der Zug war ein gesellschaftliches Vehikel geworden, das Arbeiter und Angestellte, Schüler und Studenten, Hausfrauen und Dienstmädchen, Geschäftsleute und Militärs benutzten, um zur Arbeit zu kommen oder ihre Geschäfte zu erledigen. Diesbezüglich ließ der Bahn-Komfort anfangs sehr zu wünschen übrig, zum Beispiel, weil man während der Bahnfahrt seine „Geschäfte" – in des Wortes zweiter Bedeutung – nur beim Halt am Bahnhof erledigen konnte, wofür jedoch die Zeit nicht immer reichte, so dass man in den entsprechend ausgestatteten Gepäckwagen mit Trocken-WC umstieg, sein „Geschäft" erledigte und auf dem nächsten Bahnhof wieder in sein Abteil zurückkehrte. Mit der Eisenbahn hob der Massentourismus an: Nun reiste man mit großem Gepäck in die Sommerfrische, zum Wintersport oder in den Luftkurort, an die See und ins Gebirge. Oftmals eilten Dienstboden mit dem Gepäck voraus, das vom Schrankkoffer bis zur Hutschachtel und dem Mantelsack reichte. Wer sich das nicht leisten konnte, fuhr am Wochenende aufs Land, musste dazu aber schon Tage vorher seine „Weichen" so stellen, dass er in der Bahn noch einen Platz bekam. Wenn er auf dem Perron am Bahnhof ins Gedränge geriet, ließ er wütend Dampf ab, weil der Zug für ihn schon abgefahren war, verstand aber nur Bahnhof, wenn er den Fahrplan zu entziffern versuchte ... Welch unglaubliche Zäsur die Eisenbahn bedeutet, ist daran ablesbar, wie sie sich in unsere Sprache einschlich und unser „Timing" veränderte; denn plötzlich spielte die Zeit eine Rolle, man musste pünktlich sein und es war höchste Eisenbahn, wenn man den Zug noch erwischen wollte. Der Zug der Zeit brachte es mit sich, dass in der Zeit der Züge auch deren Komfort mit den Ansprüchen der Bahnreisenden verbessert werden musste. Luxus im Zug war in den Anfängen der Bahn dem Adel vorbehalten: Zwar war an die huldigend nach dem bayerischen König benannte Ludwigs-Bahn von Nürnberg nach Fürth nie der königliche Luxuswagen oder gar der offene Terrassenwagen angehängt; aber der komfortabel ausgestattete Salonwagen hielt in den bayerischen Staatsbahnen, alsbald Einzug, von Boudoir-Waggons ganz zu schweigen. Allerdings hatte sich Ludwig I. 1844 bei seinem Innenminister vorsichtshalber erkundigt, ob denn sein Hofzug mit der Verfassung vereinbar sei, worauf ihm die Auskunft zuteil wurde: „Keine Bestimmung der Verfassungsurkunde steht nach dem unzielsetzlichen Dafürhalten des treugehorsamst Unterzeichneten der Anschaffung und Erbauung solcher Wagen auf Staatskosten entgegen, denn wenn bey der Bestellung der Wagenzüge auf die Abstufung der Classen zu Gunsten der Unterthanen Rücksicht genommen wird, so kann und darf in einem monarchischen Staate dem eigenen regierenden Hause ebenso wenig als auswärtigen Regentenhäusern die gleiche Rücksichtnahme verweigert werden."  (Friedrich J. Bröder) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der November-Ausgabe von Unser Bayern

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