Im Werk der Malerin Gabriele Münter entdeckt man sie in unzähligen Varianten und verschiedenen Techniken ausgeführt: die kegelförmigen Gebilde, die die Künstlerin des Blauen Reiter gerne in ihre Landschaftsbilder platzierte, zumeist mit ausgeprägten Umrissen und immer mit einem hohen Stab in der Mitte. Manchmal hielt sie diese Kegel in hellen Brauntönen, manchmal in Graublau – je nachdem, ob es sich um eine herbstliche oder winterliche Stimmung handelte. Und je nachdem bezeichnete sie die Gebilde als Strahdrischen, Heuhaufen oder bei ihren Winterbildern auch als Schneehocken.
Die Malerin, die kurz vor dem Ersten Weltkrieg und später ab 1931 bis zu ihrem Tod 1962 ständig in Murnau gelebt hat, hat damit typische Elemente der Murnauer Landschaft in ihr Bildwerk einfließen lassen. Denn die kegelförmigen Gebilde sind die Trischen (oder Drischen), zu denen im Herbst das gemähte Gras der Mooswiesen zur Lagerung aufgeschichtet wurde. Zu Lebzeiten Münters standen die Trischen oft zu Hunderten am sogenannten Ödenanger. Dieser Lagerplatz liegt am Rande des Murnauer Mooses in der Nähe des Ramsachkircherls – kaum 20 Minuten Fußweg vom Münterhaus entfernt. Jedes Jahr im Herbst, wenn die feuchten Mooswiesen gemäht waren, errichteten die Bauern aus dem gemähten Gras, das später bei den Tieren als Einstreu dienen sollte, die über vier Meter hohen Gebilde. Sie taten dies, weil der Untergrund zur Zeit der Streuwiesenmahd in der Regel zu feucht war, um das Streu gleich nach Hause zu bringen. Außerdem fehlte auf dem Hof oft der Platz. Am Ödenanger hingegen konnte man die Trischen gut über Wochen stehen lassen und das Streu erst, wenn man es benötigte und der Boden gefroren war, nach Hause transportieren. Die Bauern fuhren dann mit Ochsenfuhrwerken durch den Markt. 1941 sollen noch über 2000 Fuhren nötig gewesen sein, um den Lagerplatz zu räumen.
Heute befindet sich am Ödenanger kein großer Trischenlagerplatz mehr. Im September 2019 wurde dort die Biologische Station Murnauer Moos eröffnet. Das Haus, das nach seiner Stifterin Ruth-Rosner-Haus heißt, soll ein Stützpunkt für Veranstaltungen sein, um Kindern und Erwachsenen die Besonderheiten des Murnauer Mooses näherzubringen, ob im Rahmen einer Führung oder durch den Besuch der kleinen Dauerausstellung im Haus.
Refugium für Tiere und Pflanzen
Denn tatsächlich ist das Murnauer Moos etwas Besonderes und weist eine einzigartige Flora und Fauna auf: Knabenkräuter, Enziane, Wollgräser, Arnika und vieles mehr; es kommen dort über 1000 Arten an Blütenpflanzen, Moosen und Farnen vor. Die Zahl der vorkommenden Tierarten, von denen zahlreiche vom Aussterben bedroht sind, schätzt man auf 4000, darunter finden sich seltene Vögel wie der Wachtelkönig, der Große Brachvogel, Bekassinen und Braunkehlchen. Und um noch eines draufzusetzen: Das Murnauer Moos gilt mit seinen über 4500 Hektar Gesamtfläche als das größte noch vorhandene Moorgebiet Mitteleuropas.
So kommt es nicht von ungefähr, dass sich der Freistaat und die Verantwortlichen im Landkreis Garmisch-Partenkirchen 2012 auf den Weg gemacht haben, die Landschaften des Murnauer Mooses auf die Liste der Unesco-Welterbestätten zu bringen. Ins Rennen schickte man das Murnauer Moos nicht alleine, sondern zusammen mit drei weiteren Wiesenlandschaften in der näheren Umgebung, offiziell zusammengefasst als „alpine und voralpine Wiesen- und Moorlandschaften (Historische Kulturlandschaften im Werdenfelser Land, Ammergau, Staffelseegebiet und Murnauer Moos)“. Dazu gehören unter anderem die Wiesmahdhänge im Oberen Ammertal, das Graswangtal und schließlich die Buckelwiesen zwischen Krün und Mittenwald. Übrigens wurden im Welterbe-Antrag als prägende Elemente der Wiesen- und Moorlandschaften die erwähnten Trischen explizit genannt.
Extensive Nutzung erhalten
Nicht nur das Murnauer Moos, alle genannten Wiesen- und Moorlandschaften weisen eine hohe Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten auf. Auf den Buckelwiesen beispielsweise kommen bis zu 200 Pflanzenarten vor – im krassen Gegensatz zu den wenigen Pflanzenarten, die man ansonsten im gedüngten Grünland, den Fettwiesen, findet. Und weil im Laufe der Vegetationsperiode eine Blüte nach der anderen erscheint, die nicht wie auf den Fettwiesen von schnellwüchsigen Gräsern erstickt wird, finden hier auch viele Insekten Nahrung und Heimat. Diese Vielfalt konnte sich nur entwickeln, weil die Flächen beständig über Jahrhunderte vom Menschen traditionell genutzt wurden und zwar als Viehweide, als Mähwiese und zur Streugewinnung. Und um die Vielfalt auch weiterhin zu erhalten, muss diese Nutzung durch den Menschen fortgeführt werden.
Pollenfunden zufolge wurden Bereiche des Murnauer Mooses schon vor 7000 Jahren landwirtschaftlich genutzt. Man baute Flachs (Linum spec.) an, was den Äckern im Sommer ein blaues Blütenmeer bescherte. Aus der Urnenfelderzeit (1200 bis 750 v. Chr.) stammt eine Sichel, die auf dem Moosberg am östlichen Rand des Mooses gefunden worden ist. Ob damit Flachs geschnitten wurde, Getreide oder Gras, weiß man nicht. Wie Knochenfunde an dieser Stelle bezeugen, hielten die Menschen dort Schweine, Rinder und andere Haustiere. Viehzucht spielte in dieser Gegend von jeher eine große Rolle. Allerdings gab es zunächst weder Wiesen, die gemäht wurden, noch spezielle Viehweiden. Die Tiere suchten überall, wo sie hinkamen, nach Futter, vorzugsweise in den Wäldern. Die Felder, auf denen Ackerbau zur Eigenversorgung betrieben wurde, zäunte man sicherheitshalber ein. Mit der Zeit setzten sich in den Dörfern die sogenannten Allmenden durch. Das waren ungeteilte Gemeinschaftsweiden, auf die die Bauern ihr Vieh trieben.
Im Voralpengebiet mit seinen hohen Niederschlägen im Sommer war die Feldgras- oder Egartswirtschaft üblich: Nach zwei bis vier Jahren Ackernutzung säte man auf dem Feld Heublumen (Egart) ein, eine Wiese wuchs auf, die man dann die nächsten drei bis vier Jahre mähen konnte, ehe man wieder einen Acker daraus machte.
Darüber hinaus konnten die Bauern die grundherrlichen Wald- und Weideflächen nutzen. Jedoch durfte „jeder Grundholde ... nur so viel Vieh auf die (...) Fluren treiben, als er im Winter ernähren könne“, hieß es in einer Vorschrift des Klosters Ettal, ab dem späten Mittelalter der größte Grundeigner der Gegend. Das schränkte die Zahl der gehaltenen Tiere deutlich ein, denn die Winter waren lang und schneereich. Die Bauern begannen, sich Futtervorräte zu schaffen, indem sie die Wälder, die durch die lange Weidenutzung aufgelichtet waren, rodeten und in Wiesen umwandelten, die sie mähten und das gewonnene Heu für den Winter einlagerten. So entstanden beispielsweise an den flachgründigen Hängen am Fuße des Ammergebirges die ersten „Wiesmähder“... (Petra Raschke)
Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der UNSER BAYERN, Ausgabe Juli/August 2020 in der BSZ Nr. 28 vom 10. Juli 2020
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