Plötzlich sackt sie zusammen. Das „kleine Schwarze“ hin oder her: Sie fläzt recht undamenhaft im Sessel. Alles geht runter an ihr: Auch das Kinn lässt sie hängen, ihre Stimme wird tiefer, dumpfer. „Der Bayer ist maulfaul“, grummelt Steffi Kammermeier und beginnt von dieser Ökonomisierung des Bairischen beispielreich zu schwärmen. Und zu der gehöre eben auch die Körpersprache. Dialekt sei eine „Bauchsprache“. Entspannung sei notwendig: Das Zwerchfell ordentlich rutschen lassen, den Mund breit machen und Mut zum Doppelkinn zeigen – „dann geht auch die Stimme nach unten“.
Das ist das Gegenteil von dem, was die meisten Teilnehmer*innen an Steffi Kammermeiers Seminaren zum Bairischen in ihrer früheren Schauspielausbildung gelernt haben. Da heißt es „Aufrecht stehen! Brust raus! Straffer Mund! Kehle öffnen! Stimme heben!“ Selbstverständlich erlaubt es nicht jede Rolle, sich tatsächlich körperlich sichtbar so fallen zu lassen – aber es ist trainierbar, sich diese äußere zu einer inneren Haltung zu machen. Allerdings ist es nicht allein mit der Körpersprache getan, sich ins Bairische einzuarbeiten – die grundlegende Frage ist ohnehin: Von welchem bairischen Dialekt geht man aus? „Das“ Bairische gibt es allenfalls in der plakativen Außensicht – wer sich aber beispielsweise Runde um Runde im neuen Online-Dialektquiz (www.dialektquiz.de) vorarbeitet, der bekommt schon bald Ohrensausen bei all den Nuancen, die da zu hören sind.
Allseits verständliches Konsensbairisch
„Ich nenne das Konsensbairisch, was ich unterrichte“, definiert Steffi Kammermeier, „den Begriff habe ich kreiert.“ Dessen Grundlage sei das Oberbairische – ihre Muttersprache, sagt die gebürtige Münchnerin. Es gehe ihr nicht darum, einen authentischen Dialekt zu lehren – der sich ohnehin von Ort zu Ort unterscheiden kann. Vielmehr soll dieses „Konsensbairisch“ in Oberbayern ebenso wie in Niederbayern, in der Oberpfalz und auch in Nichtbayern als „glaubwürdig bairisch“ verstanden werden.
Kammermeier hält ihre Kurse vor allem im Rahmen der Münchner Filmwerkstatt. Wenn es um die sprachliche Verortung von Filmgeschichten geht, dann ohnehin meist um eine eher pauschale. Fernsehserien wie Die Rosenheim-Cops im ZDF-Vorabendprogramm sollen in Oberammergau ebenso wie in Berlin, Wien, Zürich oder anderen deutschsprachigen Gegenden verstanden werden. Die Folge Vom Glück erschlagen am 20. April zum Beispiel erreichte laut www.quotenmeter.de einen beachtlichen Marktanteil von 26,2 Prozent.
Filmproduktionen muten dem Publikum in abgestufter Dosis Bairisch zu – je stärker der Fokus auf dem boomenden Regionalen liegt, wie bei der (fast) Daily Soap Dahoam is Dahoam im Bayerischen Fernsehen: „Bundesweit verfolgen täglich bis zu 750 000 Zuschauerinnen und Zuschauer die Folgen, davon im Schnitt knapp 500 000 in Bayern. Der Marktanteil im Freistaat beträgt aktuell durchschnittlich 14,3 Prozent, den bundesweiten Marktanteil berechnen wir nicht, weil er für uns als Regionalsender nicht relevant ist. Aber auch digital ist Dahoam is Dahoam ein großer Erfolg: In der Mediathek wurde die Serie allein im ersten Quartal 2023 mehr als 11 Millionen Mal abgerufen“, erzählt BR-Sprecher Christian Dück.
Wenn Steffi Kammermeier aber an den Auftakt dieser Soap, die seit 2007 läuft, zurückdenkt, hat sie sofort ein Paradebeispiel dafür, wie es nottut, Schauspielerinnen und Schauspieler auch in Bezug auf Dialekt zu coachen. Das Drehbuchschreiben für Dahoam is Dahoam hatte sie selbst interessiert. Bei Vorgesprächen wurde – vom damals „norddeutsch geprägten Chefautor und dem Dramaturgieteam“, erinnert sie sich – als Parole ausgegeben: Hochdeutsch mit bairischen Endungen. Das sollte sich auf die floskelhafte Aussprache wie bei „ghabt“ oder „gsagt“ beschränken. Steffi Kammermeier schüttelt sich, wenn sie an die ersten Folgen zurückdenkt: „Das war ein Dialektchaos. Alle Darsteller haben einen anderen Dialekt mitgebracht, obwohl doch alle Personen angeblich aus der gleichen fiktiven Dorfgemeinschaft Lansing stammen sollen.“ Heute würde man von einem Shitstorm sprechen, der auf dieses dialektale Kraut und Rüben folgte. Doch man habe dazugelernt.
Eines von vielen Handwerkszeugen
Mit ihrem Coaching will Steffi Kammermeier Schauspielerinnen und Schauspielern ermöglichen, sich schlicht „peinlichkeitsfrei“ im Bairischen bewegen zu können – eine Zusatzqualifikation für eine Nische, die zunehmend Engagement verspricht. Es gehe nicht darum, dass sich die Lernwilligen (zu denen auch Moderator*innen ebenso wie Opernsänger*innen und Laien gehören) Bairisch aneignen, um es ständig zu sprechen. Im Vordergrund steht für sie die Unterweisung in eines von vielen Handwerkszeugen der Schauspielkunst. „Man steckt das Gelernte in eine Schublade, vielleicht neben Englisch oder eine andere Sprache, und die zieht man nur auf, wenn man braucht, was drin ist.“ Anlassloses Stöbern macht natürlich auch Spaß – und die Kurse auch bei Nichtakteuren beliebt.
Linguistische Theorie muss sein
Wer aber davon ausgeht, in Steffi Kammermeiers Seminaren nur unterhaltsame Gaudistunden erleben zu dürfen, kommt schnell ins Schwitzen. Es wird neben allem Spaß ordentlich gebüffelt – und zwar hybrid: Linguistische Theorie und praktische Anwendung ergänzen sich. Um nicht abzuschrecken, spricht die Lehrerin eher von Tricks, die sie an die Hand gibt. „Dieses Konsensbairisch muss sich als praktikabel erweisen, die Regeln sind konkret und lassen sich lernen.“ Sie vergleicht: „Ein Loch kann man auch nicht mit dem Nichts darstellen, sondern indem dessen Rand genau definiert wird.“
Eine der wichtigsten phonetischen Grundregeln des Bairischen: Laute zusammenziehen – oder auslassen. Steffi Kammermeier führt Listen, wie man sie vom schulischen Vokabellernen her kennt: „Es heißt üben, üben, üben.“ Das Auswendiglernen einer Basis von Fallbeispielen soll befähigen, im konkreten Anwendungsfall zu repetieren und vor allem auf Ähnliches zu übertragen. „Die Schauspielerinnen und Schauspieler will ich so fit machen, dass sie beim Dreh die Freiheit haben, mit der Sprache spielen zu können.“
Aber wie viele Spielregeln gibt es selbst für das Konsensbairisch zu beachten! Auf Kammermeiers Lehrplan steht zum Beispiel das „Gewusst wie“ bei der Aussprache von „a“: Das unterscheidet sie nach drei Möglichkeiten: das offen und breit gesprochene, sehr helle, das sie geschrieben mit Accent grave markiert als „à“. Gesprochen wird es wie im Schriftdeutschen bei „Karat“ oder „Spagat“: so bei Ràdi = Rettich oder Màdl = Mädchen. Das zweite ist ein verdumpftes „Ikea-a“, das ins „o“ übergeht und ähnlich wie bei „Sonne“ gesprochen wird. Schriftlich erhält es einen kleinen Kringel (Ringakzent, im Dänischen „bolle“): Mittag = Middåg. Dritte Variante ist das etwas dumpfer gesprochene „a“ aus dem Standarddeutschen wie in „Abraham a Sancta Clara“, das auch im Schriftbild nicht extra zu kennzeichnen ist. Beispiele für Kombinationen: hat er = hådda oder der Rasierpinsel = Båderwàschl.
So viele Diphthonge!
Wenn man die bairische Aussprache der weiteren Vokale verinnerlicht hat, geht es an die Diphthonge. Das Hochdeutsche kennt nur vier solcher Doppellaute: au, ei, eu, ui. Im Bairischen aber gibt es gleich elf: äi (wie englisch „a“ in „case“), åi (ausgesprochen wie „eu“ in englisch „boy“), au, eà, ei (ai), ià, oà, oi, ou, uà, ui. Wortbeispiele der Reihe nach: Gäid = Geld, zåin = zahlen, Daum = Taube, weàn = werden, Baidl = Beutel, miàd = müde, Oà = Ohr, Hoiz = Holz, Broud = Brot, Buà = Bub, Gfui = Gefühl.
Und dann all die phonetischen Finessen der Diphthonge! Die Wildsau ist die Wuidsau – „aber wer das „ui“ lang zieht, versaut der Wuidsau ois“, demonstriert die Bairisch-Expertin lachend. Oder das „al“, das zu „oi“ wird: Stall und Stoi mögen noch einfach sein, aber ruft man einen Walter, wird es schon schwieriger: „Beim Woida wird zudem das „d“ scharf und nur kurz angesetzt.“ Und wenn am Ende vieler Wörter das „n“ wegfällt, kehrt der Diphthong ins leicht Nasalierende über und erhält in Kammermeiers schriftlichem Lehrmaterial eine Tilde wie im Spanischen: kõà = kein, schõ = schon.
Nächste Herausforderung: die Umlaute. Schnell erfährt man, dass die folgende Gleichung nicht immer gültig ist: Im Bairischen wird „ü“ zu „i“. Aber wer sagt zur Brücke „Briggn“? Natürlich muss das „Bruggn“ heißen, genauso wie aus hüpfen nicht „hibbfà“ sondern „hubbfà“ wird. Sonderregeln gelten also vor allem bei gg, ck, tz. Einfacher scheint die Umwandlung von „ä“ zu „à“: Käse = Kààs, Mädchen = Màdl. Aber Vorsicht: Aus dem Schäfchen wird ein Schåfàl. In anderen Fällen wird das ä wie ein geschlossenes e gesprochen: Wände = Wendd, Hände = Hendd. Am besten lernt man auch hier gleich den Sonderfall dazu: das Händchen wird in Hànddal transformiert.
Den richtigen Rhythmus finden
Mag die Aussprache einzelner Wörter den Workshopteilnehmern bald recht flüssig gelingen, folgt das Haareraufen bei längeren Texten – in den Bairischkursen müssen nämlich auch Monologe gehalten werden: „Da erfordern die Wörter eine andere Rhythmisierung, wie wenn sie alleine gesprochen werden. Es ist typisch fürs Bairische, dass der letzte Verschlusslaut dicht an den nächsten angehängt wird.“ Beispielhaft flucht Steffi Kammermeier mit überdeutlich gesetzter Phrasierung: „Himmiherrgo – ttsakramen – tmilecks – tamoar – schvarreckts – Kruzifi – x(h)alleluja.“
Am zweiten Tag der Bairischseminare im Rahmen der Filmwerkstatt steht die Aufgabe, ein Drehbuch aus dem Schriftdeutschen ins Bairische zu übertragen. Dabei geht es noch um viele weitere Verästelungen am bairischen Sprachbaum ... (Karin Dütsch)
Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der Ausgabe September/Oktober 2023 des BSZ-Online-Magazins UNSER BAYERN. Sie können die komplette, 40-seitige Ausgabe downloaden unterwww.bayerische-staatszeitung.deFür BSZ-Abonnenten ist dieser Service kostenlos, sonst 3 Euro pro Ausgabe.
Abbildungen:
In Steffi Kammermeiers Bairischkursen wird natürlich auch mal gelacht – aber vor allem gebüffelt. (Foto: Sven Hoppe)
Die Deàndl weàn schõ wissn, wo‘s hie miassn. (Foto: dpa/ Felix Hörhager)
„Oà Zwetschgn im Baatz dadàdscht und oà im Baatz dadàdschte Zwetschgn gaabatn zwoà baazige dadàdschte Zwetschgn und an baazign Zwetschgndàtschi.“ (Foto: Michael Reichel)
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