Dreh dich, dreh dich Rädchen, spinne mir ein Fädchen, / viele, viele hundert Ellen lang! / Hurtig, hurtig muss man spinnen, Mütterchen braucht frisches Linnen; / Darum, Rädchen, ohne Ruh` dreh dich, dreh dich immerzu."
So geht ein altes Volkslied übers Spinnen. Um Martini (11. November) herum, als die Feldarbeit weitgehend beendet war, begann früher die Spinnstubenzeit. Bis ins 19. Jahrhundert war dieses gesellige Beisammensein ein wichtiger Bestandteil des dörflichen Lebens während des Winterhalbjahres. Die Frauen und Mädchen trafen sich nach Einbruch der Dunkelheit zum gemeinsamen Spinnen. Es wurde nicht nur gesponnen, sondern auch gesungen, musiziert – man erzählte sich auch viele Geschichten. Doch was wurde versponnen? Schafwolle natürlich – vor allem aber selbst angebauter Flachs.
Aus Kulturlein oder Flachs (Linum usitatissimum) lässt sich Leinentuch herstellen. Und das benötigte früher jeder wie das tägliche Brot: für Oberbekleidung, Wäsche und Tücher. Andere Materialien wie Baumwolle waren für die einfache Bevölkerung unerschwinglich. Über Jahrhunderte hinweg war Flachs die wichtigste Pflanzenfaser im europäischen Raum und wurde zur Deckung des Eigenbedarfs überall in den Dörfern angebaut. Ortsnamen wie Flachslanden in Mittelfranken lassen erahnen, welche Bedeutung der Flachsanbau dort einmal hatte. Die größten Flachsanbaugebiete Bayerns lagen in der Oberpfalz und im Allgäu. In ganz Deutschland betrug die Anbaufläche im Jahr 1875 gut 215 000 Hektar.
Flachs an sich ist ein sehr zartes Pflänzchen. Leonhart Fuchs, einer der Väter der Botanik, beschreibt in seinem Kreutterbuch von 1543 den Flachs zutreffend: „Flachs hat einen zarten Stengel, mit schmalen langen spitzigen blettlin bekleydet. Am gipffel desselbigen gewindt es schön lichtblau blumen." In der Tat: Die blauen Flachsfelder, die überall zu finden waren, müssen eine Pracht gewesen sein. Besonders das Allgäu galt als das „blaue Land". Jedoch nur für kurze Zeit, denn die Flachsblüte im Juni oder Juli hält nur wenige Tage an.
Für die Bauern war die Blütenfarbe weniger wichtig. Für sie zählte, dass ihr Flachs möglichst lang und fein wuchs. Dazu versuchten sie sich mit allerlei abergläubischem Brauchtum, wie zum Beispiel beim Fassnachtstanz recht hoch zu springen oder besonders lange Ruten ins Feld zu stecken. Tatsächlich wird der Flachs bei hohen Niederschlägen und guter Düngung besonders lang. Und wenn er durch fleißiges Jäten vor schnell wachsenden Unkräutern freigehalten wird.
Wenn die Samenkapseln des Flaches gelb werden und die unteren Blätter abfallen, ist er reif zum Ernten. Die Pflanzen werden dann büschelweise mit den Wurzeln aus dem Boden gerissen. Raufen nennt man dies. Wenn der Flachs getrocknet ist, werden beim anschließenden Riffeln die Flachsfrüchte, die Leinsamen, entfernt. Daraus machte man früher Tierfutter, Leinöl zu Beleuchtungszwecken oder Mittel für die Hausmedizin. Schon im 4. Jahrhundert vor Christus kannte man zum Beispiel die abführende Wirkung des Leinsamenschleims, und später im Mittelalter empfahl Hildegard von Bingen, bei Verbrennungen, Leinumschläge aufzulegen.
Auch Hanf (Cannabis sativa), eine weitere Faserpflanze, war seit dem Mittelalter regelmäßig auf unseren Feldern zu finden. Zwei bis vier Meter hoch kann diese einjährige Pflanze werden, von der es weibliche und männliche Exemplare gibt. Doch verbindet man mit der Hanfpflanze nicht sofort etwas Anrüchiges und Illegales? War nicht der Hanfanbau seit den 1980er Jahren bei uns verboten? Der Grund dafür: Das von den Blütenständen vor allem weiblicher Pflanzen ausgeschiedene Harz enthält gewöhnlich Tetrahydrocannabinole, aus denen man Haschisch und Marihuana gewinnen kann. Die berauschende Wirkung von Hanf war in China zum Beispiel schon 2700 v. Chr. zur Zeit des Kaisers Shen-Nung bekannt.
In der Vergangenheit hat der Anbau von Hanf als Faserpflanze in unseren Breiten eine Rolle gespielt – wenn auch viel weniger bedeutend als der Flachsanbau. Im Jahr 1878 waren in Deutschland 21 000 Hektar mit Hanf bepflanzt, im Vergleich zum Flachs nur ein Zehntel der Fläche. Schon in der Landgüterverordnung von Karl dem Großen (Capitulare de Villis) aus dem 9. Jahrhundert ist der Hanf verzeichnet und für den Anbau in den Königsgütern empfohlen. Seither lieferte der Hanf das Hauptmaterial für Seilerwaren. Ohne Hanfprodukte ist die Segelschifffahrt undenkbar. Hanffasern wurden auch für die Herstellung von Säcken und derben Stoffen verwendet. Es gab hanfene Wassereimer und Feuerwehrspritzenschläuche, und – wer weiß das schon – Gutenberg druckte seine erste Bibel auf Hanfpapier.
Um die Fasern zu gewinnen, müssen Hanf und Flachs nach der Ernte und dem Riffeln aufwändigen Arbeitsschritten unterzogen werden. „Neunmal durch des Menschen Hand geht der Flachs", so sagt eine Volksweisheit. Am Anfang steht das Rösten. Eine sehr geruchsintensive Angelegenheit, denn durch mikrobielle Gärung im Wasser oder im Tau sollen die Pflanzenfasern aufgeschlossen werden. Danach folgen nacheinander das Trocknen oder Dörren, das Brechen, das Schwingen und schließlich das Hecheln. Wer sich darunter nichts vorstellen kann, dem sei kurz gesagt, dass es darum geht, die Fasern von allen anderen Pflanzenbestandteilen zu trennen. Beim Hanf läuft die Verarbeitung vom Prinzip her genauso wie beim Flachs, jedoch ist sie wegen des höheren Holzanteils noch arbeitsintensiver. Zudem müssen beim Hanf männliche und weibliche Pflanzen getrennt werden. (Petra Raschke)
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