Einmal pro Woche machen sich Anton von der Ammersbek und Helmut Grill gemeinsam auf den Weg. Sie gehen ins Münchner Hofbräuhaus – zum Stammtisch. Da sagt natürlich keiner „Anton von der Ammersbek" zu dem Stammgast: Toni ruft man ihn da einfach. Toni ist ein Dackel, Helmut Grill sein Herrchen. Von ihrer Wohnung unweit der Münchner Maximiliansstraße ist es nur ein Katzensprung bis zum Platzl und dem Hofbräuhaus. Toni streift gerne durch die Münchner Innenstadt. Die vielen Leute ist er nicht nur gewohnt, er geht sogar freundlich schwanzwedelnd auf sie zu. Auch ins Wirtshaus geht der Toni äußerst gerne mit: Wie es da schnuppert! Und nicht selten fällt auch die eine oder andere Leckerei für ihn ab. Freilich gibt es auch Tage, da legt sich der Toni einfach träge unter den Stammtisch und hält sein Nickerchen zu Füßen der Zweibeiner, bis die letzte „Schüttelmaß" ausgetrunken ist.
Touristen, die solche Szenen im Hofbräuhaus beobachten, mögen denken: „Typisch München!" Aber dem ist schon lange nicht mehr so. Heute ist es in der bayerischen Landeshauptstadt eher selten, einem Dackel samt Herrchen im Wirtshaus oder auf dem Weg dorthin zu begegnen. Wobei: Wirtshäuser gibt es in München immer noch genügend, Menschen auch – aber die Dackel sind in den letzten Jahren immer weniger geworden. Die Münchner Hundestatistik 2010 ist alarmierend: Bei insgesamt 29 750 gemeldeten Hunden zählt man nur noch 1083 Dackel, reinrassigen Tiere und Mischlinge zusammengerechnet. Nicht einmal vier Prozent aller Hunde in München sind Dackel. Dafür gibt es umso mehr Labradore, Golden Retriever und Terrier, vor allem Jack-Russel-Terrier, und neuerdings auch den einen oder anderen Mops. Vom Aussterben der legendären kurzbeinigen Hunderasse kann zwar noch lange nicht die Rede sein. Aber dennoch: Vor 50 Jahren lag der Dackelanteil fünf Mal so hoch. Im Jahr 1959 waren bei fast 40 000 Hunden über 7000 Dackel gemeldet, wie in der Münchner Stadtchronik nachzulesen ist.
Dementsprechend ist so mancher Dackelliebhaber beunruhigt, und besonders dem Bayerischen Dachshundklub liegt es am Herzen, die Dackel wieder mehr ins Rampenlicht zu rücken. So wurde im Frühjahr 2010 unter dem Motto „München solle wieder mehr auf Dackel abfahren" ein „Werbefeldzug" für den Dackel gestartet. Unter anderem organisierten die Dackelzüchter eine Dackelwanderung im Englischen Garten. Und tatsächlich waren an einem Samstagmorgen im März am „Aumeister" im Englischen Garten ganz im Norden der Stadt rund 50 Dackel gemeinsam mit ihren Herrchen und Frauchen zu bestaunen. Nicht nur aus München, aus der ganzen Region waren sie angereist. Man sah süße Dackelchen im Zwergenformat, frech dreinschauende Kurzhaardackel – einer trug ein Halstuch mit weißblauen Rauten –, stämmige Rauhhaardackel mit kräftigem Bartwuchs und buschigen Augenbrauen, schön gekämmte Langhaardackel, glänzende Kurzhaardackel etc. Und da waren ihre Besitzer: ältere Ehepaare, alleinstehende Frauen mittleren Alters, ein Mann mit gezwirbeltem Schnurrbart und Trachtenhut, hin und wieder auch jüngere Frauen oder ganze Familien.
Der Rückgang in der hiesigen Dackelpopulation muss zu denken geben, oder etwa nicht? Der Dackel gehört doch zu München so selbstverständlich wie das Oktoberfest, die Weißwurst, das Bier und die Biergärten ... Man erinnere sich doch nur an Waldi, den gestreiften Dackel und Münchens Maskottchen für die Olympischen Sommerspiele im Jahr 1972. Waldi gab es zigtausendfach und in den verschiedensten Varianten, unter anderem in Holz, Stoff, Plüsch, schwanzwackelnd auf Rädern und zum Draufsetzen. Nun ja, das war vor fast 40 Jahren. Aber auch heutzutage dient der Dackel immer noch als „Markenzeichen" für München. Sei es auf den Plakaten und Postkarten zur Dauerausstellung Typisch München des Münchner Stadtmuseums oder auf den aktuellen Stadtplänen der Münchner Verkehrsgesellschaft MVG, auf dem werbewirksam das Porträt eines Rauhhaardackels mit Namen Wastl abgedruckt ist. Wie heißt es so schön, mit diesem Stadtplan könne man „jeden Wastl in jeder Straße Münchens finden"? Was aber, wenn es gar keine Wastls mehr gibt?
Dabei gehört doch zu jedem „echten" Münchner ein Zamperl, der ihn auf allen Wegen begleitet. Das meinte zumindest Franziska Bilek (1906- bis 1991), Schöpferin des legendären „Herrn Hirnbeiß". Dieses Abbild eines Münchner Grantlers in den besten Jahren gibt seit 1961 in der Abendzeitung seine Meinung zum Tagesgeschehen zum Besten und ist stolzer Besitzer eines Dackels namens Waldi. „Siehst, Waldi, so was wie mir zwei, des nennt ma an Partnerlook…", war einmal eine Zeichnung überschrieben, wohl auf die kurzen stämmigen Beine von Herrchen und Hund anspielend.
Ein ähnlich populäres Duo waren in den 1980er Jahren auch der beliebte Volksschauspieler Walter Sedlmayr und sein Dackel: Unterm Kastanienbaum mit Maß und Hund – das „typische" Biergartengespann und damit ideal für die Werbung einer Münchner Großbrauerei. Von der Physiognomie her war der Schauspieler dem „Herrn Hirnbeiß" aus der Abendzeitung nicht unähnlich – etwas korpulent, mit rundlichem Gesicht, Schnurrbart und schütterem Kopfhaar.
Unvergessen ist aus der Fernsehunterhaltung der 1970er Jahre ein weiteres Paar: Der Münchner Tatortkommissar Veigl, gespielt von Gustl Bayrhammer, und sein Dackel Oswald waren gemeinsam unterwegs, um hinterhältigen Mördern auf die Schliche zu kommen.
Selbst in die seriöse Literatur fanden der Münchner und sein Dackel als Motiv ihren Einzug. So sitzt im vielgerühmten Münchenroman Erfolg von Lion Feuchtwanger aus dem Jahr 1930 einer der Protagonisten in einem Lokal der Münchner Innenstadt, trinkt, isst, lauscht der Musik in der Ferne – und hat einen Dackel mit Namen Waldmann zu Füßen. (Petra Raschke)
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