Unser Bayern

Höhepunkt eines Münchenaufenthalts anno 1854 war der Besuch der Industrie- und Gewerbeausstellung im Glaspalast. (Foto: BSB/Ansichten- und Porträtsammlung)

31.05.2013

"Wo man so leicht und poetisch lebt"

Auf seiner Reise durch Bayern schloss der französische Dichter Gérard de Nerval vor allem Nürnberg in sein Herz

In der Vergangenheit sind immer wieder bedeutende Persönlichkeiten durch Deutschland gereist, manche haben ihre Eindrücke niedergeschrieben und veröffentlicht. Viele dieser Selbstzeugnisse wurden in Sammelbänden publiziert, andere blieben bis heute unbekannt, so zum Beispiel die Briefe des französischen Dichters Gérard de Nerval (1808 bis 1855) von seinen Reisen durch Deutschland. Gérard de Nerval ist in seinem Heimatland Frankreich noch immer gut bekannt. Er schrieb vor allem Gedichte und Dramen, die trotz ihrer schweren mystischen Traumvisionen durchaus erfolgreich waren. Seine Gedichte zeugen vom Glanz und Verfall der Spätromantik, sie lassen sich in fremder Sprache nur schwer erschließen. Berühmt wurde Nerval mit seiner Reise in den Orient; aber er besuchte auch das Nachbarland östlich des Rheins, Deutschland: München, Nürnberg, Bamberg. Nerval fuhr gerne mit der Eisenbahn, für die zunehmend in der Mitte Europas Schienen verlegt wurden. Lange Zeit gab es nur wenige Verkehrsmittel, mit denen man bequem und schnell reisen konnte. Die Soldaten Napoleons bewegten sich kaum schneller fort als die Legionäre Julius Cäsars, fast 2000 Jahre früher. Am Ende des 18. Jahrhunderts reiste man noch wie in der Antike: Man konnte die Kutsche nehmen, sie war teuer und anstrengend. Man konnte laufen, das war einfacher, aber anstrengend, oder auf einem Pferd reiten – wie zu Pfingsten 1797 die zwei Freunde und Erlanger Studenten, die romantischen Dichter Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck durch die Fränkische Schweiz. Nerval kam mit der Eisenbahn von Südwesten her, fuhr von Stuttgart nach Ulm; diese Linie war vier Jahre zuvor (1850) fertiggestellt worden. Von Ulm ging es weiter nach München, diese Strecke war vollkommen neu. Eine direkte Verbindung von Stuttgart nach Nordosten, nach Nürnberg, gab es zu dieser Zeit noch nicht. Einen Reisebericht hat Nerval nicht verfasst, wohl aber hat er Briefe an seinen Vater und an Freunde geschrieben und darin seine Eindrücke mitgeteilt. Aus München schrieb er an einen Freund namens Émile, wohl am 18. Juni 1854: „Ich bleibe eine Weile in München, wo es viel zu sehen und zu tun gibt … Morgen werde ich die großen Museen aufsuchen, eines davon ist ganz neu. Die Stadt ist derzeit sehr belebt, weil hier eine Industrieausstellung zu besichtigen ist, sie wird in einem großartigen Glaspalast gezeigt." Gelegenheit zum Besuch einer Wagneroper habe er noch nicht gehabt. Im Jahr davor, 1853, war die Neue Pinakothek eröffnet worden. Weil es nun ein neues Museum dieses Namens gab, bezeichnete man fortan die frühere, ältere als die Alte Pinakothek. Im Sommer 1854 fand in München eine „Allgemeine Ausstellung der Industrie- und Gewerbeerzeugnisse" statt. Sie lockte Hunderttausende in die bayerische Residenzstadt. Die Nürnberger Firma Klett errichtete dazu einen Glaspalast als Ort der Ausstellung. Unzählige strömten in diesem Sommer nach München, um die neuen Wunder der Technik zu bestaunen, an einzelnen Tagen zählte man mehr als 5000 Besucher. Etwa 200 000 Personen schauten sich 1854 diese Münchner Industrieausstellung an. Unter dem 18. Juni 1854 schrieb Nerval auch an eine Bekannte, an Francis Wey: „Wir sind alle ein wenig verrückt nach diesem guten Deutschland, geben dies aber gerne zu", schrieb er. „Ich bin schon fast entschlossen, als nächstes nach Regensburg zu reisen und dann weiter nach Nürnberg, danach werde ich sehen. Meine innere Ruhe kommt langsam zu mir zurück, und das ist zum Guten … Ich bemerke, dass ich sehr katholisch werde, während ich durch diese schönen Gegenden reise, wo man so leicht und poetisch lebt. Ich habe schon an die drei Messen besucht, und zwar genau am Fronleichnamstag. Aber darin liegt kein großes Verdienst, denn es gab Musik, und diese Gottesdienste wurden in Rokokokirchen gefeiert." Sehr lange hielt es Nerval nicht in München. Er fuhr weiter nach Norden. Er wählte die Verbindung über Augsburg und Donauwörth. Am 20. Juni 1854 schrieb er an seinen Vater: „Ich schreibe Dir aus Donauwörth, wo ich auf der Durchreise von München und über Augsburg angehalten habe. Ich weiß noch nicht bestimmt, ob ich nach Regensburg fahren werde, denn es dauert auf der Donau neun Stunden mit dem Dampfschiff, und der Fluss ist hier noch so gering, dass das nicht sehr malerisch sein wird. Trotzdem, ich habe eine Einladung nach Regensburg … Die Reise tut mir sehr gut, und ich fühle mich wieder hergestellt." Seit 1852 bestand zwischen Nürnberg und München eine vergleichsweise schnelle Eisenbahnverbindung, die Fahrzeit betrug gut sieben Stunden. Man konnte in München einen Zug um 5 Uhr besteigen, der traf um 12.30 Uhr in Nürnberg ein, oder einen späteren, um 12.40 Uhr, dann war man am Abend in Nürnberg. Ende Juni 1854. „Das Wetter trübt ein wenig ein, ich glaube gern, dass ich schließlich die Eisenbahn nach Nürnberg nehmen werde, wo ich zwei oder drei Tagen bleiben werde, weil es dort viel zu sehen gibt. Ich habe noch immer genügend Geld, und man wird mir welches nachsenden, falls ich weiteren Bedarf habe … Welch schönes Land ist dieses Deutschland." Er fügte als Postscriptum hinzu: „Ich bin in Nürnberg. Das ist eine entzückende Stadt, voller nie gesehener kleiner Dinge. Albrecht Dürer wirkte hier als Künstler, und ich schreibe Dir diese Zeilen vor seinem Bildnis. Es gibt hier Brunnen und wunderbare Kirchen – nur schade, dass Du nicht hier bist!" (Manfred Vasold) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Mai-Ausgabe von Unser Bayern!

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