Unser Bayern

Georg Fruhstorfer wurde in späteren Jahren bekannt für gemeinsam mit seiner Frau Heidi als Journalistin produzierte Homestory- Fotoreportagen. Dafür besuchter er auch den eigenwilligen Künstler Olaf Gulbransson - hier ein Ausschnitt aus der Fotografie. Weitere Motive finden Sie in der Bildergalerie am Ende des Beitrags - sowie in der gedruckten Ausgabe von UNSER BAYERN: (Foto: BSB Bildarchiv)

06.03.2020

Wovon Fotos erzählen

Quellenforschung im Bildarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek: Katapultiert in eine neue Dimension

Das war im vergangenen Jahr ein Knüller: Der Stern hat sein historisches analoges Bildarchiv verschenkt. Und zwar an die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) in München. Da mag man sich gewundert haben, dass dieser wertvolle Bilderschatz kostenlos abgegeben wurde und obendrein nicht in der Heimatstadt des Magazins, in Hamburg, geblieben ist. Mehr noch fragt man sich aber: Warum wandert diese Masse von rund 15 Millionen Fotos in eine Bibliothek? Letzteres ist einfacher zu beantworten als Fragen zur Transferpolitik: Fotografien sind heute mehr denn je wichtige Informationsquellen und Forschungsmaterial – und diese zu sammeln ist ja originäre Aufgabe des „Wissensspeichers“ Bibliothek. Gleichwohl zeigt das Beispiel Bayerische Staatsbibliothek, dass die Emanzipation der Fotografie als eigenständiges bibliothekarisches Sammlungsgebiet noch relativ jung ist: Es wurde erst 1985 etabliert – die Bibliothek war damals bereits 427 Jahre alt und die Geschichte der Fotografie währte da auch schon bald 150 Jahre.

Zweifelsohne wurde mit dem Zuwachs des analogen Stern-Fotoarchivs ein ganz neues Kapitel in der Geschichte des Bildarchivs aufgeschlagen – „das hat uns in eine völlig neue Dimension gebracht, in eine internationale“, sagt Cornelia Jahn, die Leiterin der Abteilung Karten und Bilder. Allein die Menge des Bestands ist mit der Schenkung hochgeschnellt: Von gut 2,3 Millionen auf annähernd fast 18 Millionen. Wie man die archivgerecht unterbringt, ist nicht das Problem: „Mit dem Stern-Archiv sind ja nicht 15 Millionen Bücher ins Haus gekommen“, sagt Klaus Ceynowa, der Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek. „Ungefähr zwölf Millionen Motive sind auf Negativstreifen, der Rest sind Dias und Papierabzüge.“ Magazinplatz hat man ausreichend für die 2200 Leitzordner und 2320 Archivkartons in der Größe kleinerer Umzugskartons. Die Herausforderung ist indes eine andere: Dieser Bilderfundus, der auf einzigartige Weise das visuelle Gedächtnis nicht nur der Bundesrepublik, sondern der Welt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts darstellt, soll für jedermann sichtbar gemacht werden: Massendigitalisiert und auf einer eigenen Internetplattform. Da sollen sich nicht nur wissenschaftliche oder publizierende Fachnutzer, sondern jedermann kostenlos durchklicken können.

Doch während Experten unter Hochdruck an diesem bombastischen Zukunftsprojekt arbeiten, nutzt das Bildarchiv quasi die Aufmerksamkeit der Stunde und stellt sich in einer großen Ausstellung vor – das erste Mal überhaupt und mit der ganzen Bandbreite seiner Bestände. Die Ausstellung Von Armstrong bis Zappa 1997/98 beschränkte sich auf eine Auswahl von Fotografien Felicitas Timpes. Nun werden unter dem Titel München. Schau her! rund 280 Motive aus dem Fundus repräsentativ ausgebreitet: Originalabzüge konservatorischer Erfordernisse wegen in den „Schatzkammern“ der Bibliothek, viele andere Motive werden als vergrößerte Repros in der Ausstellungsfläche im ersten Stock an der Münchner Ludwigstraße zu Eyecatchern arrangiert.

Der Kernbestand des Bildarchivs

Der Name dieser Sondersammlung lautet explizit nicht Foto, sondern Bildarchiv. Das verweist auf seinen Nukleus: Der reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück und setzt sich aus Druckgrafik (Holzschnitten, Holz, Kupfer- und Stahlstichen, Lithografien) und erst später Fotografien zusammen. Immer wieder gelangten – zum Beispiel durch Nachlässe – Porträts berühmter Personen und Ansichten von Städten, herausragenden Gebäuden und Denkmälern ins Bibliotheksgut. Besonders im 19. Jahrhundert kamen zahllose Porträts – dann auch schon als Fotografien – in den Bestand, und zwar über die intensiv ausgebaute Autografensammlung; begleitend zu den Schriftstücken wurden Fotografien der Schreiber erbeten.

Sukzessive kam so eine umfangreiche Porträtsammlung zusammen. Aber alles war unerschlossen. Mitte der 1980er-Jahre wurmte es Reinhard Horn, der im BSB-Nachlassreferat arbeitete, dass er für die Bestückung einer Ausstellung bei Partnerinstitutionen wie dem Münchner Stadtmuseum um Porträts anfragen musste, weil er im eigenen Haus auf die Schnelle nicht fündig wurde. Horns neue Aufgabe wurde die systematische Durchforstung des Bestandes der Handschriftenabteilung: Alle Bilder wurden katalogisiert und konservatorisch einwandfrei untergebracht. Reinhard Horn wurde der erste Leiter des Bildarchivs, das explizit allerdings erst seit Übernahme des Fotoarchivs Hoffmann im Jahr 1993 so heißt.

Die mediale Bilderflut des 20. Jahrhunderts machte die Ausweitung des Profils über die vorhandene Porträt- und Ansichtensammlung hinaus notwendig: Weniger was Studiofotografen ablieferten, sondern was Pressefotografen festhielten, reflektierte das Zeitgeschehen und die soziale Wirklichkeit. Die Ausweisung des Bildarchivs zusammen mit der Kartensammlung als eigene Abteilung beförderte den aktiven Ausbau des Bestands auch mit überregionalen Aspekten. Dabei konzentriert sich die Sammlung auf dokumentarische Fotografie. „Künstlerische Fotografie sammeln wir nicht aktiv“, erklärt Cornelia Jahn.

Timpe-Fotos: Kulturgeschichte im Quadrat

Der Erwerb des ersten großen Fotoarchivs erfolgte mit Fördergeldern der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Es gelang die Übernahme des Archivs von Felicitas Timpe (1923 bis 2006). „Das ist Kulturgeschichte im Quadrat“, freut sich noch heute Reinhard Horn. Die zufällige Tischnachbarschaft bei einem Essen führte zum Kontakt mit der Fotografin, die als Bildjournalistin für Kulturelles vor allem in München jahrzehntelang unterwegs war. „Als wir in ihre Schwabinger Altbauwohnung kamen, herrschte dort Chaos pur“, erinnert sich Horn lachend. „Überall Regale vom Boden bis zur Decke voller Fotos und Negative.“ In drei Chargen übernahm das Bildarchiv ab 1989 dieses Konvolut von 1,2 Millionen Motiven. Über 16.500 davon sind bislang katalogisiert und digitalisiert – im Online-Auftritt des BSB-Bildarchivs findet man sie unter einem eigenen Menüpunkt.

Da sieht man die junge Fotografin 1951 persönlich während der Veranstaltung „Musikalische Jugend Deutschlands/Jeunesse Musicales“. Ein Unbekannter hat sie gemeinsam mit dem Belgier Marcel Cuvelier, der die Reihe 1945 in seinem Heimatland initiiert hatte, fotografiert – offensichtlich in einer Zigarettenpause. Ist es nur Interesse am Fotoapparat Timpes oder musste der Intendant der Fotografin gar technische Hilfe leisten? Jedenfalls hantiert er an dem Apparat, den die Fotografin umgehängt hat. Neugierig lugt ihm Robin Laufer über die Schulter; Laufer leitete damals das International Music Council (IMC) der Unesco. Felicitas Timpe hat jede Menge Künstler, Literaten, Wissenschaftler und Prominenz aus dem Kulturleben fotografiert. Von Carl Amery, Ernst Jandl, Herbert Rosendorfer, Günter Grass, Doris Lessing, Elfriede Jelinek, Alice Schwarzer, Mahalia Jackson, Ursula Herking, Peter Alexander bis zu Schlagerstar Chris Roberts und den umstrittenen Heilpraktiker Manfred Köhnlechner, den Dalai Lama, Roman Polanski, Leonard Bernstein, die Beatles und die Rolling Stones und viele, viele mehr. Wer auch immer in München anzutreffen war: Felicitas Timpe wusste, wo sie hinmusste.

Die Promis schienen die Fotografin nicht gemieden zu haben – der aufdringliche Paparazzi-Voyeurismus war allerdings auch nicht ihre Sache. Selbst wenn sie 1950 Konrad Adenauer wohl aufgelauert hat: Der Bundeskanzler blickt beim Aussteigen aus seiner Limousine direkt in ihre Kamera und scheint sogar mit ihr zu scherzen... (Karin Dütsch)

Information: Ausstellung München. Schau her! Bis 21. Juni: Bayerische Staatsbibliothek,
1. Stock, Ludwigstraße 16, 80539 München.

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der Ausgabe März/April von UNSER BAYERN (BSZ Nr. 10 vom 6. März 2018)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.