Unser Bayern

Das Motiv des dichtenden Schusters findet sich auch in der Werbung: Hier eines der Reklamebildchen von Liebigs Fleischbrühe. (Foto: SZ Photo)

18.12.2015

Zwischen Leisten und Lied

Schon als Schusterlehrling sang er – später wurde Hans Sachs einer der produktivsten Dichter des 16. Jahrhunderts

Wenn einer Deutschland kennen und Deutschland lieben soll, wird man ihm Nürnberg nennen, der edlen Künste voll. Dich, nimmer noch veraltet, du treue, fleißige Stadt, wo Dürers Kunst gewaltet und Sachs gesungen hat.“ Mit diesen schwärmerischen Worten beschrieb der Poet Max von Schenkendorf (1783 bis 1817) eine der schönsten deutschen Städte: Nürnberg, die fränkische Metropole an der Pegnitz. Sie kann auf eine altehrwürdige Geschichte zurückblicken. Erstmals im Jahr 1050 als Reichsburg schriftlich bezeugt, gelang Nürnberg schon bald ein kometengleicher Aufstieg. Im 13. Jahrhundert erhielt es den Rang einer Freien Reichsstadt, die nur dem Reichsoberhaupt unterstand. 1356 wurde hier die „Goldene Bulle“ verabschiedet: das „Grundgesetz“ des Heiligen Römischen Reiches, welches die Wahl des römisch-deutschen Königs durch die Kurfürsten regelte. 1423 honorierte Kaiser Sigismund die herausragende Stellung der Stadt Nürnberg, indem er ihr die Reichskleinodien zur Verwahrung übergab. Es handelte sich dabei um den Kronschatz des Heiligen Römischen Reiches, bestehend aus prächtigen Krönungsgewändern, Reliquien und Herrschaftszeichen wie Krone, Zepter und Heiliger Lanze.

Nürnbergs Blütezeit

Zwischen dem 15. und dem frühen 16. Jahrhundert, am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, erlebte Nürnberg eine Phase ökonomischer und kultureller Blüte. Der Fernhandel der Kaufleute und die Geschicklichkeit der Handwerker bescherten der Stadt ein florierendes Wirtschaftsleben. Maler und Bildhauer wie Albrecht Dürer, Adam Krafft und Veit Stoß veredelten das Stadtbild. Das geistige Leben wurde durch den aufkeimenden Humanismus befruchtet: Diese intellektuelle Strömung rief die großartigen Errungenschaften der griechischen und römischen Antike, die im Mittelalter weitgehend vergessen waren, wieder ins Bewusstsein. Nürnberg besaß einen eigenen Humanistenkreis, dem mehrere illustre Persönlichkeiten angehörten: darunter Konrad Celtis, Willibald Pirckheimer und Hartmann Schedel, der Schöpfer einer bedeutenden Weltchronik. In dieses bemerkenswerte Umfeld wurde Hans Sachs (1494 bis 1576) hineingeboren: der Meistersinger, Poet und noch dazu ein Schuhmacher. Mit enormem Fleiß und einem schier unerschöpflichen Quell an Inspiration schrieb er über 6000 Werke: Lieder, Gedichte und Theaterstücke. Hans Sachs gehörte damit zu den herausragenden deutschen Künstlern des 16. Jahrhunderts.

Für die Handwerkerkarriere vorgesehen

Geboren wurde Hans Sachs am 5. November 1494. Er war das einzige Kind des Schneidermeis-
ters Jörg Sachs und seiner Frau Christina. Sein Elternhaus kann man als gutbürgerlich bezeichnen, denn ein damaliger Handwerksmeister bezog in der reichen Handelsmetropole ein ordentliches Einkommen. Als Säugling hatte Hans Glück im Unglück: von der Pest, die gerade in Nürnberg grassierte, blieb er verschont. Wie im Bürgertum üblich, besuchte der junge Hans ab dem achten Lebensjahr die Lateinschule. Hinsichtlich des Berufsweges seines Sohnes besaß Jörg Sachs klare Vorstellungen: Handwerker sollte er werden und sich einer Zunft anschließen. Seit dem 13. Jahrhundert formierte sich ein selbstbewusstes Bürgertum, das eine Beteiligung an der politischen Macht anstrebte. Dieses Phänomen ist die Wurzel für die Entstehung der Zünfte: Die Handwerker einer Stadt schlossen sich zu genossenschaftlich organisierten Verbänden zusammen, die nach Gewerbe oder Gewerbegruppen organisiert waren. So kam es, dass viele Berufe eine eigene Zunft hatten: beispielsweise Bäcker, Gerber, Kürschner, Schmiede, Schneider, Schuhmacher, Zimmerer.

Kulturelles Engagement der Zünfte

Die Zünfte regulierten das Wirtschaftsleben einer Stadt und schränkten den Wettbewerb ein. Dadurch konnte gewährleistet werden, dass die einzelnen Gewerbe ausreichend Gewinn erzielten, um den Lebensunterhalt ihrer Mitglieder zu garantieren. Auswärtigen Konkurrenten wurden Marktzugangsbarrieren auferlegt. Zudem regelte man die Ausbildung des beruflichen Nachwuchses. Die Zünfte besaßen aber nicht nur materielle Interessen; sie bereicherten auch das kulturelle Leben einer Stadt durch Feste, Tanz und Gesang. Ebendieses Zunftwesen sollte das Leben des Hans Sachs entscheidend prägen. Nachdem er als Vierzehnjähriger die Schule abgeschlossen hatte, wurde er für zwei Jahre Lehrling eines Nürnberger Schuhmachers. Nach der Gesellenprüfung ging er für einige Jahre auf Wanderschaft und arbeitete bei zahlreichen Schustern in anderen Städten. Diese Prozedere war von den Zünften für jeden Gesellen vorgeschrieben, der später Meister werden wollte. Für den jungen Hans bot dies eine ideale Gelegenheit, einmal aus Nürnberg heraus zu kommen. Er reiste durch Bayern und Österreich. Zu seinen Stationen gehörten unter anderem Regensburg, Passau, Burghausen, Salzburg, München, Landshut und Würzburg. Im Jahr 1516 kehrte er in seine Geburtsstadt zurück, um dort seine Meisterprüfung abzulegen. Nachdem er diese mit Bravour bestanden hatte, wurde er in die Zunft der Schuhmachermeister aufgenommen. Nun galt es, sich im Nürnberger Bürgertum zu etablieren. Mit 24 Jahren gründete Hans Sachs einen eigenen Hausstand: Er heiratete die siebzehnjährige Kunigunde Creutzer. Aus dieser Verbindung gingen sieben Kinder hervor, die jedoch allesamt jung verstarben. Wenige Tage nach der Vermählung zogen Sachs und seine Gattin in das Wohnhaus seiner Eltern in der Kotgasse (heutige Brunnengasse) nahe der Lorenzkirche. Als Kunigunde 1560 starb, heiratete Sachs im Alter von 66 Jahren ein zweites Mal: seine Braut war die junge Witwe Barbara Harscher. Beruflich konnte er mühelos Fuß fassen: seine Schusterei, die er im Erdgeschoss seines Wohnhauses eingerichtet hatte, erwarb sich bald einen hervorragenden Ruf.

Schustern und dichten

Schon früh entdeckte Hans Sachs seine ausgeprägte künstlerische Ader. Seine besondere Leidenschaft galt dem Dichten und Singen. Erste kreative Anregungen erhielt Sachs während seiner Zeit als Schusterlehrling. Damals machte er Bekanntschaft mit dem Sänger Leonhard Nunnenpeck (er war ein Nürnberger Leinweber, Lebensdaten unbekannt) und ließ sich von diesem unterrichten. 1514 komponierte er sein erstes Lied. Als Sachs nach abgeschlossener Gesellenwanderung in Nürnberg sesshaft geworden war, konnte er seine Talente voll entfalten. In seiner Heimatstadt fand er nämlich eine traditionsreiche Kunstform vor: den Meistergesang. Ab dem 15. Jahrhundert bildeten sich in mehreren deutschen Städten zunftartige Verbände, in denen Dichtung und Gesang gepflegt wurden. Die Sänger, die sich in einer solchen Vereinigung zusammenschlossen, bezeichneten sich als „Meistersinger“. Darunter befanden sich zahlreiche Handwerksmeister, aber auch Juristen, Lehrer und Priester. Man traf sich regelmäßig in Kirchen oder Rathäusern und trug dort in geselligem Beisammensein Lieder und Gedichte vor. Die Aufnahmeprozedur war nach dem Vorbild der Handwerkszünfte geregelt.

Fundierte Gesangsausbildung

Wer ein „Meistersinger“ werden wollte, musste einen systematischen Gesangsunterricht besuchen. Der Auszubildende durchlief dabei mehrere Stadien: Er wurde zunächst „Schüler“, dann „Schulfreund“, „Singer“ und „Dichter“. Erst nach der erfolgreichen Darbietung eines selbstständig verfassten Meisterliedes erhielt er den höchstmöglichen Grad, nämlich den Meistertitel.
Es gab strenge Vorschriften, wie ein solches Meis-terlied auszusehen hatte: Es musste die Barform befolgen, das heißt aus mindestens drei Strophen bestehen. Jede dieser Strophen wurde im Schema A–A–B aufgebaut. Ein deutschlandweit berühmtes Zentrum des Meistergesanges war Nürnberg. Die Zusammenkünfte der Meister fanden vor allem in der St.-Martha-Kirche statt. Der junge Hans Sachs bewies herausragendes Talent. Schon bald stieg er zum führenden Meistersinger seiner Heimatstadt auf. Er sollte sich als überaus produktiv erweisen: Im Laufe seines Lebens dichtete und komponierte Sachs Texte und Melodien für rund 4000 Meis-terlieder; viele davon sind heute noch erhalten. Sein Ruhm verbreitete sich rasch über Nürnberg hinaus ins gesamte Deutsche Reich... (Daniel Carlo Pangerl) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der Dezemberausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 51/52 vom 18. Dezember 2015) Foto:
Dem Meistersinger Hans Sachs hat Richard Wagner ein musikalisches Denkmal gesetzt. (Foto: dpa)

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