Wirtschaft

Für die Gastronomie gibt es immer noch keine Perspektiven. (Foto: dpa/Sven Hoppe

26.03.2021

"Anhaltender Lockdown ist eine absolute Katastrophe"

Achim von Michel, Landesbeauftragter für Politik des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) in Bayern, über Hilfszahlungen, Krisenprofiteure und Impfungen

Der Lockdown trifft vor allem Hotellerie und Gastronomie hart. Aber auch andere Branchen klagen über fehlende Perspektiven. Weniger als 20 Prozent der Mitgliedsbetriebe des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) in Bayern sind noch mit der Corona-Politik zufrieden.

BSZ: Herr von Michel, die dritte Corona-Welle rollt und der Lockdown ist verlängert worden. Was bedeutet das für die mittelständischen Unternehmen in Bayern?
Achim von Michel: Viele der mittelständischen Unternehmen in Bayern sind von den Einschränkungen stark betroffen und können ihren Betrieb nun schon seit vielen Monaten nicht öffnen. Vor allem die Gastronomie, der Tourismus und die Kultur- und die Veranstaltungsbranche machen schwere Zeiten durch – und werden nun wohl noch weiter durchhalten müssen. Für das wirtschaftliche Überleben vieler unserer Mitgliedsunternehmen aus dem Mittelstand ist der anhaltende Lockdown eine absolute Katastrophe. Es überrascht daher nicht, dass laut einer aktuellen Mitgliederbefragung weniger als 20 Prozent mit der Corona-Politik noch zufrieden sind.

BSZ: Supermärkte, Amazon & Co. sowie Digitaldienstleister profitieren – Einzelhandel, Gastronomie (auch Clubs und Discos), Hotellerie, Reisebranche und Eventbranche sterben. Wie bewerten Sie das?
Von Michel: Online-Versandhändler gehören sicher zu den Profiteuren der Krise. Nach der Corona-Pandemie werden sich die Unternehmenslandschaft und das Konsumentenverhalten auf jeden Fall verändert haben. Viele kleine Betriebe aus den angesprochenen Branchen haben bereits Insolvenz angemeldet oder werden dies bald tun müssen. Experten des ZEW rechnen nach dem Ende der Hilfen mit bis zu 25.000 Unternehmensinsolvenzen. Die aktuelle Lage begünstigt manche – vor allem größere Unternehmen –, viele kleinere Unternehmen haben hingegen das Nachsehen. Denen hilft nämlich auch der laute Ruf nach mehr Digitalisierung nicht wirklich: Ein Gourmetrestaurant kann man nicht in eine Take-away-Küche umfunktionieren und einen Club nicht in einen Streaming-Anbieter für digitale Partys.

BSZ: Wie beurteilen Sie die Performance der Bundesregierung bei der Auszahlung der Corona-Hilfen?
Von Michel: Die zahlreichen angekündigten Hilfsprogramme decken in der Theorie vieles ab und könnten den Unternehmen eigentlich durch die schwere Zeit helfen. Doch die schleppende Auszahlung der Hilfen und mangelnde Sicherheitssysteme sind für uns ein großes Ärgernis, da es bei vielen Unternehmen mittlerweile auf jeden Tag ankommt und die Hilfen häufig wochenlang ausbleiben. Über 70 Prozent unserer Mitglieder geben an, dass der Prozess zu lange dauere und zu bürokratisch sei, bei rund einem Viertel der Unternehmen dauert die Auszahlung der beantragten Hilfen länger als zwölf Wochen. Dass seitens der Politik einerseits erklärt wurde, die Auszahlung dauere aufgrund der genauen Prüfung so lange, andererseits trotzdem Hunderte Betrugsfälle nicht erkannt wurden, ist natürlich eine Farce. Der BVMW setzt sich schon seit Monaten für eine schnellere und unbürokratische Beantragung und Bewilligung der Hilfen ein, zuletzt sogar unter Einbindung der jeweils zuständigen Bundestagsabgeordneten.

BSZ: Manch einer fragt sich angesichts des Dauerlockdowns, ob der deutsche Mittelstand kaputt gemacht werden soll, damit wir Verhältnisse wie in den USA kriegen. Haben wir bald nur noch Großkonzerne?
Von Michel: Das glaube ich ganz sicher nicht. Der Mittelstand wird in Deutschland nicht umsonst das Rückgrat der Wirtschaft genannt. Kleine und mittlere Unternehmen stehen hierzulande für 99 Prozent aller Betriebe und knapp 60 Prozent aller Beschäftigten. Im Mittelstand findet man geballte Innovationskraft sowie die allermeisten Ausbildungsplätze – wenn diese Stärke verspielt würde, wären die wirtschaftlichen Folgen unabsehbar – zumal uns die ganze Welt um den „German Mittelstand“ beneidet. Ich treffe auch ständig Unternehmer*innen, die es gar nicht erwarten können, wieder durchzustarten, auch wenn es für viele sicher ein steiniger Weg wird.

BSZ: Wie ernst ist derzeit die Gefahr, dass sich chinesische Investoren in den Mittelstand einkaufen und Know-how abziehen, wenn demnächst die Insolvenzwelle losrollt?
Von Michel: Fest steht, dass bayerische Mittelständler überall auf der Welt für ihre Innovationen geschätzt werden. Das Problem ausländischer Übernahmen ist ja auch kein ganz neues, das zeigen prominente Beispiele wie KuKa. Falls Betriebe aber jetzt durch die Pandemie in eine wirtschaftliche Schieflage geraten, hoffe ich, dass der Bayernfonds der Staatsregierung seiner angekündigten Aufgabe gerecht wird und sich finanziell engagiert, um relevante Unternehmen und ihr Know-how im Land zu halten.

BSZ: Kunst und Kultur gelten als Inspirationsquelle für den Erfindergeist. Wenn jetzt Kunst und Kultur kaputt gehen, wird die Innovationskraft des deutschen Mittelstands geschwächt. Wie sehen Sie das?
Von Michel: Kunst und Kultur haben eine enorm wichtige gesellschaftliche Funktion. Wertschätzung und Unterstützungsbereitschaft für diesen überaus bedeutenden Wirtschaftszweig und seine Kreativschaffenden vermisse ich leider. Kultur- und Veranstaltungswirtschaft bilden zusammen einen der größten Wirtschaftszweige in Deutschland mit zuletzt mehr als 130 Milliarden Euro Umsatz und 1,5 Millionen Beschäftigten. Trotzdem musste die Branche erst sehr laut werden, um überhaupt von der Politik gehört zu werden. Man kann schon auf eine neue kulturelle Blütezeit nach der Pandemie hoffen, die dann auch wieder Innovationen beflügelt. Ich denke schon, dass es einen enormen ‚Nachholeffekt’ geben wird, aber im Moment weiß eben noch niemand genau, wann das wieder möglich sein wird. Bis dahin müssen wir vor allem den vielen Soloselbstständigen unbürokratisch und großzügig helfen, denn sonst wird nicht mehr viel übrig sein von der bayerischen Kulturlandschaft.

BSZ: Auch Verschwörungstheorien feiern fröhliche Urstände: New World Order, The Great Reset und so weiter kursieren in den sozialen Medien. Was halten Sie davon? Muss die Bundesregierung nicht viel entschiedener gegen solche Mythen vorgehen, als sie nur als Quatsch abzutun?
Von Michel: Was mir schon Sorge bereitet, das ist der steigende Zulauf, den solche Verschwörungstheorien in der Pandemie verzeichnen. Das hat aber auch mit generellen Medienphänomenen zu tun – immer mehr Menschen vertrauen vornehmlich den Meldungen in ihrer eigenen ‚Filterblase’, und wer es dort einmal hineingeschafft hat, kann allerlei mediale Energie freisetzen. Das Beste, was die Regierung dagegen machen kann, ist deutlich besser und transparenter zu kommunizieren und eine funktionierende Strategie aus der Krise aufzuzeigen. Die Verschwörungsmythen an sich sind teilweise so unfassbar unsinnig – man denke nur an QAnon – dass sich eine inhaltliche Auseinandersetzung kaum lohnt. Es ist wirklich sehr viel Quatsch.

BSZ: Wer bezahlt eigentlich die Corona-Rechnung?
Von Michel: Am Ende werden die Rechnung natürlich die Steuerzahler begleichen, verschiedene Ideen für kurzfristige Steuererhöhungen kursieren ja bereits. Insgesamt wird die exorbitante Neuverschuldung aber vor allem von den kommenden Generationen getragen werden müssen, das ist jetzt schon klar.

BSZ: Was muss Europa wieder selber produzieren, damit die Abhängigkeiten von anderen Weltregionen kleiner werden?
Von Michel: Die Krise hat gezeigt, dass wir in Europa sehr gut daran täten, größere Kapazitäten für die Produktion von Arzneimitteln und Impfstoffen vorzuhalten. Medizinische Schutzausrüstung sowie Masken waren in der Anfangsphase ebenfalls Mangelware. Abgesehen vom medizinischen Bereich besteht aber zum Beispiel auch in der Automobilindustrie durch die Pandemie seit Monaten ein Engpass an Mikrochips, ohne die ganze Produktionsstätten stillstehen. Man erkennt die erschreckend starke Abhängigkeit Europas von Asien zurzeit sehr deutlich. Vielleicht wird das eine Lehre aus der Pandemie sein: Auch eine globalisierte Gesellschaft braucht gut funktionierende lokale Strukturen.

BSZ: Gegen Grippe gibt es Impfungen. Dennoch sterben jährlich Tausende an der Influenza. Müssen wir das auch bei Corona hinnehmen, wie das der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, meint?
Von Michel: So weit in die Zukunft zu blicken, halte ich zum aktuellen Zeitpunkt für spekulativ. Allerdings ist es durchaus realistisch, dass Corona ein endemisches Virus wird, gegen dass es trotz Impfungen keinen 100-prozentigen Schutz geben wird. Ich gebe Hüther dahingehend recht, dass manchmal versucht wird zu suggerieren, es gäbe so etwas wie 100-prozentige Sicherheit. Die gibt es aber nirgendwo: Weder bei der Grippeimpfung, noch bei Corona, oder beim Autofahren oder Skifahren.

BSZ: Wie bewerten Sie die Impfstoffbeschaffung?
Von Michel: Für die gemeinsame Beschaffung durch die EU gab es gute Gründe. Ein Alleingang Deutschlands hätte sicher kein gutes Bild von uns und der Gemeinschaft gezeigt. Auch auf mehrere Hersteller zu setzen, war im Prinzip sinnvoll und richtig. Bei den konkreten Verhandlungen wurden aber massive Fehler gemacht und Zusagen nicht fest genug vertraglich verankert. Wenn deswegen nun aktuell zu wenig Impfstoff verfügbar ist, sollte man den aber zumindest zügig und effektiv verimpfen. Es kann nicht sein, dass irgendwo im Land Millionen Impfdosen herumliegen, und eine effiziente Infrastruktur unter Einbeziehung der Hausärzte erst jetzt langsam in die Gänge kommt. Genauso kann es nicht sein, dass der zuständige Minister erklärt, man habe kein klares Bild über die aktuelle Versorgung mit Corona-Tests im Land. Hier reiht sich derzeit wirklich ein massiver Fehler an den nächsten, und die Konsequenzen sind erbarmungslos: Wer nicht impfen und nicht testen kann, dem bleibt nur der Endlos-Lockdown, um die Bevölkerung zu schützen.

BSZ: Corona-Impfung: Darf es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geben? Wie geht man mit Menschen um, die aus medizinischen Gründen nicht gegen Corona geimpft werden dürfen, weil sie zum Beispiel starke Allergiker sind?
Von Michel: Ein friedliches Miteinander aus Geimpften und nicht Geimpften wird gesellschaftlich schon eine Herausforderung werden. Für die Herdenimmunität wird es voraussichtlich ausreichen, wenn sich der überwiegende Teil der Bevölkerung impfen lässt – sofern nicht eine gefährliche Mutation dann trotzdem massiv bei den nicht Geimpften durchschlägt. Eine Impfpflicht durch die Hintertür wird aber vermutlich kommen, denn schon jetzt haben erste Fluggesellschaften und Konzertveranstalter angekündigt, in Zukunft nur noch geimpfte Kunden zu akzeptieren. Ich schätze, dass solche Modelle Schule machen werden, weil sie für die Unternehmen deutlich risikofreier und auch billiger zu handhaben sind. Man wird den Trend auch nicht verhindern können, sondern allenfalls durch tagesaktuelle Corona-Tests abschwächen. Entsprechende Ausnahmen für Risikofälle zu definieren, wird nicht das große Problem sein. Viel schwieriger zu handhaben sind die 20 bis 30 Prozent Impfgegner in Deutschland, das ist schon eine sehr große Gruppe, mit der wird man umgehen müssen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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