Wirtschaft

Wer will, kann beim Audi e-tron GT auch im Innern den Sportsound hören. (Foto: Audi AG)

09.08.2021

Aufbruch in ein neues Klanguniversum

Sounddesigner machen die E-Mobilität hörbar – der Sicherheit wegen und um die Markenidentität der Stromer zu formulieren

Die Verheißung einer Verkehrsidylle war zu schön: E-Autos stinken und lärmen nicht. Die Rechnung mit dem Verpesten mag aufgehen, doch schon nach ersten Erfahrungen im Stadtverkehr hieß es: Stille oder Sicherheit? Lange haben Gesetzgeber per Verordnungen den Verkehrslärm be- kämpft – doch jetzt müssen auch E-Autos ordentlich Dezibel erzeugen. Seit 1. Juli gilt das umfassend für alle Neuzulassungen. Sounddesigner tüfteln auf Hochtouren.

Man muss in Münchens Leopoldstraße nicht lange auf Autoposer (das ist Männersache) warten: Da jagen die Fahrer im Leerlauf ihre Luxusautos hoch, lassen die Motoren kurz mal so richtig aufheulen, das Auspuffgeröhre tut sein Übriges. Die Rechnung geht in der Regel auf: Schon springen Passanten, nicht selten auch Teenager*innen, herbei – und wenn es die rote Ampel zulässt – gar mitten auf die Straße, um schnell ein Handyfoto zu machen. Ein für Poser erheischter Moment der (neidvollen) Bewunderung – drohendes Bußgeld nach der Straßenverkehrsordnung ist schnuppe. Nicht nur zeigen, sondern auch hören lassen, was man sich leisten kann, bedeutet in diesem Fall eben, mal kräftig aufs Pedal zu drücken – zumindest bei einem Verbrenner.

Aber muss, wer daneben in sei- nem Luxus-Stromer steht, Frust schieben? Bleibt er im Statusranking der Nobelkarossen ein stummes Mauerblümchen, dem hochschnellende Glücksgefühle verwehrt bleiben? Batterien heulen nun mal nicht auf und eine Abgasanlage mit Auspuff gibt es schon gleich gar nicht.
Zum Trost: Noch immer beeinflussen andere Faktoren – sehr oft die Optik – den Autokauf, Soundgetöse mag nur für manche das krasse i-Tüpfelchen sein.

Bewegung hört man

Und auch Gesetzgeber weltweit hatten keineswegs Befindlichkeiten von Autoposern auf dem Radar, als sie schon vor mehreren Jahren begannen, sukzessive ein Regelwerk zu erstellen, das vorschreibt: Auch E-Autos müssen ein Mindestmaß an Geräuschen von sich geben – der Sicherheit wegen. Natürlich werden dabei an erster Stelle Menschen mit Sehschwäche ebenso wie Kinder genannt – aber nicht nur für sie wäre ein lautloser Verkehr hochgefährlich. Wir alle verbinden Bewegung und Geschwindigkeit mit Geräuschen. Von hinten oder aus unübersichtlichen Straßensituationen herannahende Autos vermag, wer zu Fuß oder auf dem Rad unterwegs ist, oft schon vor dem Sichtkontakt akustisch zu orten und sich entsprechend darauf einzustellen.

Fahrzeuggeräusche wecken die Aufmerksamkeit, sie sind eine Informationsquelle – primär über den Betriebszustand des Autos: Steht oder fährt es – langsam oder schnell? Besonders wichtig ist die Akustik beim Anfahren: Das hört man bei E-Autos kaum, weil das typische Motorengeräusch, wie wir es kennen, komplett fehlt und die sonstigen begleitenden Fahrgeräusche, die zum Beispiel rollende Reifen auf dem Asphalt verursachen, noch nicht massiv genug sind.

Gefährliches Anfahren

Genau da greifen Gesetzgeber ein: Sie schreiben ein Acoustic Vehicle Alerting System (AVAS) in E- und Hybrid-Autos vor. In der Europäischen Union müssen solche Kraftfahrzeuge im Geschwindigkeitsbereich bis 20 Stundenkilometer (km/h) modulierend tönen: Zwischen 56 und 75 Dezibel Schallpegel sollen es sein – das entspricht der Bandbreite zwischen einem Gespräch in Zimmerlautstärke und in etwa der Höchstzulassung an Lärm, die ein Pkw nach der Straßenverkehrszulassung verursachen darf (Überschreitungen ergeben sich durch das Gas- und Schaltverhalten beziehungsweise den Fahrstil).

Seit 2014 gibt es schon die EU-Verordnung 540 über den Geräuschpegel von Kraftfahrzeugen. In Verbindung mit der EU-Maßgabe ECE R138 wird sichergestellt, dass insbesondere Elektrofahrzeuge von Menschen zu Fuß oder auf dem Rad und von anderen gefährdeten Gruppen besser wahrgenommen werden können. Seit 1. Juli müssen alle Neuwagen unabhängig von ihrem Typ mit einem AVAS ausgestattet sein. Die Grenze von 20 km/h gilt in der EU als ausreichend (USA: 30 km/h), weil darüber hinaus Rollgeräusche deutlich wahrnehmbar sind.

 „Natürlich werden die E-Modelle von Audi ab 21 km/h nicht abrupt klanglos weiterfahren, der gesetzlich erforderliche Sound läuft langsam aus“, sagt Stephan Gsell, der gemeinsam mit Rudolf Halbmeir bei Audi zuständig ist für den Außensound der E-Modelle. Aber bei einem Modell konnten die beiden nicht widerstehen: Das Flaggschiff Audi e-tron GT kann man auch hören, wenn es mit hoher Geschwindigkeit an einem vorbeisaust – wenn es der Fahrer so will: „Der Audi e-tron GT ist derzeit das einzige Modell, bei dem man selbst zwischen drei Soundmodi wählen kann. Und eben auch einen Außensound bei 200 km/h, der keineswegs prollig klingt“, beschreibt Gsell. Der Sound soll wohl auch weniger die Außenwelt beeindrucken: „Manche Fahrer fühlen sich wohler dabei, wenn sie im Innern ein Feedback in Form eines hochwertigen artifiziellen Sounds haben.“

Kein Ü-50-Außensound

„Für alle E-Serien von BMW wird der Außensound bis circa 50 km/h inszeniert, darüber konzentrieren wir uns auf den Innenraumsound“ , lautet Renzo Vitale zufolge die Prämisse beim Münchner Automobilhersteller, wo er als Creative Director Sound firmiert. Nicht, dass BMW, so Vitale, eine „Power of Choice“ seiner Kundschaft vorenthalten würde – aber die bezieht sich auf den Sound im Auto: ,,Im Innern gibt es keine gesetzlichen Vorgaben, da sind wir frei und können auch höhere Geschwindigkeiten klanglich inszenieren.“ Ab 2022 soll man in einem E-BMW wählen können, ob der Fahrsound im Innern verschwindet, damit man eine nahezu komplette Stille genießen kann (,,was bei unserer Kundschaft sehr gefragt ist“), oder ob man eine klangliche Rückkopplung zur Maschine haben will. In diesem Fall verändert sich der Sound parallel zum Wechsel von Drehmoment und Geschwindigkeit. ,,Und wenn der Sound keinen Grund hat, sich zu verändern, also bei konstantem Fahrstil, verschwindet er.“ Plausibilität wird großgeschrieben – dabei „fokussieren wir uns nicht einzig darauf, eine klangliche Rückkopplung der E-Maschine zu inszenieren, sondern betrachten auch die emotionalen Komponenten der Fahrsounds“.

Aufmerksamkeit wecken

Solche Modulationen berühren nicht nur den Fahrspaß und das Wohlfühlen, sondern wesentlich den Aspekt der Aufmerksamkeit im Innenraum, der von EU-Normen unberührt bleibt. „Wir verfolgen beim Sounddesign für innen den gleichen Anspruch wie für außen“, versichert Vitale. Denn absolut lautloses Fahren wird selbst beim visionären vollautonomen Fahren zwar möglich, aber nicht erwünscht oder möglicherweise gesetzlich erlaubt sein: allein der Warnhinweise wegen, was das Verkehrsgeschehen ebenso wie das Zu- oder Abschalten von Assistenzsystemen angeht. Trotz anderer, schon gebräuchlicher Warnsignale, wie Vibrationen am Lenkrad oder das ,,Wachrütteln“ durch den Gurtraffer, bleiben warnende Klangzeichen relevant.

Schnipselchen sampeln

,,Vorsicht!“ – ob eine eindringliche Stimme aus dem Off dann mahnt, das Lenken wieder selbst zu übernehmen? Oder doch lieber schrilles Piepen, nerviges Kreischen, lautes Tröten? „Die Reaktion muss in Sekundenschnelle erfolgen, da dauert ein gesprochenes Wort viel zu lang. Und man will den Fahrer ja auch nicht anbrüllen“, sagt Florian Walter, der früher Musiksoftware für gesampelte Instrumente entwickelt hat und nun mit seiner Münchner Firma Impulse Audio Lab Spezialist für interaktive Software zur Klangerzeugung und für Audio Branding ist. Es müsse vielmehr ein ganz kurzer Klang sein – und den künstlich zu kreieren, sei besonders herausfordernd: ,,Es darf quasi nur ein Impuls, ein Schnipselchen sein, das man analysieren und dem man dann eine bestimmte Klangfarbe geben muss.“

Die Qualität von Klängen für die Zukunft der E-Autos: Diese auszutüfteln ist die große Mission und Kunst von Sounddesignern. Mancher Automobilbauer leistet sich dafür Promis. Leslie Mandoki, der Ex-Schlagzeuger der Gruppe Dschinghis Khan und Musikproduzent, der im Auftrag Jingles, Soundtracks, Wahlkampfsongs und auch mal eine Sinfonie komponiert, war als Musical Director für VW ebenso wie für die Daimler AG tätig. BMW fragte in Hollywood an: Filmkomponist und Oscarpreisträger Hans Zimmer (unter anderem stammt von ihm die Musik zu König der Löwen und Last Samurai) kam als Kurator und Berater für den „Iconic Sounds Electric“.

Wissenschaft mit Seele

Das Crossover mit der Musikbranche liegt nahe: Beim Sounddesign geht es nicht nur darum, gesetzliche Vorschriften technisch mit irgendeinem Ton zu erfüllen. ,,Der Sound verbindet Wissenschaft und Seele“, sagt Renzo Vitale, der selbst sowohl im Ingenieurwesen als auch in der Musik beheimatet ist: Er ist Pianist, Komponist und Elektroingenieur, der in Raum- und Psychoakustik promoviert hat. Musiker würden eher den Geschmack treffen, meint er, sie wüssten oft intuitiv, was sympathisch oder unsympathisch klingt. ,,Denn wissenschaftlich kann man nicht von schöner oder hässlicher Musik sprechen, da gibt es keinen richtigen oder falschen Ton.“

Ingenieurakustik in Pionierstimmung
Es herrscht Pionierstimmung: „Wir waren gewohnt, Autos leiser zu machen. Jetzt machen wir sie lauter. Und wir können die Cluster der Klänge selbst erstellen“, schwärmt Stefan Sentpali. Wie gestaltet man den Sound eines Produkts, welches sind die psychoakustischen Parameter? Seit über drei Jahrzehnten erforscht Sentpali die Maschinenakustik, speziell die Automobilakustik. An der Hochschule München lehrt er Ingenieurakustik – es ist deutschlandweit der einzige Masterstudiengang in Kooperation mit der sächsischen Hochschule in Mittweida. Der Sound der E-Mobilität ist dabei längst Thema – und wird in die Forschungsarbeit des interdisziplinären Instituts „Mensch und Maschine“ einfließen, das an der Hochschule gegründet werden soll. Grundlegend müsse man klären, so Sentpali, welche Fahrzeugkomponenten oder -systeme beim Fahren überhaupt gestaltet und welche stumm bleiben sollen. „Wenn man zum Beispiel den Fensterheber betätigt, kann Klang sinnvoll sein. Sonst würde man mit Blicken nach Vergewisserung suchen. Das würde von der Aufmerksamkeit ablenken. Wir sind es eben gewohnt, dass eine bewusste menschliche Handlung einen Ton von sich gibt.“ Gleiches gelte für die Maschine: „Die meisten Fahrerinnen und Fahrer schauen nicht auf den Drehzahlmesser, sondern hören die Geschwindigkeit durch die Klangänderung des Fahrzeugs.“

Jenseits von Sicherheitaspekten gehört „zum Produktgefühl auch eine akustische Wertigkeit“, sagt Sentpali. „Eine zuklappende Autotür soll dumpf und schwer klingen wie unsere Wohnungstür. Das vermittelt Sicherheit, man denkt zum Beispiel an einen höheren Aufprallschutz.“

Bei der E-Mobilität sei die Erwartungshaltung der Menschen soziologisch noch nicht hundertprozentig festgelegt. Sounddesigner könnten sich jedoch Hörgewohnheiten aus Science-Fiction-Filmen zunutze machen. „Da haben wir schon gelernt, dass E-Motoren hochfrequente Töne von sich geben, die sich mit der Bewegung verändern. Im Sounddesign der E-Autos wird noch viel ausprobiert und es wird noch viele Experimente geben, aber die werden sich maßvoll einrütteln auf Bodenständigkeit, denn Autos müssen auch authentisch klingen.“ (Karin Dütsch)

Es geht um Emotion: ,,Der Sound verbindet Menschen auf einzigartige Weise mit dem Produkt und der Unternehmensgeschichte“, so Vitale. Natürlich soll man auch bei den E-Autos akustisch die Marken unterscheiden können. ,,Der Sound muss die Kernwerte der Marke transportieren, er gehört zu den grundlegenden Designelementen, an denen man einen BMW sofort erkennt.“

Die DNA geheim halten

Was macht den markentypischen Sound für die E-Schiene von BMW aus? ,,Darüber könnte ich zwei Bücher schreiben“ – was der BMW-Klangprofi Vitale vermutlich nicht tun wird, schließlich behandeln Autokonzerne die „Gene“ ihres Sounds genauso wie andere technische Entwicklungen lieber als Geheimsache. „Ohnehin steckt die sogenannte Sound-DNA quasi in uns drin. Wir haben die Elemente verinnerlicht“, sagt Rudolf Halbmeir (Audi), ,,der Sound ergibt sich dann irgendwie.“ Logisch, dass im Unterschied zur Konkurrenz eben auch ein E-Audi ein bisschen mehr kraftvoll und dynamisch klingen solle, man also mehr im tieffrequenten Bereich modelliere, ergänzt Stephan Gsell. ,,Natürlich hängen Eigenschaften wie dynamisch und spritzig schon von subjektiven Empfindungen ab.“

Florian Walter von Impulse Audio Lab spricht von semantischer Differenz beim Klang: Pauschal könne man zum Beispiel zwischen sportlich und komfortabel unterscheiden, ,,aber ein solches Image können sich Sounddesig- ner nicht selbst ausdenken, das wird vom Marketing vorgegeben“. Mit seiner Münchner Firma hat er Markensounds und Styleguides namhafter Autobauer kreiert – als Dienstleister unterliegt natürlich auch er der Geheimhaltung.

Drei von seinem Team entwickelte Sounds kann man sich auf der Firmenwebseite anhören. Auffallend sei, dass sich Kund*innen in jüngerer Zeit zunehmend für die futuristische Variante „Yvine“ interessierten: ein Soundtrack, der vom Fahrstil diktiert wird, höhertonig und in Moll klingt, was aber nicht Traurigkeit, sondern eher Distanz vermittelt. Man hört auf- und abschwellende Synthesizerklänge, die ein wenig an sanft im All dahinschwebende Raumgleiter erinnern – so jedenfalls, wie Filmkomponisten gerne Maschinen in der Lautlosigkeit hörbar machen. „Das ist für Leute, die sich am klassischen Fahrsound sattgehört haben“, meint Florian Walter.

Das Biest im Nacken

Freilich hat Impulse Audio Lab neben einem gediegenen, dezenten Elektroniksound (Eonic), der ein unspektakuläres Fahren auf Schienen assoziieren lässt, auch einen Basissound (Hiraeth) im Repertoire, der diejenigen abholt, die nach dem Umstieg auf ein E-Auto nicht ganz auf ein Verbrennerfeeling verzichten wollen: ein rauerer, tieferer Sound, der sich bei zunehmender Geschwindigkeit wie ein bedrohliches Grollen anhört. „Das ist das Biest im Nacken“, charakterisiert Florian Walter die Variante.

Wie kommt man auf solche Bilder? „In der Regel denken wir uns zur Entwicklung eines Sounds eine Story aus“, sagt Walter über die Herangehensweise seines 15-köpfigen Teams, das sich je zur Hälfte aus Softwareingenieuren und Sounddesignern zusammensetzt. „Für den Sound, der das Ökoimage eines Modells transportieren sollte, fragten wir uns zum Beispiel: Woher kommt der Strom? Früher hatte man den Tiger im Tank – heutzutage die Sonne. Aber wie klingt die Sonne? Wir haben recherchiert, und tatsächlich gibt es Astrophysiker, die den Klang der Sonne aufgenommen haben. Ohne Sonne auch keine Photosynthese – aber wie klingen Pflanzen beim Wachsen? Selbst da sind wir fündig geworden, weil Wissenschaftler auch das schon einmal mit Sensoren aufgenommen haben.“ Was den Sound der Sonne angeht, lacht Florian Walter und beschreibt ihn recht unpoetisch als ,,tonales Rauschen“.

Der Klang aus alten Tagen

Etwas handfester ging man bei einem Auftrag vor, der die Idee „Oldtimer“ verfolgte: Auf Herstellerwunsch sollte beim E-Modell der Geist des analogen Klanges aus alten Tagen mit dem Sound von heute verbunden werden. Unterschwellig sollte die Tradition des Autobauers durchklingen. Markant in der Geschichte des Automobils ist das Blinkergeräusch. ,,Wir haben uns tatsächlich eine Kiste voll alter Blinkerrelais organisiert, um uns in den analogen Klang einzuhören, bevor wir ihn digital übersetzten.“ Für einen anderen Auftrag, der ein luxuriöses Image bedienen sollte, hörte man für das Blinkerklackern in Schweizer Nobeluhren hinein.

Natürlich werden solche Klänge – Stephan Gsell und Rudolf Halbmeir operieren im Audi-Soundlabor auch mal mit Ventilator und Bohrmaschine – nicht eins zu eins übernommen: Man hört sich vielmehr in deren Wesen hinein, entnimmt winzige Partikel, zieht alle digitalen Register und experimentiert mit Software, um daraus etwas Neues zu sampeln. Nur irgendein Surren, Brummen, Pfeifen, irgendetwas, das klingt „wie“ – etwa wie eine Waschmaschine, ein Staubsauger und dergleichen gewöhnliche Gerätschaften: Nein, das wäre für den Markensound der E-Autos ebenso langweilig wie die Imitation von herkömmlichen Verbrennungsmotoren. Renzo Vitale schwärmt von einem „neuen Universum der Klänge“, und Rudolf Halbmeir sagt: ,,Wir wollen schon einen Sound schaffen, der die E-Mobilität zelebriert, der eine Brücke schlägt zwischen alter und neuer Fahrwelt.“ Er schränkt ein: „Dabei wollen wir den gewohnten Sound eines Verbrenners nicht völlig aufgeben. Die Klänge sollen noch eher an ein Kfz und nicht an ein Raumschiff erinnern.“

Beim Außensound haben ohnehin die Gesetzgeber vorgebeugt: Der Straßenfloh darf nicht wie ein Monstertruck klingen, bombastische Ouvertüren beim Anfahren sind ebenso verboten wie weckende Kuckucksrufe. Der Sound muss einem Verbrenner gleicher Bauart ähneln.

Im Innenraum indes können Sounddesigner ihre Kreativität ausleben – lassen ihr allerdings nicht unbedingt freien Lauf. Al- lein 20 bis 30 Warn- und Hinweis- geräusche könnten sich ergeben, die die Sicherheit betreffen, über-schlägt Florian Walter. Ein inflationäres Wirrwarr an Piepsen dafür wäre kontraproduktiv. Man müsse „die Kunst der Beschränkung“ beherrschen.

Kunst der Beschränkung

Die meint einerseits die quantitative Begrenzung: „Impulse Audio Lab entwickelt keinen eigenen Piepssound für jedes Warngeräusch, vielmehr schaffen wir einen klanglichen Styleguide, aus dem sich Klänge mit unterschiedlicher Information und Dringlichkeit schon fast organisch ergeben“, beschreibt Walter.
Maßhalten gilt andererseits bei den Klangqualitäten: Der Griff in die digitale Soundkiste ist quasi bodenlos – man müsse sich eher fragen, wie etwas nicht klingen soll, so Walter. Die angebotene Geräuschkulisse eines Herstellers etwa, die vorgibt, man lenke eine Pferdekutsche, ,,ist eine reine Spielerei. Ein guter Sound schafft eine für den Fahrer ausreichende Verbindung zur Realität, die in der E-Mobilität prinzipiell entkoppelt ist.“ Und deshalb braucht es eine plausible akustische Inszenierung, die dem Fahrer die notwendige Information über den Fahrzustand liefert.

Audi-Sounddesigner Rudolf Halbmeir erinnert an die Entwicklung des Sounds für den e-tron GT: Das Spezialistenduo hatte schon lange bevor es einen Prototyp des Spitzenmodells sehen konnte am Sound gearbeitet. ,,Wir sind zu sehr in die Extreme gegangen, haben dann später, als wir den Sound am realen Audi e-tron GT ausprobierten, schnell gemerkt, dass das too much ist. Einfach zu wenig alltagstauglich.“ Runterfahren war angesagt, „es geht immer um die Harmonie“, betont Gsell.

Kann man Preise hören?

Vielleicht wird das eine neue Passion für Autofans: Wie lassen sich bei E-Autos nicht nur die Marken, sondern auch die Modelle akustisch unterscheiden? Kann man gar Preisunterschiede hören? Audi böte ein gutes Übungsfeld: ,,Für jedes Modell kreieren wir von der Pike auf einen eigens zugeschnittenen Sound. Die Modelle sollen nicht gleich klingen“, lautet Stephan Gsell zufolge die Philosophie in Ingolstadt. Der Sound des Topmodells Audi e-tron GT passe eben nicht zu einem A1 oder dem E-Einsteigermodell Q4. Freilich schlage sich die Anzahl der Lautsprecher im Preis nieder, und „mehr Lautsprecher verteilen die Klangfülle eben besser im Innenraum, gestalten den Sound runder, was man mit höherpreisig verbinden mag“, so Stephan Gsell. „Das heißt aber nicht, dass bei weniger Lautsprechern ein scheppernder Sound zu erwarten ist.“

Einer für alle

,,Wir haben erst einmal nur einen einzigen BMW-Sound, den IconicSounds Electric, geschaffen, der seit einem Jahr für alle E-Modelle gleich ist“, beschreibt Renzo Vitale. BMW verfolge bei allen Modellen den gleichen Anspruch an Wertigkeit. Klangunterschiede seien natürlich auch hier nicht ausgeschlossen: ,,Manches Modell klingt vielleicht höherwertiger, weil bei teureren Autos der Auswahlbereich an Assistenzsystemen und Sounds größer ist. Aber Differenzierungen ergeben sich vor allem durch das Fahrzeug selbst, das wie ein Klangkörper funktioniert.“ Wie bei einem Konzertsaal sind die entscheidenden Parameter das Volumen, die Geometrie und das verbaute Material. ,,Im Prinzip sprechen die designten Klangtexturen die gleiche Sprache – nur eben in verschiedenen Frequenzbereichen. Die Resonanzen variieren.“

Sounddesigner reden mit

Ergibt sich daraus ein Mitspracherecht der Sounddesigner bei der Entwicklung? Anfangs sei das Sounddesign tatsächlich nur ein Teil der generellen Akustikfähigkeit, ein Teil im ganzen Universum von Geräuschen gewesen, erinnert sich Renzo Vitale. Er habe unablässig für eine Emanzipation seines Metiers plädiert und dass das Sounddesign eben nicht erst nachträglich bemüht werden dürfe. Das fruchtete: ,,In den letzten Jahren gab es bei BMW auch entsprechende organisatorische Veränderungen.“ Vitale erzählt, dass er inzwischen im Designprozess ab den ersten Skizzen dabei sei und auch zum Kernteam gehöre, das Konzeptautos austüftle. ,,Das sind schon einmalige Bedingungen, das macht mich stolz.“

Bei Audi ist das Soundteam ebenfalls von Anfang an eingebunden: ,,Schließlich geht es ja auch um so essenzielle Fragen, wie und wo die Technik, die den Sound generiert, eingebaut werden soll. Das betrifft die Steuerungseinheit, die ein kleiner Computer ist, ebenso wie die Lautsprecher, für die der Bauraum meist begrenzt ist“, sagt Stephan Gsell. Man müsse einplanen, ob Lautsprecher innen oder außen zu verbauen sind und ob sie je nach Positionierung spezielle Anforderungen haben – zum Beispiel an die Wasserbeständigkeit. „Es grenzt Audivon der Konkurrenz ab, dass bei uns Hard- und Software, also die ingenieurtechnischen Voraussetzungen ebenso wie das kreative Soundtuning, in Eigenleistung entwickelt werden. Das ist alles unser eigenes Wissen“, unterstreicht Stephan Gsell, und Rudolf Halbmeir ergänzt: „Es ist wichtig für uns, dass wir auf Knopfdruck noch so abgefahrene Gedanken sofort ausprobieren können.“

Intelligenter Fahrsound

Abgefahren, aber vorstellbar klingt, was Florian Walter das „Sounddesign der dritten Instanz“ nennt, das Impulse Audio Lab derzeit profiliert. In diesem Fall sind Klang und Fahrzustand voneinander entkoppelt. Der „intelligente Fahrsound“ reagiere selbstständig auf Stimmungen der Fahrerin oder des Fahrers. Herrscht gerade dicke Luft im Fahrzeuginnern, ist Stress angesagt? Das macht sich zum Beispiel daran bemerkbar, wie stark das Bremspedal gedrückt wird oder ob jemand hektisch am Lenkrad dreht. „Ich habe neulich eine Autobahnausfahrt verpasst“, erzählt Florian Walter. „In einem solchen Augenblick schießt sofort der Blutdruck hoch, die Gedanken wirbeln herum, man ärgert sich, überlegt die nächste Abfahrt, die Augen wandern zum Navi. Mit der Konzentration kann es also ganz schnell vorbei sein.“ In diesem Fall würde laute Musik automatisch leiser werden oder ein vorher gewählter sportlicher Fahrsound zurückgenommen werden. „Und das eben, ohne dass man sich selbst erst Gedanken machen und aktiv werden muss.“

KI sorgt für den Klang

Das Team von lmpulse Audio Lab detektiert in Selbsttests lauter Fahrmomente, man arbeitet mit keinem Hersteller zusammen, sondern hat sich vielmehr einen Stromer gekauft und mit entsprechender Sensorik ausgestattet, um das Fahrverhalten direkt aus dem Fahrzeugsystem herauslesen zu können (Reverse Engineering). Von rund 200 Parametern, die abgegriffen werden, kommen etwa 100 zur Auswertung und werden in ein Machine-Learning-System eingespeist. ,,Die eingesetzten Modelle werden von uns selbst entwickelt und neuronale Netzwerke mit ausgewählten Parametern trainiert.“ Bei der kommenden IAA will Impulse Audio Lab seine Neuentwicklung vorstellen.

Live hören bei der IAA

Bei der legendären Autoschau, die erstmals in München stattfindet, wird auch das Thema E-Mobilität großgeschrieben – den Sound der längst begonnenen Zukunft im Straßenverkehr kann man sich im September live bei mehreren Automobilherstellern anhören. (Karin Dütsch)

Information:
Der Sound von E-Autos wird oft online präsentiert: www.audi.de, www.bmw.de, https://impulse-audio-lab.com, "Intelligent Driving Sounds for Electric Vehicles" unter https://youtu.be/mpgz5BfD284

Die IAA findet vom 7. bis 12. September in München statt. www.iaa.de

Abbildungen (von oben):

„Ich schaue mir ein Auto erst nur an, um mich für einen passenden Sound inspirieren zu lassen. In mir wächst der Sound, den ich dann auf das Auto und all seine Aspekte übertrage“, skizziert Renzo Vitale (hier vor einem Mini Cooper SE) sein Vorgehen. Er ist Chefsounddesigner bei BMW. (Foto: BMW AG)

"Es ist wichtig für uns, dass wir auf Knopfdruck noch so abgefahrene Gedanken sofort ausprobieren können“, sagt Rudolf Halbmeir (links), der gemeinsam mit Stephan Gsell den Audi-Elektrosound kreiert. Das Duo ist stolz darauf, Ingenieurleistung und kreatives Soundtuning aus einer Hand bewältigen zu können. (Foto: AUDI AG)

Gemeinsam mit Hans Zimmer, der Komponist legendärer Hollywood-Blockbuster,  hat Renzo Vitale den IconicSounds Electric entwickelt, den Basissound für alle E-BMWs. (Foto: BMW AG)

Soundlabore gehören seit jeher zu den Entwicklungsabteilungen der Automobilhersteller – nun werden darin zunehmend die E-Modelle auf ihren Klang hin durchgecheckt. Hier ein Detail der Audi-Laborausstattung.(Foto: AUDI AG)

Der Vision M Next im BMW-Soundlabor; bei dem Modell handelte es sich um die Studie eines  Hybridsportwagens, der allerdings nicht produziert wurde. Auch dafür hatten Hans Zimmer und Renzo Vitale schon den Sound geschaffen. (Foto: BMW AG)

„Pure Energie und progressive Performance“, wirbt Audi für den Luxus-Stromer RS e-tron GT. Wer will,
kann die Dynamik bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h hörbar machen. (Foto: AUDI AG)

Das vollelektronische Flaggschiff BMW iX kommt im Herbst auf den Markt. (Foto: BMW AG)

Florian Walter kreiert mit seinem Team von Impulse Audio Lab Fahrzeugsounds per künstlicher Intelligenz.
(Foto: IMPULSE AUDIO LAB)

Wo wird die Technik für den Sound verbaut, wo werden Lautsprecher positioniert? Inzwischen ist es üblich, dass die Soundesigner von Anfang an an der Modellentwicklung beteiligt sind. (Foto: AUDI AG)

Wie tickt man in einzelnen Fahrmomenten? Wie kann der Fahrzeugsound automatisch darauf reagieren? Impulse Audio Lab stellt bei der IAA seine Neuentwicklung vor. (Grafik: IMPULSE AUDIO LAB)

 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll die Mehrwertsteuer in der Gastronomie gesenkt werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.