Aktuell sieht es so aus, dass Menschen mit Behinderung die Krisenverlierer am bayerischen Arbeitsmarkt sind“, sagt Michael Pausder, Landesgeschäftsführer des Sozialverbands VdK Bayern, der Staatszeitung. Denn der Freistaat verzeichnet in der Corona-Krise deutschlandweit den stärksten Anstieg arbeitsloser Menschen mit Behinderung.
Mit einem Plus von 19,1 Prozent zum Vorjahresmonat lag die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Schwerbehinderung im Oktober deutlich über dem bundesweiten Schnitt von rund 13 Prozent. Das geht aus dem aktuellen Inklusionsbarometer Arbeit der Aktion Mensch und des Handelsblatt Research Institutes hervor. Demnach sind in Bayern knapp 24 700 Betroffene auf Arbeitsplatzsuche.
Soziale Ausgrenzung
„Arbeit ist ein zentraler Faktor für Inklusion. Der Ausschluss vom Arbeitsmarkt bedeutet für die Betroffenen soziale Ausgrenzung, Verweigerung von Teilhabe und Armut“, so Pausder. Schon vorher hätten es im wirtschaftlich starken Bayern Menschen mit Behinderung schwerer gehabt als in anderen Bundesländern, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Diese Entwicklung hat sich laut Pausder noch verstärkt. Mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosenzahlen bei diesen Betroffenen sei zu rechnen, da viele erst nach Auslaufen von Kurzarbeit und anderen Zuschussprogrammen im Jobcenter landen. Viele Schwerbehinderte, unter denen überdurchschnittlich viele Ältere sind, machten sich keine Hoffnungen, anschließend wieder einen Job zu finden. „Im Durchschnitt suchten arbeitslose Menschen mit Behinderung in Bayern schon letztes Jahr 113 Tage länger nach einer neuen Stelle als Menschen ohne Behinderung“, sagt Christina Marx von der Aktion Mensch.
„Die zaghaften Erfolge der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt dürfen durch Corona nicht zunichte gemacht werden“, sagt VdK-Landesgeschäftsführer Pausder. Ihm pflichtet Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institutes und ehemaliger Wirtschaftsweiser der Bundesregierung, bei: „Seit 2013 verbesserte sich die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderung in Deutschland fast stetig. Doch die rasant negative Entwicklung in diesem Jahr macht in kürzester Zeit die Erfolge der letzten vier Jahre zunichte.“ Laut Rürup ist der Anstieg im Freistaat besonders hoch, weil hier die coronabedingte Konjunkturkrise mit der Strukturkrise beispielsweise in der Automobilindustrie und bei deren Zulieferern zusammentreffe.
„Ich bedauere es deshalb sehr, dass schwerbehinderte Menschen gerade jetzt ihre Arbeit verlieren. Die Menschen zu unterstützen und sie nicht mit ihren Sorgen allein zu lassen, dafür sehe ich uns alle in Verantwortung“, sagt Oberbayerns Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU). Schwerbehinderte Arbeitnehmer*innen dürften nicht die Leidtragenden dieser Krise sein.
Krise trifft Werkstätten
Mederer betont, dass die aktuelle Wirtschaftskrise auch an den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen nicht spurlos vorübergeht: „Wir stehen mit den Werkstätten in engem Kontakt und wissen, wie groß die Sorgen sind.“ Zum einen sei es derzeit für die Beschäftigten sehr schwierig, in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln, was ja in normalen Zeiten das Ziel ist. „Das ist eine der großen Herausforderungen“, so Mederer. Zum anderen könne sich die Krise negativ auf die Auftragslage der Werkstätten auswirken. Es könnte zu einer geringeren Produktion oder einem Wegfall von Aufträgen kommen. „Die Werkstätten haben in guten Zeiten aber Rücklagen gebildet, mit denen sie eine gegebenenfalls schwierige Auftragslage vorübergehend abpuffern können“, erklärt Mederer.
VdK-Landesgeschäftsführer Pausder weist darauf hin, dass gut jeder Zehnte in Bayern schwerbehindert ist: „Je älter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, umso mehr haben einen Schwerbehindertenausweis.“ Viele könnten aufgrund einer Erkrankung und einer daraus resultierenden Behinderung ihren ursprünglichen Beruf nicht mehr ausüben. „Die können nicht alle aufs Abstellgleis geschoben werden, sondern müssen auch in der Krise durch Weiterbildungen und Qualifizierungen unterstützt werden“, betont Pausder. Der Sozialverband VdK begrüßt darum, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angekündigt hat, die Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die gar keinen Schwerbehinderten beschäftigen, deutlich zu erhöhen. „Damit wird eine langjährige VdK-Forderung aufgegriffen. Mir ist es ohnehin unverständlich, dass sich so viele Betriebe der Beschäftigungspflicht entziehen und sich mit der Ausgleichsabgabe freikaufen“, kommentiert Pausder.
Betriebe kaufen sich frei
Ein Arbeitgeber mit 20 und mehr Beschäftigten muss auf fünf Prozent seiner Arbeitsplätze Menschen mit einer Schwerbehinderung beschäftigen. 7417 von insgesamt 27 826 bayerischen Arbeitgebern, die das tun müssten, entziehen sich Pausder zufolge aber komplett ihrer Beschäftigungspflicht.
„Insgesamt 16 917 Unternehmen und öffentliche Arbeitgeber kommen ihrer Verpflichtung ganz oder nur teilweise nach und zahlen für jeden unbesetzten Arbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe“, illustriert der VdK-Landesgeschäftsführer die aktuelle Lage im Freistaat. Würden alle Unternehmen ihre Beschäftigungspflicht erfüllen, könnten laut Pausder alle aktuell 24 442 arbeitslosen schwerbehinderten Menschen in Bayern sofort beschäftigt werden. „Wir selbst wollen jedenfalls mit gutem Beispiel vorangehen: Der Sozialverband VdK Bayern hat etwa 750 Beschäftigte, davon 11,7 Prozent mit einer Schwerbehinderung. Zudem fordern wir, dass staatliche Fördermittel für Unternehmen aus den aktuellen Hilfspaketen an Zusagen zur Barrierefreiheit und anderen Maßnahmen der Inklusion wie die Erfüllung der Beschäftigungsquote geknüpft werden“, so Pausder. Daraus resultiere dann auch mehr Arbeitsplatzsicherheit für Menschen mit Behinderung.
Wie groß aktuell die Not der Betroffenen ist, zeigt der Anstieg der Beratungszahlen beim VdK Bayern. Im Jahresvergleich 2020 und 2019 ist ein Zuwachs um 7,6 Prozent zu verzeichnen. „Das ist schon erstaunlich genug, weil das Alltagsleben ja sehr eingeschränkt ist und viele wirklich nur Beratungstermine vereinbaren, die unbedingt nötig sind“, betont Pausder. Hohe Zuwächse seien in den Beratungsbereichen Rente, Arbeitslosen- und Krankengeld sowie bei Grundsicherung, landläufig „Hartz IV“ zu verzeichnen. „Unsere Rechtsberaterinnen und Rechtsberater berichten beispielsweise von solchen Konstellationen: Ältere Mitglieder mit einer Schwerbehinderung suchen nach Möglichkeiten, vorzeitig in Rente zu gehen, um der Arbeitslosigkeit zu entkommen. Menschen mit Vorerkrankungen werden jetzt häufiger krankgeschrieben und geraten in den Krankengeldbezug – mit finanziellen Einbußen bis hin zur Notwendigkeit, Hartz IV zu beantragen, und oft genug verbunden mit Auseinandersetzungen mit Krankenkassen. Wir rechnen mit noch größerem Beratungsbedarf, je länger die Krise dauert“, erläutert der VdK-Landesgeschäftsführer.
Breite Palette
Seitens der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit weist man die Unternehmen darauf hin, dass es in jeder örtlichen Arbeitsagentur Reha-Spezialisten gibt. Diese unterstützen die Firmen in allen Fragen rund um die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen. Die Palette der Förderinstrumente ist breitgefächert und reicht von Qualifizierung sowie Gehaltszuschüssen für Arbeitgeber bis hin zur Unterstützung bei der technischen Ausstattung. Arbeitgeber können sich von ihrer örtlichen Arbeitsagentur jederzeit beraten lassen.
Trotz aller Bemühungen des Gesetzgebers und der Bundesagentur für Arbeit für einen inklusiven Arbeitsmarkt ist Behinderung nach wie vor die Art von Verschiedenheit, die benachteiligt wird. „Es ist eine schwere, aber notwendige, eine gemeinsame Aufgabe für uns alle, diese Benachteiligung zu überwinden. Wir können alle voneinander etwas abgucken, wir können alle von Verschiedenheit profitieren. Es braucht oft nur einen Schritt aufeinander zu. Wir dürfen uns erst dann zufriedengeben, wenn Menschen mit Behinderung dieselben Chancen haben, eine Beschäftigung zu finden“, betont Olga Schwalbe, Leiterin der Pressestelle der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit.
Dem stimmt Bezirkstagspräsident Mederer voll und ganz zu: „Ich hoffe sehr, dass erwerbsfähige schwerbehinderte Menschen auf dem Arbeitsmarkt rasch wieder Fuß fassen können. Arbeitgeber müssen hier solidarisch und verantwortlich handeln und möglichst viele Menschen in die Betriebe zurückholen. (Ralph Schweinfurth)
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