Wirtschaft

IHK-Chef Peter Driessen referierte beim Wirtschaftsforum der Sozialdemokratie in München, rechts die Vorsitzende Hildegard Kronawitter. (Foto: Lohmann)

10.06.2016

„Das darf alles nicht wahr sein“

Die Unternehmen in München sind zwar optimistisch, IHK-Chef Driessen bedrücken aber neue Gesetzesvorhaben, die Verkehrssituation und der Brexit

Die Unternehmer in München blicken überwiegend positiv in die Zukunft. Laut Frühjahrsumfrage der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern geht es 45 Prozent gut, nur acht Prozent schlecht. 29 Prozent erwarten, dass es weiter aufwärts geht – lediglich zehn Prozent sind vom Gegenteil überzeugt. 20 Prozent wollen mehr Mitarbeiter einstellen, 14 Prozent Stellen abbauen. „Die guten Zahlen sind nicht überraschend“, erklärt IHK-Hauptgeschäftsführer Peter Driessen beim Wirtschaftsforum der Sozialdemokratie in München. Als Gründe nennt er die niedrigen Zinsen, die gesunkenen Preise für Öl und Benzin sowie die Relation Euro zu Dollar, was bayerische Produkte in den USA günstiger macht. Dennoch treiben dem 63-Jährigen viele aktuelle Entwicklungen Sorgenfalten auf die Stirn.

„Roaming geht schon nach dem Chiemsee los“


Die IHK München und Oberbayern vertritt die Gesamtinteressen von rund 390.000 Unternehmen aus den Bereichen Industrie, Handel und Dienstleistungen. Sie ist einerseits die Interessenvertretung der regionalen Wirtschaft, andererseits mit über 60 kommunalen Aufgaben wie der beruflichen Bildung betraut. Ziel ist außerdem, ökonomisch, ökologisch und gesellschaftlich „Sitte und Anstand des ehrbaren Kaufmanns“ zu wahren. Auf die häufig vorgetragene Kritik der Zwangsmitgliedschaft reagiert Driessen gelassen: „Für wen fünf Euro im Monat nicht tragbar sind, der sollte sein Geschäftsmodell überdenken.“ In angelsächsischen Ländern ohne gesetzliche Mitgliedschaft sei das Pendant der IHK nur eine reine „Serviceorganisation“. Die insgesamt neun IHKs im Freistaat bilden den BIHK, den Bayerischen Industrie- und Handelskammertag.

Am meisten sorgen Driessen aktuell die politischen Rahmenbedingungen. Dazu gehört für ihn nach wie vor der Mindestlohn. Nicht die Höhe, der bürokratische Aufwand der Aufzeichnungspflicht sei weiter das Problem, meint er. „Zusätzlich müssen Unternehmen durch die Subunternehmerhaftung Haftung für etwas übernehmen, für das sie nichts können.“ Eine weitere Baustelle ist der Fachkräftemangel. Dieses Jahr fehlen 37.000 – davon 25.000 mit dualer und 12.000 mit akademischer Ausbildung. Bis 2030 haben sich die Zahlen vervierfacht, warnt der IHK-Hauptgeschäftsführer. Weitere Hemmschuhe in diesem Zusammenhang sind aus Driessens Sicht die Rente mit 63 und das Arbeitszeitgesetz, das jetzt eine Begrenzung der höchstzulässigen täglichen Arbeitszeit vorsieht. „Da wird mir angst und bange.“

Anschließend arbeitet sich Driessen an der Verkehrssituation ab. „Wollen wir eine Millionenstadt oder ein großes Dorf sein?“, fragt er. Durch die im Schnitt um 15 Prozent gestiegenen Pendlerströme in München bedürfe es jetzt einer Finanzierung der zweiten Stammstrecke durch den Freistaat. Des Weiteren müsse endlich die dritte Startbahn her. Beim Bürgerentscheid hätten nur 17,6 Prozent der Wahlberechtigten gegen den Flughafenausbau gestimmt – „den Leuten ist es also völlig schnuppe“, glaubt Driessen. Zusätzlich brauche es günstigere Strompreise, eine Neuregelungen der Erbschaftssteuer, Planungen für den Brennernordzulauf durch Rosenheim, schnellere Uploadraten im Internet außerhalb großer Städte und eine Investitionsoffensive für Mobile Computing. „Das Roaming geht schon nach dem Chiemsee los, weil die deutschen Mobilfunknetze so schlecht ausgebaut sind“, entfährt es dem gebürtigen Rheinländer. Sein Fazit: „Das darf alles nicht wahr sein.“

Unverständlicher Schritt Großbritanniens


Nicht zuletzt zählt Driessen die Tage bis zum 23. Juni, wenn die Briten über den Verbleib in der Europäischen Union abstimmen. Für ihn ist es unverständlich, warum Großbritannien freiwillig sein Mitspracherecht aufgeben möchte. Schottland überlegt bereits, ob es bei einem Brexit dennoch in der EU bleiben kann. Doch auch für den Freistaat wären die Auswirkungen gravierend: „Großbritannien ist der fünftwichtigste Exportmarkt für Bayern“, verdeutlicht der gelernte Volkswirt. Letztes Jahr habe der Zuwachs 24 Prozent getragen. Ein Brexit würde daher einen deutlichen Konjunktureinbruch und eine Unruhe in ganz Europa mit sich bringen. „Der ganze Vorgang zeigt außerdem, dass die EU erpressbar ist“, klagt der IHK-Hauptgeschäftsführer. Das bringe möglicherweise auch andere Länder auf „dumme Gedanken“ und sei eine „ernsthafte Gefahr“.

Flüchtlingen steht Driessen trotz „massiver Angriffe“ von Kollegen positiv gegenüber: „Deutschland hat mit seinen im Durchschnitt 42,8 Jahren schon das greise Japan überholt.“ In anderen Industrienationen liege das Durchschnittsalter in den Dreißigern. Heuer werden daher bayernweit 20.000 Plätze für junge Auszubildende und Praktikanten aus dem Ausland bereitgestellt, bis 2019 sollen 60.000 in den Arbeitsmarkt integriert sein. Ab September wird dafür speziell für Menschen mit Migrationshintergrund ein Kompetenzfeststellungstool und ein fachbezogener Sprachunterricht an Berufsschulen angeboten. Bis dahin soll auch die „Kümmerstruktur“ der Stadt München stehen, bei der sieben Ansprechpartner Zuwanderern bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt helfen. „Wer Flüchtlinge sich selbst überlässt“, ist Driessen überzeugt, „gefährdet den sozialen Frieden und damit die wirtschaftliche Zukunft in unserem Land.“
(David Lohmann)

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