Wirtschaft

Nach einem starken Einbruch im Jahr 2022 steigt die Wirtschaftsleistung der Ukraine seit dem Frühjahr 2023 wieder kontinuierlich an. (Foto: picture alliance/ZUMAPRESS.com/Adrien Fillon)

06.10.2025

Widerstandsfähige Wirtschaft

Trotz Krieg: Geschäfte machen in der Ukraine

Die Ukraine ist im dritten Jahr Angriffskrieg durch Russland. Trotz der großen Zerstörungen zeigt sich die heimische Wirtschaft widerstandsfähig. Nach einem starken Einbruch im Jahr 2022 steigt die Wirtschaftsleistung seit dem Frühjahr 2023 wieder kontinuierlich an. Ungeachtet der permanenten russischen Angriffe blieb die Wachstumsdynamik der ukrainischen Wirtschaft im Laufe 2024 relativ hoch. Zwischen Januar und Oktober 2024 legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) real um 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu. Am stärksten dazu beigetragen haben die Bauindustrie, das verarbeitende Gewerbe sowie der Transportsektor.

„Seit der Eröffnung des Büros des Freistaats Bayern in der Ukraine im März 2018 wurden die Beziehungen Bayerns zu Partnern in der Ukraine deutlich intensiviert. Viele Städtepartnerschaften seien entstanden. Trotz täglich ändernder Rahmenbedingungen ist die Deutsch-Ukrainische Industrie- und Handelskammer (AHK) der erste Ansprechpartner für die bayerischen Unternehmen“, sagte Andreas Reuchlein vom bayerischen Wirtschaftsministerium aus München. Die Situation sei ambivalent, aber man versuche weiterhin einzelne Projekte voranzutreiben. 

„Die 2026 gegründete AHK wächst und das Interesse ist da, wie Firmen, wie BMW, Rehau, Kärcher, Knauf, Bosch, Siemens, Leoni, Deutsche Bank und viele andere zeigen“, erklärte Adrian Schairer, Mitglied der Geschäftsführung und Leiter Dienstleistungen von der AHK Ukraine aus Kiew.

8 Millionen Einwohner weniger

Die Bevölkerungsentwicklung habe durch den Krieg gelitten. Durch Flucht und Vertreibung habe die Ukraine jetzt 8Millionen Einwohner weniger. Doch von den Flüchtigen würden zwei Drittel gerne wieder zurückkehren. Allerdings ist laut Schairer zu befürchten, dass der Wert mit der Kriegsdauer sinkt. Die Ukraine sei mit einem Zehntel des BIPs pro Kopf von Deutschland das ärmste Land in Europa. Doch das BIP steige stabil seit 2023 zwischen 2,5 und 5 Prozent. 

Die Inflation ist Schairer zufolge rückläufig, aber noch höher als das Ziel von 5 Prozent. Die Arbeitslosenquote sei mit 14 Prozent ebenfalls rückläufig. Die Herausforderungen dabei seien die Mobilisierung, Flucht, Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage, der Mangel an höherqualifizierten Arbeitskräften sowie steigende Reallöhne. Die Unternehmen könnten einen bestimmten Teil der Belegschaft reservieren und damit eine Mobilisierung verhindern. 

Die Ukraine war ein Nettoenergieimporteur und das werde auch so bleiben. Der bilaterale Handel mit Deutschland belief sich im Jahr 2023 auf zirka 10 Millionen Euro. Deutsche Exportgüter waren Maschinen, chemische Erzeugnisse sowie Kfz und -Teile. Die Ukraine exportierte vor allem Agrargüter nach Deutschland. Dieser Anteil sei um 15 Prozent von 2023 auf 2024 gestiegen.

Große Investitionsprojekte

Es gebe trotz Krieg große Investitionsprojekte. Dazu gehöre der Bau einer ukrainischen Glasfabrik bei Kiew. Auch der deutsche Baustoffhersteller Knauf erweitere seine Kapazitäten. In Borschtschiw im Westen des Landes errichte das unterfränkische Unternehmen ein Werk für Gipskartonplatten und Trockenbaumischungen. Die Situation an der Front habe sich gegenüber Herbst 2024 stabilisiert. Von Luftangriffen seien vor allem die Zentral- und Ostukraine betroffen. In der Westukraine sei ein fast normales Leben möglich.

„Installieren Sie die offizielle Luftalarm-App von Ajax Systems“, rät Schairer. Reisen in die Ukraine seien über den Landweg möglich. Die Wartezeiten an den Grenzübergängen würden zwischen 15 Minuten und 15 Stunden variieren. Für Europäer gebe es keine Visumpflicht unter 90 Tagen Aufenthalt, aber eine Krankenversicherungspflicht. „Doch beachten Sie die Sperrstunden von 0 bis 5 Uhr in den meisten Gebieten“, so Schairer.

Die wirtschaftlichen Chancen umschreibt Schairer mit „das zukünftige Indien für IT-Entwicklung, das zukünftige China für die industrielle Fertigung und das zukünftige Russland für die Energieversorgung“. Das Land verfüge über eine günstige Kostenstruktur. Es sei robust und resilient. Außerdem habe es eine etablierter Forschungs- und Entwicklungsstandort mit einem großen Absatzmarkt. „Ein früher Markteintritt lohnt sich“, verdeutlichte Schairer. 

Etwa 50 Prozent der Infrastruktur ist kaputt

Die Kosten für den Wiederaufbau und die Beseitigung der Schäden werden auf über 450 Milliarden Euro geschätzt. Zirka 50 Prozent der Infrastruktur sei kaputt. Das erfordere viel Neuaufbau bei gleichzeitiger Modernisierung.

Die Ukraine verfüge bereits über 20 Prozent erneuerbare Energien aus Wasser, Wind, Sonne und Biomasse. DTEK, der größte private Energiekonzern in der Ukraine, investiere rund 450 Millionen Euro in die zweite Ausbauphase seines Windparks Tyligulska. Nach Abschluss der Erweiterung werde die Anlage eine Kapazität von rund 500 Megawatt haben und jährlich etwa 1,7 Terawattstunden Strom erzeugen können.

Ein Konsortium aus Energieunternehmen plane den Aufbau eines Wasserstoff-Korridors von der Ukraine nach Zentraleuropa. Das Projekt solle nach 2030 grünen Wasserstoff über bestehende Pipeline-Netze bis nach Deutschland transportieren.

Günstige Kostenstrukturen

Günstige Kostenstrukturen in der Fertigung und niedrige Lohnstückkosten würden die Ukraine zu einem lukrativen Produktionsstandort machen. Der Marktzugang in der Ukraine und die geografische Nähe zu den EU-Märkten seien genauso von Vorteil wie der Zugang zu natürlichen Ressourcen. Zirka 100 Industrieparks würden mit Vergünstigungen im Steuer- und Zollbereich sowie der Möglichkeit einer Kriegsrisikoversicherung, werben. Zusätzlich gebe der ukrainische Staat Steuer- und Zollvergünstigungen für Investitionen von mehr als 20 Millionen Euro.

Mit einem Export von fast 7 Milliarden US-Dollar an IT-Dienstleistungen pro Jahr, dem zweitgrößtem Exportgut nach Agrarprodukten, sei die Ukraine ein High-Tech-Standort. Zu beachten sei dabei auch die virtuelle Sonderwirtschaftszone „Diia.City“, die erste globale staatliche App für Unternehmen, um alle Behördengänge online zu erledigen. 

„Deutschland hat einen guten Ruf. Knüpfen Sie erste Geschäftskontakte und treffen Sie sich mit Behörden und Entscheidern. Die Kooperation mit ukrainischen Unternehmen, begleitet von den Exportgarantien des Bundes, gestaltet sich unkompliziert „, so das Fazit von Schairer.

Unkomplizierte GmbH-Gründung

Die Gründung einer GmbH, ukrainisch TOV, sei in der Regel unkompliziert in wenigen Tagen möglich. Sie erfordere kein Mindestkapital. Für die Gründungsphase werde ein ukrainischer Direktor benötigt. Eine Gründung aus Deutschland sei per Vollmacht möglich. Deutsche Unternehmen könnten an öffentlichen Ausschreibungen über die Plattform ProZorro teilnehmen. „Staatliche Prozesse funktionieren sehr gut“, so Schairer. 

Die Korruption sei rückläufig. Personen in hohen Ämtern werden mittlerweile auch strafrechtlich verfolgt. 
Um dem derzeitigen Arbeitskräftemangel zu begegnen, sei es anzuraten, sich als Unternehmen sichtbar zu machen, sei es durch Werbung, Sponsoring, auf sozialen Medien oder Messen. Neben der Aus- und Weiterbildung der eigenen Belegschaft könnten auch ein attraktives Gesamtpaket sowie das Kooperieren mit Universitäten helfen.

An Ausschreibungen teilnehmen

„Schauen Sie die Ausschreibung unter dem Gesichtspunkt der Diskriminierung an. Wenn spezifische Erfahrungen, Lizenzen oder ähnliches gebraucht werden, ist die Gründung eines Konsortiums mit einem ukrainischen Unternehmen möglich. Der Lokalisierungsgrad der Produkte kann eine Rolle spielen. Sektorale Beschränkungen gibt es nicht“, erläuterte Igor Dykunskyy, LL.M., Managing Partner bei DLF-Rechtanwälte aus Kiew. Das Angebot müsse mit Ausnahmen in ukrainischer Sprache eingereicht werden und in ukrainischer Währung. Die meisten Informationen auf der Plattform ProZorro seien ebenfalls auf Ukrainisch. Es gebe 13 zugelassenen Ausschreibungsplattformen, die untereinander im Wettbewerb stehen würden. Eine Anmeldung sei kostenfrei und unkompliziert. Die elektronische Plattform sei mit zirka 70 Ländern verknüpft. Die Ausschreibungsgebühr betrage maximal 100 Euro. 

Sollten komplizierte technische Daten vorliegen, so müsse das Unternehmen sofort reagieren, da die Fristen mit 10 Tagen ziemlich kurz seien. Ähnlich verhalte es sich bei Diskriminierungsfragen. Es brauche mindestens zwei Unternehmen für die zweite Runde. Sobald ein Vertrag mit dem Gewinner abgeschlossen wurde, kann dieser nur in einem Gerichtsverfahren angefochten werden.

„Vor Markteintritt sollte eine sorgfältige Strukturierung des gesamten Ukraine-Geschäfts, darunter auch die Wahl der richtigen Rechtsform, erfolgen. Wichtig ist, sich frühzeitig über Steuersätze und -anreize zu informieren. Investitionen lohnen sich gerade jetzt“, ergänzte Olga Ianushevych, LL.M. bei DLF-Rechtsanwälten aus Kiew. Die Überprüfung des ukrainischen Vertragspartners gehöre genauso dazu, wie der Blick auf Sanktionsrisiken, Eigentumsübergang sowie Devisenrechtliche Einschränkungen. 

Das ukrainische Arbeitsrecht sei formalistisch und arbeitnehmerfreundlich. Doch müssten die Regelungen bei befristeten Verträgen, Ausbezahlung in ukrainischer Währung, Probezeiten, Kündigung und Arbeitserlaubnis eingehalten werden. „Bei der Anstellung von Führungskräften sollten Sie das 4-Augenprinzip in der Satzung festlegen“, rät Ianushevych.
(Antje Schweinfurth)

Mehr Informationen unter https://dlf.ua/de/

 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist die Einschränkung der Teilzeit von Beamten sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.