Wirtschaft

Damit sich die Wirtschaft nach der coronabedingten Schließung wieder erholt, sollen die Kommunen kräftig in Bauprojekte investieren. In Fürth hat man bereits vor Corona mit dem Bau einer neuen Feuerwache begonnen. (Foto: Schweinfurth)

22.05.2020

"Der Bund muss helfen – aber nicht überall"

Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) über Forderungen der Wirtschaft, kommunale Bauprojekte zur Corona-Kompensation zu realisieren, und die Rolle der Staatsregierung

Bauwirtschaft und Handwerk werden angesichts der ökonomischen Folgen durch den Lockdown in der Corona-Krise nicht müde, von Kommunen kräftige Investitionen im Baubereich zu fordern. Doch Städte und Gemeinden leiden ebenfalls unter der Pandemie. Drohen dem Freistaat bis 2022 Steuerverluste von rund 10,8 Milliarden Euro, so sind es für Städte und Gemeinden rund zwei Milliarden Euro.

BSZ: Herr Jung, um der Wirtschaft nach dem coronabedingten Lockdown wieder auf die Beine zu helfen, fordern Bauwirtschaft und Handwerk, dass Kommunen die Konjunktur durch Investitionen in Bauprojekte ankurbeln. Was halten Sie davon?
Thomas Jung: Dazu sind die Kommunen gerne bereit, wenn Bund und Land dies finanziell ermöglichen.

BSZ: Was würden Sie in Fürth angehen, wenn das Geld vorhanden wäre?
Jung: Fürth ist eine kinderreiche Stadt und wir müssten dringend 500 neue Kindergartenplätze schaffen. Das sind ungefähr 20 Gruppen, was rund sechs bis acht neue Kindergärten bedeutet.

BSZ: Was würde deren Realisierung kosten?
Jung: Etwa 15 Millionen Euro. Aber wir müssten auch unsere Schulen erweitern, was ein Investment von über 100 Millionen Euro für drei bis vier Jahre bedeuten würde. Aber das wären nicht die einzigen Investitionsbereiche.

BSZ: Welche noch?
Jung: Alles, was man unter dem Oberbegriff Verkehrswende subsummieren kann. Dazu gehören neue Radwege oder eigene Busspuren. Aber auch der behindertengerechte Umbau der Bushaltestellen wäre nötig. Das alles würde etwa 30 Millionen Euro in den kommenden vier bis fünf Jahren verschlingen. Außerdem müssten wir noch in Klimaschutzmaßnahmen investieren.

BSZ: Nun brechen wegen der Corona-Pandemie aber die Gewerbesteuern ein. Wie stark ist Fürth betroffen?
Jung: In Bayern gehen die Städte von einem Einbruch von etwa 20 Prozent aus. Bei uns in Fürth sind es 31 Prozent. Das sind rund 20 Millionen Euro.

BSZ: Und wie sieht es bei der Einkommensteuer aus?
Jung: Da haben wir ein Minus von zehn Prozent, das sind 8,3 Millionen Euro.

BSZ: Was fordern Sie deshalb in Ihrer Eigenschaft als erster stellvertretender Vorsitzender des Bayerischen Städtetags von der Staatsregierung?
Jung: Die Anregung aus Berlin umzusetzen und die Gewerbesteuerausfälle zur Hälfte durch den Bund und zur Hälfte durch das Land zu kompensieren.

BSZ: Das heißt, Sie sind dafür, dass hochverschuldeten Kommunen auch die Altschulden erlassen werden?
Jung: Nein, selbstverständlich nicht, wenn es um die Kassenkredite geht. Es müssen alle Schulden berücksichtigt werden. Diesen Teil der Berliner Vorschläge lehnen wir im Bayerischen Städtetag rundweg ab. Denn wir in Bayern, die wir in den Rathäusern jahrelang Kassenkredite abgebaut haben, würden völlig leer ausgehen.

BSZ: Was fordert der Städtetag also?
Jung: Eine Erhöhung des Bundesanteils an den Sozialleistungen. Es wäre den Kommunen schon sehr viel geholfen, wenn der Bund deutlich mehr von den Kosten für die Mieten für Hartz-IV-Empfängern übernehmen würde. Außerdem fordern wir, die Verluste im ÖPNV zu kompensieren. Etwa 80 Prozent der Fahrgeldeinnahmen sind in der Corona-Krise weggebrochen.

BSZ: Noch etwas?
Jung: Ja, der Bund müsste mindestens die Hälfte der Verluste der Krankenhausträger ausgleichen. Es gibt Städte wie Erlangen oder Regensburg mit Universitätskliniken. Die sind hier fein raus, weil diese Krankenhäuser über den Freistaat finanziert werden. Bei den kommunalen Krankenhäusern wie in Fürth oder Nürnberg ist das nicht so.

BSZ: Nun hat ja Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger den Kommunen eine Milliarde Euro für Investitionen in Aussicht gestellt. Wie bewertet das der Städtetag?
Jung: Das ist ein guter Auftakt, aber das muss verstetigt werden. Ein Strohfeuer nützt den Städten nicht.

BSZ: Und was halten Sie von Finanzminister Albert Fürackers Ankündigung, zwei Milliarden Euro aus dem zehn Milliarden Euro umfassenden kommunalen Finanzausgleich jetzt schon auszubezahlen und nicht erst gegen Ende des Jahres?
Jung: Das ist einfach und billig für den Freistaat. Richtig wäre es gewesen, wenn er diese zwei Milliarden Euro auf die Schlüsselzuweisungen draufgesattelt hätte.

BSZ: Um jetzt mehr kommunale Bauprojekte zu ermöglichen, fordert der Bayerische Bauindustrieverband, den kommunalen Eigenanteil bei den Förderprogrammen des Freistaats zu halbieren. Schließen Sie sich dieser Forderung an?
Jung: Das wäre eine deutliche Erleichterung. Denn real bedeutet der Eigenanteil für die Kommunen immer eine Mitfinanzierung in Höhe von 40 bis 60 Prozent. Ein Eigenanteil muss sein, weil sonst alles Mögliche finanziert werden würde. Diesen aber auf zehn Prozent zu begrenzen, wäre für Städte und Gemeinden in der jetzigen Situation mehr als wünschenswert.

BSZ: Wie stehen Sie zu einer Finanzierung durch Kassenkredite?
Jung: Das ist nicht solide. Das wäre so, als würde man das Eigenheim übers Girokonto finanzieren. Manch eine Kommune in Nordrhein-Westfalen macht das, aber keine in Bayern. Dennoch haben wir auch im Freistaat Städte, die wegen des Strukturwandels hohe Altschulden haben – Nürnberg, Fürth oder Hof zum Beispiel. Auch wir mussten die Folgen von Unternehmensinsolvenzen wie im Fall von AEG, Grundig oder Quelle schultern. Das ist nur leider wieder in Vergessenheit geraten.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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