Wirtschaft

Mittelständler scheuen Börsen. Sie bevorzugen Bankkredite. (Foto: dpa)

30.10.2015

„Der Mittelstand wird nicht an die Börse pilgern“

Jürgen Gros, Vorstand des Genossenschaftsverbands Bayern, über den Plan der EU, die Unternehmensfinanzierung weg von Krediten hin zum Kapitalmarkt zu drängen

Seit der Finanzmarktkrise 2008 kommen aus Brüssel immer wieder Vorstöße, die deutschen Sparern und deutschen Mittelständlern schaden könnten. Denn das solide deutsche Bankensystem bietet viel Geldreserven, das für die anderen EU-Staaten attraktiv ist. Darüber sprachen wir mit Jürgen Gros, Vorstand des Genossenschaftsverbands Bayern. BSZ: Herr Gros, was bedroht aktuell das deutsche Bankensystem und damit die Sparer?
Gros: Aktuell steht eine Reihe von Vorschlägen aus Brüssel im Raum, die wir klar ablehnen. Sie weisen eindeutig in die falsche Richtung. Das gilt zum Beispiel für die Pläne der EU-Kommission zur Sicherung von Ersparnissen.

BSZ:
Wie ist das derzeit in Deutschland?
Gros: Die Volksbanken und Raiffeisenbanken verfügen seit mehr als 80 Jahren über ein bewährtes Institutssicherungssystem, das die Einlagen ihrer Kunden schützt. Nun fordert Brüssel eine europäische Vergemeinschaftung der Sicherungssysteme. Das heißt, bei einer Schieflage sollen auch die Sparer anderer EU-Staaten aus den deutschen Töpfen entschädigt werden. Das lehnen wir ganz klar ab.

BSZ: Warum verfolgt Brüssel Pläne, die den deutschen Sparern schaden?
Gros: Die EU-Kommission meint, mit diesem Schritt die Finanzstabilität stärken zu können. Doch sie würde das Gegenteil erreichen. Mit einer europäischen Einlagensicherung werden alle bestehenden Brandschutzmauern zwischen den Staaten eingerissen. Damit riskiert man, dass Turbulenzen von einzelnen Märkten auf ganz Europa überspringen.
BSZ: Das alles klingt sehr nach Transferunion.
Gros: Das läuft tatsächlich auf eine europäische Transferunion hinaus. Wir setzen uns dafür ein, die nationalen Systeme zu bewahren. Warum sollte man etwas aufgeben, das seit Jahrzehnten funktioniert?

BSZ: Ein höchst ungerechtes Vorgehen.
Gros: Über Gerechtigkeit will ich hier nicht reflektieren. Mir geht es um das Risiko anderer Banken, für das Kreditgenossenschaften in Haftung genommen werden sollen. Das ist völlig inakzeptabel.

BSZ: Wie steht die Bundesregierung zu den Vorstellungen Brüssels in Sachen Einlagensicherung?
Gros: Die Bundesregierung und auch der Bundestag teilen unsere Position und lehnen eine europäische Einlagensicherung ab. Das ist im Interesse der Sparer.

BSZ: Hat Deutschland in dieser Angelegenheit Verbündete?
Gros: Zum Beispiel die Österreicher. Viele andere Staaten in Europa verfügen bislang über keine Einlagensicherungssysteme oder bauen sie gerade noch auf.

BSZ: Was kommt denn noch so aus Brüssel, das schlecht wäre für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Gros: Wir beobachten nicht zuletzt die Pläne für die europäische Kapitalmarktunion mit Skepsis. Die Prämisse, Wachstum und Beschäftigung zu schaffen, ist richtig. Nur das, was wir faktisch sehen, widerspricht dem. Die Kommission will die Unternehmensfinanzierung stärker auf die Kapitalmärkte verlagern. Ich halte das für einen Irrweg. Der deutsche Mittelstand wird auch in Zukunft nicht in Scharen an die Börse pilgern. Er will einen verlässlichen Zugang zu Krediten. Wenn er daran von den Regulierungsbehörden gehindert würde, wäre das verheerend. Das gilt im Übrigen auch für das Vorhaben, den so genannten Mittelstandsfaktor abzuschaffen.

BSZ: Was heißt das?
Gros: Dass Kredite an kleinere und mittlere Unternehmen deutlich teurer werden. Denn die Banken müssten dann entsprechend mehr Eigenkapital für ihre Firmenkredite hinterlegen. Das würde Investitionen ausbremsen.

BSZ: Wie viel hat der bayerische Mittelstand investiert?
Gros: Die Volksbanken und Raiffeisenbanken sind einer der wichtigsten Partner des bayerischen Mittelstands. Seit dem Jahr 2010 haben sie das Volumen ihrer Firmenkundenkredite um rund zehn Milliarden Euro ausgeweitet. Allein im ersten Halbjahr des laufenden Jahres 2015 ist es um eine Milliarde Euro auf mehr als 40 Milliarden Euro gestiegen.

BSZ: Das zeigt doch, dass es dem Mittelstand gutgeht.
Gros: Der Mittelstand ist derzeit in guter Verfassung und investiert. Es besteht allerdings die Gefahr, dass diese Entwicklung durch eine regulatorisch bedingte Kreditverknappung künftig behindert wird.

BSZ: Welche Maßnahmen sind noch im Gespräch?
Gros: Es ist in der Diskussion, Zinsänderungsrisiken mit Eigenkapital zu unterlegen. Das würde zu kürzeren Kreditlaufzeiten führen und Zins- und Prolongationsrisiken auf Unternehmen verlagern.

BSZ:
Wie sollen sich die Mittelständler nach den Brüsseler Vorstellungen finanzieren, wenn der Kredit so unattraktiv gemacht werden soll?
Gros: Gute Frage. Der Kapitalmarkt jedenfalls ist keine Lösung. Denn vielen Mittelständlern ist dieser Weg zu teuer und zeitaufwendig.

BSZ: Wie zeitaufwendig?
Gros: Wir sprechen von einem Zeitunterschied von einem halben Jahr und mehr. Doch das ist gar nicht das Hauptproblem.

BSZ: Sondern?
Gros: Der Mittelständler müsste für die Emission einer Anleihe Informationen preisgeben, die er in der Regel lieber für sich behält.

BSZ: Wo ist das Problem?
Gros: Erfolgreiche Mittelständler sind oft hidden champions, also hochspezialisierte und weltweit führende Betriebe. Die haben kein Interesse daran, Unternehmensdaten in einem Prospekt zu veröffentlichen.

BSZ: Warum nicht?
Gros: Für Wettbewerber können solche Informationen sehr aufschlussreich sein. Wenn man dann sieht, dass im Rahmen der Kapitalmarktunion darüber nachgedacht wird, Informationssysteme für Investoren zu etablieren, die auf der höchst umstrittenen Kreditdatenbank AnaCredit aufsetzen, wird mir angst und bange.

BSZ:
Was ist das?
Gros: Die Europäische Zentralbank plant ein Kreditregister, in dem jeder Kredit von mehr als 25.000 Euro gemeldet werden muss. Das wären 50 bis 60 Millionen Kredite alleine in Deutschland. Dabei sollen die Banken bis zu 150 Angaben pro Darlehen machen. Daraus kann ein kundiger Bilanzleser sehr viele Schlüsse ziehen.

BSZ: Wieso will man so etwas überhaupt einführen?
Gros: Die EZB will damit die Finanzstabilität besser beurteilen können. Wir sehen in dem Register vor allem ein Problem für unsere Kunden, die dadurch gläsern werden.

BSZ: Welche Mitstreiter haben Sie, um die Umsetzung dieser Pläne zu verhindern?
Gros: Viele. Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern zum Beispiel.

BSZ: Gibt es weitere Verbündete?
Gros: Ja, nicht zuletzt den Bayerischen Gemeindetag. Denn Wachstum und Beschäftigung finden vor Ort statt. Das geht ohne kleine und mittelständische Betriebe gar nicht. Sie sorgen in den Kommunen für Arbeitsplätze, Steuern und Investitionen. Das ist extrem wichtig, besonders im ländlichen Raum.

BSZ:
Für wie viel Steueraufkommen sorgen denn die bayerischen Genossenschaften?
Gros: Die 1300 bayerischen Genossenschaften haben 2014 rund 465 Millionen Euro an Steuern abgeführt.

BSZ: Und wie viele Arbeitsplätze stellen Sie bereit?
Gros: Die Genossenschaften im Freistaat beschäftigen 53.000 Mitarbeiter, davon etwa 35.000 bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken. Die indirekte Beschäftigungswirkung der bayerischen Genossenschaften liegt bei fast einer Million Arbeitsplätzen.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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