Der Mittelstand gilt als Rückgrat der Wirtschaft. Hierzu zählt auch das Handwerk. 2024 erwirtschafteten in Bayern 213.596 Betriebe mit 63 370 Auszubildenden und 955.000 tätigen Personen einen Umsatz von 148,3 Milliarden Euro. Außerdem sorgte das Handwerk im Freistaat für Investitionen im Umfang von 4,1 Milliarden Euro.
BSZ: Herr Peteranderl, was muss die neue Bundesregierung jetzt fürs Handwerk tun?
Franz Xaver Peteranderl: Der Standort Deutschland braucht dringend einen Neustart. Unsere Betriebe erwirtschaften den Großteil ihrer Umsätze auf dem Binnenmarkt. Damit sind sie ganz besonders auf gute und verlässliche Rahmenbedingungen angewiesen. Zu den wichtigen Standortfaktoren gehören beispielsweise Freiräume für Unternehmertum und Innovation, Impulse für Beschäftigung und Fachkräftesicherung, gute Arbeitsbedingungen sowie eine starke Bildungsinfrastruktur.
BSZ: Was muss ganz konkret mit den Energiepreisen passieren?
Peteranderl: Bei der Klima- und Energiepolitik müssen die Auswirkungen auf Wirtschaft und Mittelstand wieder stärker berücksichtigt werden. Die Energieversorgung muss sicher und bezahlbar sein. Um dies zu erreichen, braucht es eine breitere Versorgungsgrundlage mit technologieoffenen Lösungen. Die Kosten der Energiewende müssen fair verteilt werden. Handwerk und Mittelstand dürfen gegenüber der Industrie nicht benachteiligt werden. Die Stromsteuer muss auf den EU-rechtlich zulässigen Mindestwert gesenkt werden – und zwar nicht nur für das produzierende Gewerbe.
BSZ: Welche bürokratischen Hürden können ersatzlos gestrichen werden, damit die Handwerksbetriebe entlastet werden?
Peteranderl: Vor allem bei den Dokumentations- und Nachweispflichten besteht großer Handlungsbedarf. Dort werden unter anderem Daten zusammengetragen, die dem Staat bereits vorliegen. Sobald kleine und mittlere Unternehmen (KMU) von Gesetzesvorhaben betroffen sind und die veranschlagten Kosten bestimmte Schwellenwerte übersteigen, müssen vorab verpflichtende Praxischecks durchgeführt werden. Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen generell vereinfacht und beschleunigt werden. Geplante Regulierungen, wie zum Beispiel die EU-Entwaldungsverordnung, dürfen nicht verwirklicht und bereits bestehende, etwa das Lieferkettengesetz auf Bundes- und EU-Ebene, wieder komplett abgeschafft werden.
BSZ: Wie sollte ein verträglicher Steuersatz für Handwerksbetriebe aussehen?
Peteranderl: Um die Unternehmen zu entlasten, müssen die Steuern auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau abgesenkt werden. Der Staat muss aber auch an die Einkommensteuer ran: Die meisten selbstständigen Handwerkerinnen und Handwerker firmieren als Einzelunternehmer und unterliegen damit der Einkommensteuer. Weitere Belastungen müssen klipp und klar ausgeschlossen und der Solidaritätszuschlag endlich komplett abgeschafft werden. Ebenso wichtig ist für unseren arbeitsintensiven Wirtschaftsbereich, die Sozialabgaben zu senken: Die Beitragslast für Betriebe und Beschäftigte muss durch Reformen und eine Ausgabenbremse wieder dauerhaft unter 40 Prozent gedrückt werden.
BSZ: Was muss am Bau passieren, damit dieser in Schwung kommt?
Peteranderl: Wie in allen anderen Branchen auch, muss vor allem der Vorschriftendschungel gelichtet werden. Weil die Verwaltungsaufgaben der Bauaufsichtsbehörden zuletzt immer stärker zurückgeführt wurden, wird immer mehr Verantwortung beim Bauherrn und den ausführenden Unternehmen abgeladen. Dadurch steigt der externe Beratungsbedarf – was zu weiteren Kosten führt. Die ständige Novellierung der Vorschriften verzögert und verteuert auch die Planungen, da diese immer wieder angepasst werden müssen. Wenn man bei den ganzen Auflagen abspecken und beispielsweise Recycling-Materialien als gleichwertige Baustoffe anerkennen würde, könnten die Baupreise nach meiner Einschätzung um 15 bis 20 Prozent gesenkt werden. Zudem brauchen wir eine Unterscheidung zwischen verpflichtenden sicherheits- und gesundheitsschutzrelevanten Standards und solchen, die dem Komfort dienen und nicht verpflichtend sind.
BSZ: Gibt es Handwerksbetriebe, die ins Ausland abwandern könnten?
Peteranderl: Diese Gefahr sehe ich höchstens im grenznahen Bereich, etwa zu Österreich und der Tschechischen Republik. Unsere Handwerksbetriebe sind in der Regel äußerst standorttreu, auch weil ihr Kundenkreis hier ist. Viel größer ist dagegen eine andere Gefahr: Wenn sich die Rahmenbedingungen nicht deutlich verbessern, werden die Betriebe schließen, wenn kein Nachfolger in Sicht ist und die Inhaber das entsprechende Alter erreicht haben. Das ist unterm Strich genauso schlecht für unser Land, wie wenn Unternehmen ihre Produktionsstätten ins Ausland verlagern.
BSZ: Viele Nachwuchshandwerker scheuen sich angesichts der Verhältnisse hierzulande, einen eigenen Betrieb zu gründen beziehungsweise zu übernehmen. Was raten Sie diesen Menschen?
Peteranderl: Ich bin ein klarer Befürworter des Unternehmertums und kann jungen Leuten nur zur Selbstständigkeit raten. Doch eines ist klar: Handwerkerinnen und Handwerker, die sich für die Selbstständigkeit entscheiden, brauchen gute Startbedingungen. Und hier liegt derzeit einiges im Argen: 2023 haben 75 Prozent der angestellten Meisterinnen und Meister eine Selbstständigkeit langfristig ausgeschlossen. Das hat das Forschungsinstitut für Berufsbildung im Handwerk an der Universität zu Köln ermittelt. Der am häufigsten genannte Grund, der gegen eine Betriebsgründung oder -übernahme spricht, war mit 49 Prozent die überbordende Bürokratie. Brüssel und Berlin müssen auf diese Warnsignale reagieren, Bürokratie abbauen und den Standort stärken, damit wieder mehr Menschen Lust auf Selbstständigkeit bekommen. Das ist auch noch aus einem anderen Grund wichtig: In den kommenden fünf Jahren suchen 34 000 Handwerksunternehmen in Bayern eine neue Chefin oder einen neuen Chef.
(Interview: Ralph Schweinfurth)
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