Wirtschaft

Für Günther Platter ist es ein fatales Signal, dass in Bayern noch nicht einmal die Trassierung der Zulaufstrecken zum Brennerbasistunnel beschlossen ist. Er betont, dass der Tunnel kein Tiroler, sondern ein europäisches Projekt ist. (Foto: Angerer)

11.09.2020

"Deutschland soll endlich zu den Abkommen stehen"

Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) über Verkehrsprobleme im Inntal und Deutschlands Versäumnisse beim Nordzulauf für den Brennerbasistunnel

Inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass der Brennerbasistunnel erst 2030 und nicht wie geplant 2028 eröffnet wird. Somit muss die Bevölkerung im Inntal, sowohl in Bayern als auch in Tirol, weitere zwei Jahre warten, bis sie aufatmen kann. Denn mit dem Tunnel wird sich die Verkehrsbelastung endlich reduzieren – so die Hoffnung. Doch hierfür müssen noch viele Weichen gestellt werden.

BSZ: Herr Platter, was erwarten Sie von Bayern und Deutschland zur Entlastung der Tiroler Bevölkerung vom Durchgangsverkehr auf der Inntal Autobahn?
Günther Platter: Das ist ganz einfach: Bayern und Deutschland sollen endlich zu den Versprechungen und Abkommen stehen, die wir getroffen haben. Zentraler Inhalt all unserer Vereinbarungen, von denen es in den letzten Jahren gleich mehrere gegeben hat, ist neben der Minimierung des Straßengüterverkehrs über den Brenner – Stichwort Kostenwahrheit zwischen Straße und Schiene – vor allem der viergleisige Bahnausbau zwischen München und Kufstein. Entgegen der Zusagen sind Bayern und Deutschland gerade beim Bau dieser so wichtigen Zulaufstrecken zum Brennerbasistunnel säumig. Während wir in Tirol unsere Hausaufgaben gemacht haben, ist in Bayern noch nicht einmal die Trassierung der Zulaufstrecken beschlossen. Das ist ein fatales Signal, denn beim Brennerbasistunnel handelt es sich nicht um ein Tiroler Projekt, sondern vielmehr um ein europäisches Projekt. Da gibt es Verträge, die auch für Deutschland gelten, aber niemand hält sich daran. Deshalb muss Kritik unter Freunden erlaubt sein.

"Kritik unter Freunden muss erlaubt sein"

BSZ: Wie würden Sie aus Tiroler Sicht den Brenner-Nordzulauf auf bayerischer Seite gestalten?
Platter: Großprojekte erzeugen nicht selten Angst und Unsicherheit bei den Bürgerinnen und Bürgern und das nutzen wiederum Projektgegner, um bewusst Stimmung gegen bestimmte Vorhaben zu machen. Es wird wohl niemand glauben, dass es beim Bau der Unterinntaltrasse auf Tiroler Seite des Inntals nur Befürworter gegeben hat. Trotzdem ist es uns durch eine intensive Miteinbindung der Bevölkerung gelungen, eine hochmoderne, neue Eisenbahntrasse zu bauen. Ein Gutteil des Brennerbasistunnels, der eines der größten Infrastrukturprojekte der Welt darstellt, wird zudem im engen Wipptal errichtet. Das zu erreichen, war alles andere als ein Spaziergang, es ist stattdessen das Ergebnis harter Arbeit und intensiver Gespräche zwischen Projektbetreibern, Bevölkerung und Politik.

BSZ: Das heißt also, dass Sie jedenfalls für die Einbindung der bayerischen Bevölkerung sind?
Platter: Ja, denn ohne die Bevölkerung lässt sich ein Jahrhundertprojekt wie der Brennerbasistunnel nicht realisieren. Bund, Bahn und Freistaat sind gefordert, an einem Strang zu ziehen und den Menschen auf der bayerischen Seite des Inntals glaubhaft zu erklären, dass hier eine Infrastruktur der Zukunft geschaffen wird – eine Infrastruktur, die die Menschen entlastet und nicht belastet und eine Verbesserung für die transitgeplagte Bevölkerung bringt. Ohne den Brennerbasistunnel, der seine volle Leistungsfähigkeit nur mit den Zulaufstrecken im Norden und Süden entfalten kann, werden unsere Länder und die Menschen, die hier leben, irgendwann vom Verkehr überrollt werden.

BSZ: Haben sich die Fahrverbote an Ferienwochenenden bewährt?
Platter: Absolut. Es ist heutzutage leider so, dass viele Autofahrer blindlings den Navis folgen. Das hat an den starken Reisewochenenden des vergangenen Jahres dazu geführt, dass es bei Staus auf der Autobahn zu einem massiven Ausweichverkehr auf umliegende Straßen gekommen ist, die meist durch kleine Dörfer und Weiler führen. Diese Straßen sind oftmals so eng, dass ein Bus und ein Wohnwagen nur knapp aneinander vorbeikommen, weshalb massive Behinderungen die Folge waren. Das ging sogar so weit, dass es selbst für Einsatzkräfte kein Durchkommen mehr gab, weil die Straßen völlig blockiert waren. Weil die Verkehrs- und Versorgungssicherheit nicht mehr gewährleistet waren, waren wir zum Handeln gezwungen und haben daher in den Sommermonaten 2019 diese Fahrverbote für das niederrangige Straßennetz erlassen. Heuer war die Situation eine gänzlich andere: Wegen der Corona-Krise und des damit einhergehenden deutlich geringeren Pkw-Verkehrs Richtung Süden waren diese Fahrverbote nur im Bezirk Reutte und nirgendwo sonst erforderlich.

"Die Straße ist im Vergleich zur Schiene einfach viel zu billig"

BSZ: Reicht die jetzige Kapazität der Rollenden Landstraßen (RoLa), also dem Lkw-Transport per Bahn, im Alpentransit aus?
Platter: Wir haben die Kapazitäten der RoLa durch Tirol auf 400.000 Lkw pro Jahr erhöht. Das Problem ist aber nicht die Kapazität, das Problem ist die Auslastung. Die Straße ist im Vergleich zur Schiene einfach viel zu billig. Außerdem fehlt es an einem RoLa-Angebot von Bayern zum Brenner beziehungsweise überhaupt bis nach Trento oder Verona. Ganz generell ist zu sagen, dass die Zukunft des Güterverkehrs im unbegleiteten kombinierten Verkehr mittels Containern liegt, weil dieser technisch sinnvoller ist. Aber so lange der Transport auf der Straße deutlich billiger und effizienter ist, ist die Bahn nur bedingt hilfreich. Aktuell beträgt das Verhältnis zwischen Straße und Schiene 73 zu 27 Prozent. Daran allein sieht man, wo investiert werden muss. Dafür müssen aber auch nationale Hürden im Eisenbahnwesen abgebaut werden.

BSZ: Müsste man auf europäischer Ebene intervenieren, damit Unternehmen nicht ihre gesamte Lagerhaltung durch Just-in-time-delivery auf die Autobahnen auslagern?
Platter: Gerade das ist ja das Problem. Die Straße ist das Lager geworden und die Entwicklung geht immer noch stärker in diese Richtung, ohne Rücksicht auf Verluste. So kann es nicht weitergehen. Das muss auch der Europäischen Kommission bewusst sein, die den Green Deal zu ihrem neuen Leitsatz erklärt hat. Sie müssen sich vorstellen, dass wir im Jahr 2000 am Brenner noch 1,5 Millionen Lkw verzeichneten, während es im Vorjahr schon knapp 2,5 Millionen waren – das ist mehr, als auf allen Alpenübergängen in der Schweiz und in Frankreich gemeinsam. Das zeigt, welch enorme Belastung der Brenner und damit unsere Bevölkerung heute ertragen müssen. Das ist nicht länger hinnehmbar.

BSZ: Trotz aller Probleme: Was verbindet Bayern und Tirol wirtschaftlich? Was läuft gut? Wo könnte die Kooperation besser laufen?
Platter: Tirol und Bayern verbindet mehr als nur die Wirtschaft. Wir haben eine gemeinsame Geschichte, die auch geprägt ist von leidvollen Episoden, pflegen eine sehr ähnliche Kultur und ähnliche Traditionen. Wir sind in Freundschaft miteinander verbunden. Und genau diese Freundschaft muss es auch aushalten, dass man Klartext spricht, wenn einem etwas nicht passt – wie eben in der Verkehrsfrage, wo Bayern und Deutschland endlich in die Gänge kommen müssen. Aber zurück zur Wirtschaft: Dass die Wirtschaftsleistung Bayerns – das BIP – dem fast 20-fachen Tirols entspricht, sehe ich als absolute Chance für unser Land. Uns in Tirol geht es nur dann gut, wenn es auch unserem Nachbarn im Norden gutgeht. Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind natürlich stark ausgeprägt, immerhin haben wir allein im ersten Halbjahr 2019 Waren im Wert von rund 1,7 Milliarden Euro nach Bayern exportiert. Außerdem stammen über 50 Prozent der Gäste, die nach Tirol kommen, aus Deutschland, ein guter Teil davon aus Bayern. Daher ist diese Wirtschaftsbeziehung für uns von größter Wichtigkeit, denn eine Vollbremsung in Bayern wirkt sich natürlich auch auf Tirol aus.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

Kommentare (1)

  1. Benedikt am 12.09.2020
    Seit drei Legislaturperioden steht ein CSU Mitglied dem BVG vor und seitdem werden Straßen und Autobahnen ausgebaut. Ich verstehe nicht, wieso die staatsregierung dem dreispurigen Ausbau der a8 oder den Tunnel um Oberau hinkriegt, aber beim Thema Schiene komplett versagt. Ein Armutszeugnis.
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