Wirtschaft

Die langfristigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China sollten unkompliziert, verlässlich und fair sein. (Foto: dpa/Ralf Hirschberger)

15.10.2021

"Dialog ohne auftrumpfende Selbstgerechtigkeit"

Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags, über den Umgang der neuen Bundesregierung mit Handelspartner China

Die neue Bundesregierung, egal welcher Couleur sie sein wird, muss den wirtschaftlichen Austausch mit China intensivieren. Hierbei sind Benachteiligungen deutscher Unternehmen offen zu adressieren und nicht widerspruchslos zu akzeptieren.

BSZ: Herr Gößl, Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ein enges Verhältnis zur Führung in Peking gepflegt. Was muss die neue Bundesregierung anpacken, damit der Handel mit China für bayerische Unternehmen fairer wird?
Manfred Gößl: China ist für Deutschland wie übrigens auch für Bayern Handelspartner Nummer Eins. Auch viele kleine und mittlere Unternehmen aus dem Freistaat sind in China erfolgreich aktiv. Damit das so bleibt, sind unkomplizierte, verlässliche und vor allem faire Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen Austausch entscheidend. Dafür muss sich auch die neue Bundesregierung einsetzen.

BSZ: Stichwort unkompliziert – wegen Corona ist die Einreise in die Volksrepublik extrem schwierig.
Gößl: Alles andere als unkompliziert ist derzeit eine Geschäftsreise nach China. Hier muss die neue Bundesregierung sicherstellen, dass unter Berücksichtigung des berechtigten Interesses der chinesischen Seite an einer Eindämmung der Pandemie, deutschen und damit auch bayerischen Unternehmen eine Auftragsabwicklung und Teilnahme am chinesischen Markt weiterhin möglich bleibt.

BSZ: Und wie sieht die weitere Perspektive aus?
Gößl: Bei der langfristigen Ausgestaltung der deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen ist auf die Aspekte verlässlich und fair ein besonderes Augenmerk zu legen. Zu diesem Ergebnis kommt auch die IHK-Umfrage „Going International“. Sie ist die größte ihrer Art unter 2400 im Ausland aktiven deutschen Unternehmen. In der diesjährigen Auswertung geben 40 Prozent der befragten Unternehmen an, Probleme in der Lieferkette oder Logistik aufgrund von Einschränkungen im Grenzverkehr oder von Produktionsausfällen zu haben. 44 Prozent von diesen Unternehmen sagen, dass insbesondere die Lieferketten aus beziehungsweise nach China betroffen sind. Konkret spürt jedes dritte Unternehmen zusätzliche Hürden im Handel mit dem Reich der Mitte. Neben den pandemiebedingten Lieferkettenproblemen werden als Hemmnisse vor allem Vorgaben zum Technologietransfer und Local-Content-Vorschriften, wie zum Beispiel verpflichtende Beschaffungsquoten für chinesische Zulieferteile, genannt.

BSZ: Das heißt, dass der Handel mit China immer komplizierter wird?
Gößl: Die Zunahme an Handelshürden zeigt, wie viel Handlungsbedarf bei den deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen besteht. Wichtig ist ein regelmäßiger Dialog zwischen der Bundesregierung und der chinesischen Seite ohne auftrumpfende Selbstgerechtigkeit oder öffentliche Bloßstellung, dafür aber mit klaren Worten hinter verschlossenen Türen. Benachteiligungen deutscher Unternehmen sind offen zu adressieren und nicht widerspruchslos zu akzeptieren. Hierbei sind zum Beispiel auch chinesische Strategien wie „Made in China 2025“ oder die „Dual Circulation“ abzuklopfen, in deren Folge wir nachteilige Vorgaben hinsichtlich Technologietransfer und Local-Content-Vorschriften für unsere Unternehmen feststellen.

"Protektionismus ist nicht die Lösung, sondern das Problem"

BSZ: Welche Themen muss Berlin vor allem in Brüssel vorantreiben?
Gößl: Brüssel ist in Verantwortung für die Handelspolitik der EU. Die EU-Kommission muss ebenfalls auf ein faires, gleichberechtigtes Marktumfeld für europäische Unternehmen hinwirken. Die Maxime lautet „levelling the playing field“. Ein Beispiel dafür ist das „Comprehensive Agreement on Investment“ (CAI) zwischen der EU und China. Die Ratifizierung dieses Investitionsabkommens wäre ein wichtiger Schritt, um für europäische und damit auch bayerische Unternehmen höhere Rechtssicherheit und mehr Gleichberechtigung auf dem chinesischen Markt sicherzustellen. Die Ratifizierung war ursprünglich für die erste Jahreshälfte 2022 geplant. Aktuell liegen jedoch die Beratungen des EU-Parlaments wegen der von China gegen mehrere EU-Parlamentarier und EU-Wissenschaftler verhängten Sanktionen auf Eis. Sollte die chinesische Seite erkennbar den Willen zu einer Ratifizierung und fairen Umsetzung des Abkommens zeigen, so sollte sich auch die Bundesregierung in Brüssel dafür stark machen.

BSZ: Ist das das einzige Problem?
Gößl: Ein weiteres Thema, das derzeit in Brüssel diskutiert wird, sind wettbewerbsverzerrende Subventionen auf chinesischer Seite. Die EU muss hier die Interessen der europäischen Unternehmen stärker vertreten, damit zum Beispiel deren Teilnahme bei öffentlichen Ausschreibungen in China unter vergleichbaren Rahmenbedingungen möglich ist. Ebenso wichtig und grundlegend ist schließlich die Entwicklung einer pragmatischen und realistischen China-Strategie. Wie soll das Verhältnis Europas zu China in Zukunft ausgerichtet werden – mit einem China, das selbstbewusst eine ökonomische, technologische und militärische Weltmachtrolle anstrebt und sich dabei auch die Rivalität zu den USA verschärft? Jedenfalls bedarf es eines geschlossenen Auftretens der EU, um gegenüber China mit Relevanz für europäische Interessen eintreten zu können.

BSZ: Bis faire Wettbewerbsbedingungen auf beiden Seiten herrschen, sollte sich die EU beziehungsweise Deutschland gegenüber China protektionistischer geben?
Gößl: Die handelspolitischen Erfahrungen zeigen: Protektionismus ist nicht die Lösung, sondern das Problem. Unsere bayerische Autoindustrie, Hersteller wie Zulieferer, die ja von entscheidender Bedeutung für unseren Wirtschaftsstandort im Ganzen ist, ist zum Beispiel in hohem Maße vom chinesischen Markt abhängig, mehr als umgekehrt. Es wäre also zu unserem eigenen Schaden, Hürden aufzubauen. Gute Interessenspolitik ist vernunftbasiert, ohne Schaum vor dem Mund, mit Florett statt Säbel ausgefochten. Kurzum: Es geht nur über den stetigen politischen Dialog und über vertrauensvolle persönliche Beziehungen, die wirtschaftlichen Partner von den Vorteilen einer Win-win-Situation im wirtschaftlichen Bereich und den dafür erforderlichen Rahmen-bedingungen zu überzeugen. Staatliche Schutzmaßnahmen der EU dürfen nur das letzte Mittel sein, um sich gegen unfaire Maßnahmen der chinesischen Seite zu wehren.

BSZ: Wie kann man den Know-how-Abfluss nach China verhindern?
Gößl: Wie erwähnt, stellt der Zwang zum unfreiwilligen Technologie-Transfer gerade für viele deutsche Unternehmen, die ja besonders technologiekompetent sind, ein großes Problem dar. In der Kritik stehen vor allem rechtliche Vorschriften und spezielle Verfahrensweisen, die sie dazu verpflichten, Technologien offenzulegen oder unentgeltlich an chinesische Wirtschaftsakteure zu übertragen. Das EU-China-Investitionsabkommen könnte hier eine Verbesserung bewirken, da es Regelungen zum Verbot des erzwungenen Technologietransfers enthält. Allerdings ist auch klar, dass aufgrund der digitalen Infrastruktur in China, aber auch durch Fluktuation in der Belegschaft ein Know-how-Abfluss nicht mit Sicherheit verhindert werden kann. Hier ist nur jedem Unternehmen zu raten, bei Themen wie IT-Sicherheit, Datenübertragung oder auch Ansiedlung von Forschung und Entwicklungsaktivitäten sowie beim Personaleinsatz eine Risikoanalyse samt Risiko-Nutzen-Abwägung durchzuführen.

"China wird immer mehr zum Wettbewerber auf Augenhöhe"

BSZ: Chinaexperten sagen, dass der Erfindergeist und die dazu gehörende Eigeninitiative von Mitarbeitenden in der Wirtschaft der Volksrepublik nicht besonders ausgeprägt sind. Sichert dieser Umstand das Überleben des innovationsfreudigen bayerischen und deutschen Mittelstands?
Gößl: Eine Umfrage der Deutschen Auslandshandelskammer (AHK) Greater China unter den deutschen Unternehmen in China lässt den Schluss zu, dass diese These ins Wanken gerät. Die Frage, ob chinesische Wettbewerber in den nächsten fünf Jahren in ihrer Branche Innovationsführer werden, beantworteten 29 Prozent der Unternehmen mit „wahrscheinlich“, 12 Prozent mit „sehr wahrscheinlich“. 2 Prozent gaben erstmalig an, dass die chinesischen Wettbewerber bereits Innovationsführer in der entsprechenden Branche seien. Dies zeigt jedenfalls deutlich, dass Chinas Innovationsstärke zunimmt. China wird immer mehr zum Wettbewerber auf Augenhöhe. Umso mehr geht es am Ende darum, dass wir unsere eigenen nationalen wie europäischen Rahmenbedingungen so ausrichten, dass Forschung, Innovationen und Investitionen erstklassig sind. Genau daran fehlt es aber und genau hier muss die Politik, allen voran die neue Bundesregierung, endlich entschlossen anpacken!

BSZ: Wie hoch war die Summe der Waren und Dienstleistungen, die die bayerische Wirtschaft 2020 und 2019 nach China exportierte?
Gößl: 2019 war China beim Warenhandel mit einem Handelsvolumen von 34,0 Milliarden Euro auf dem zweiten Platz unter den wichtigsten bayerischen Handelspartnern. 2020 ist China mit einem Handelsvolumen von 33,9 Milliarden Euro zum weltweit wichtigsten bayerischen Handelspartner aufgestiegen, als coronabedingt der Außenhandel mit allen relevanten anderen Partnern an der Spitze einbrach. Die bayerischen Unternehmen exportierten im Jahr 2019 Waren im Wert von 16,7 Milliarden Euro in die Volksrepublik, 2020 betrug das Exportvolumen 15,7 Milliarden Euro. Bei den Ausfuhren belegt China noch den zweiten Platz hinter den USA, kommt aber Jahr für Jahr näher an den Spitzenreiter heran.

BSZ: Wie sieht der Trend für dieses Jahr aus?
Gößl: Diese Tendenz lässt sich auch für 2021 feststellen. Im ersten Halbjahr 2021 betrug das Handelsvolumen zwischen Bayern und China 20,0 Milliarden Euro. Auf die Exporte entfiel hieraus ein Anteil von 9,0 Milliarden Euro.

BSZ: Was waren die wichtigsten Exportgüter?
Gößl: Wichtigste Exportgüter waren im Jahr 2020:
1. Kraftwagen und Kraftwagenteile: 4,4 Milliarden Euro (28 Prozent)
2. Maschinen: 3,6 Milliarden Euro (23 Prozent)
3. Datenverarbeitungsgeräte, elektronische und optische Erzeugnisse: 2,7 Milliarden Euro (17 Prozent)
4. Elektrische Ausrüstung: 2,3 Milliarden Euro (15 Prozent)
5. Chemische Erzeugnisse: 0,9 Milliarden Euro (6 Prozent)
2020 lagen laut Deutscher Bundesbank die Dienstleistungsexporte von Deutschland nach China bei 15,2 Milliarden Euro. Diese Zahlen liegen nicht auf Bundeslandebene vor. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass sich die Corona-Pandemie und insbesondere die nach wie vor schwierige Einreisesituation nach China laut Rückmeldung der Unternehmen sehr negativ auswirken. Dies gilt insbesondere für Dienstleistungen, die eine Präsenz vor Ort erforderlich machen.

BSZ: Wie viele bayerische Firmen haben Niederlassungen in China?
Gößl: Laut der bayerischen Repräsentanz in Guangdong sind aktuell über 700 bayerische Unternehmen mit Produktionsstätten, Niederlassungen und Handelsvertretungen in China aktiv.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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