Wirtschaft

Das ZBFS berät auch Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen. (Foto: dpa/Hendrik Schmidt)

09.02.2024

"Die Rechtslage wird immer komplexer"

Norbert Kollmer, Präsident der Landesbehörde Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS), über Elterngeld, Menschen mit Behinderung, Impfschäden und Personalmangel

Jeder elfte Mensch in Bayern ist schwerbehindert, also rund 1,23 Millionen Menschen. Das ergeben aktuelle Zahlen der Landesbehörde Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS) aus Bayreuth. Eine Schwerbehinderung liegt ab einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 oder mehr vor. Diesen stellt das ZBFS fest. Doch die Landesbehörde ist für noch viel mehr zuständig.

BSZ: Herr Kollmer, was macht Bayerns größte Sozialbehörde mit der Bezeichnung ZBFS eigentlich genau?
Norbert Kollmer: Unsere landesweit an zehn Standorten verortete Behörde verfügt über ein sehr großes, „buntes“ Aufgabenspektrum. Es reicht von der Feststellung einer Behinderung und die Ausstellung von Schwerbehindertenausweisen, der Verbescheidung und Zahlung von Elterngeld bis hin zu den bayerischen Leistungen Familiengeld und Krippengeld. Wir stellen die Fachaufsicht über den Maßregelvollzug sicher und haben zahlreiche soziale Förderungen im Portfolio, so zum Beispiel auch das bayerische Blindengeld. Doch das ist nicht alles.

BSZ: Was noch?
Kollmer: Wir unterstützen und beraten Menschen mit Behinderung im Berufsleben, aber auch Betriebe, die Menschen mit einer anerkannten Einschränkung beschäftigen. Zugleich kümmern wir uns um den besonderen Kündigungsschutz. Auch das Landesjugendamt gehört zu uns. Aber wir sind auch für die Opferentschädigung zuständig. So etwa für Gewaltopfer, impfgeschädigte Menschen und Kriegsopfer. Letzteres war übrigens nach den Wirren des Ersten Weltkriegs unsere ursprüngliche Aufgabe. Deshalb hießen wir früher auch „Landesversorgungsamt“ und „Versorgungsamt“. Übrigens haben wir aktuell mit jeder vierten Bürgerin und mit jedem vierten Bürger in Bayern Kontakt.

BSZ: Wie viele Menschen haben schon einen Antrag auf Entschädigung wegen der Corona-Impfung gestellt?
Kollmer: Die aktuellsten Statistiken, die wir haben, stammen vom 4. Januar 2024. Insgesamt sind 2572 Anträge bei uns eingegangen. Davon sind 1754 bearbeitet. 125 wurden bewilligt, 1568 abgelehnt und 61 wurden zurückgenommen.

BSZ: Wie stark belastet die Corona-Impfentschädigung das Budget des ZBFS?
Kollmer: Das können wir leider pauschal nicht sagen, weil man jeden Einzelfall berechnen müsste. Da geht es teilweise auch um Verdienstausfallansprüche. Personell ist es so, dass im ZBFS zwischen 20 und 25 Personen nur mit der Prüfung speziell dieser Anträge beschäftigt sind.

BSZ: Hätte die Politik also den Impfdruck nicht so erhöht, wäre also auch das Arbeits- und Ausgabenvolumen beim ZBFS geringer?
Kollmer: Es handelte sich damals um eine einzigartige Situation. Die Entscheidung, flächendeckend zu impfen, war letztendlich eine politische Entscheidung und meines Erachtens auch richtig. Umso wichtiger, dass der Staat bereits zu Beginn der Corona-Pandemie zielgenaue Entschädigungsmechanismen parat hatte, um etwaige Folgeschäden adäquat abzufedern. Die Vorläufer des Infektionsschutzgesetzes gab es nämlich bereits seit 1962, damals das Bundesseuchengesetz. Auffällig: In Bayern ist die Zahl der Anträge auf Corona-Entschädigung höher als im Durchschnitt der anderen Bundesländer.

BSZ: Wieso?
Kollmer: Schwer zu sagen. Vielleicht, weil wir von Anfang an den Bürgerinnen und Bürgern im Freistaat offen kommuniziert haben, dass wir Corona-Impffolgeschäden entschädigen. Das führte zu einer regen Pressekommunikation mit dem Effekt, dass bundesweite und Medien aus anderen Bundesländern auch bei uns immer die Zahlen abfragen.

BSZ: Also noch mehr Arbeit für das ZBFS?
Kollmer: Ja, aber dafür sind wir ja da; es gehört auch zu unserem Selbstverständnis, unsere Bürgerinnen und Bürger adäquat zu informieren und zu beraten.

BSZ: Hilft das bei der Fachkräfterekrutierung?
Kollmer: Das ist schwierig nachzuweisen. Aber gefühlt hilft es schon, weil wesentlich mehr Menschen schon einmal vom ZBFS gehört haben als vor Corona.

BSZ: Also erhalten Sie mehr Bewerbungen?
Kollmer: Naja, wir tun uns, wie andere Behörden und für das Unternehmen auch gerade schwer, Personal in ausreichender Anzahl zu gewinnen. Gerade bei den auch von der freien Wirtschaft hart umkämpften Mangelberufen ist die Situation momentan nicht ganz einfach.

BSZ: Woran liegt das?
Kollmer: Das hat vielfältige Ursachen: Zunächst der Generationswechsel und die demografische Entwicklung: es werden überproportional viele Stellen frei, es kommen weniger junge Leute nach. Gerade in den Großstädten konkurrieren wir mit der freien Wirtschaft und mit anderen, auch kommunalen Behörden, die vielleicht über flexiblere Gehaltsgefüge für die größtenteils hochqualifizierten Tätigkeitsbilder verfügen. Etwas schwer tun wir uns natürlich auch mit den sehr traditionellen Vorgaben und Verfahren zur Verbeamtung. Hier könnte auch der öffentliche Dienst deutlich flexibler werden, zumindest bei der Einstellung. Auch wenn ich ungern das „Kind mit dem Bade ausschütten“ möchte, denn der Einstellungsprozess und das Laufbahnrecht schützt natürlich auch die Qualität und die Gleichmäßigkeit im öffentlichen Dienst.

BSZ: Was könnte man vereinfachen?
Kollmer: Wenn Sie mich so direkt fragen: Eine Art Schnellspur für absolut überzeugend qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber wäre überlegenswert. Wenn ich Bewerber mit einem 1,0 Abi habe, oder jemand eine einschlägige Vorbildung hat (zum Beispiel ein Anwärter, der bereits eine Lehre als Bankkaufmann, Rechtsanwaltsgehilfe oder Programmierer absolviert hat), so könnte man sich für diesen Personenkreis ein schlankeres Auswahlverfahren in Betracht ziehen. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass wir die jungen Leute während des Bewerbungsprozesses verlieren. Der Freistaat, der landesweit wirklich gute Jobs mit durchaus konkurrenzfähiger Bezahlung zu bieten hat, könnte hier noch konkurrenzfähiger werden.

BSZ: Wieso tut man sich da so schwer? Man hat Menschen, die sich im Laufe der Ausbildung als doch nicht so gut herausstellen, doch nicht ewig an der Backe, oder?
Kollmer: Naja, so lautet vielleicht das Vorurteil. Wer sich im Bewerbungsprozedere „gut verkauft“ hat und sich im Nachhinein dann als nicht so geeignet herausstellt, wird möglicherweise wieder wechseln oder die Probezeit nicht bestehen. Außerdem gibt es durchaus verschiedene Möglichkeiten, auch innerhalb des öffentlichen Dienstes zu wechseln, oder später doch noch ohne Nachteile in die freie Wirtschaft zu gehen. Gerade heutzutage ist es auch im öffentlichen Dienst so, dass gerne gewechselt wird. Hier bietet das Beamtenrecht viele Möglichkeiten, zu wechseln, sich beurlauben zu lassen oder Außendienst zum Beispiel in der freien Wirtschaft oder bei einem Verband zu leisten. Es gibt aber ein weiteres Problem.

BSZ: Welches?
Kollmer: Es hat sich herumgesprochen, dass der Freistaat Bayern eine starke Ausbildung an seinen Verwaltungsakademien und Fachhochschulen hat. Wir bilden zum Beispiel unsere Anwärter in unserer eigenen Hochschule in Wasserburg am Inn aus. Es kommt dann immer wieder vor, dass einige dieser jungen, gut ausgebildeten Beamten in die freie Wirtschaft, oder zu anderen – selber nicht ausbildenden – öffentlichen Körperschaften gehen. So kommt es vor, dass wir Beamtinnen und Beamte ausbilden, die nach der Ausbildung in ihrer Heimatkommune anheuern.

BSZ: Sollte der Staat in solchen Fällen eine Ablöse verlangen? Schließlich hat er die Ausbildung finanziert.
Kollmer: (lacht): Ja, das wäre vielleicht keine schlechte Idee. Was im Fußball möglich ist, könnte man sich auch für den öffentlichen Dienst überlegen; zumindest gegenüber Körperschaften oder Firmen, die selbst nicht oder nicht adäquat ausbilden. Die Ablösesumme könnten wir über unser Arbeitnehmerbudget in „neue Spieler“ investieren.

BSZ: Wie viele Mitarbeitende hat das ZBFS?
Kollmer: Rund 1950 Beschäftigte. Dabei sind wir stolz auf unsere Vielfalt: 14,5 Prozent der Kolleginnen und Kollegen haben eine anerkannte Schwerbehinderung oder Gleichstellung. Rund 70 Prozent sind Frauen, 43 Prozent arbeiten in Teilzeit und 63 Prozent arbeiten teils mobil oder im Homeoffice. Gerade bei der mobilen Arbeit und dem Homeoffice haben wir eine der großzügigsten und modernsten Dienstvereinbarungen in Bayern.

BSZ: Und wie groß ist das Budget des ZBFS?
Kollmer: Im Jahr 2022 haben wir rund 5 Milliarden Euro „in die Hand genommen“. Davon entfielen 2,1 Milliarden Euro auf Familienleistungen. Davon wiederum rund 1,4 Milliarden Euro für das Bundeselterngeld, 781 Millionen Euro für das bayerische Familiengeld und 46 Millionen Euro für das bayerische Krippengeld. Den Löwenanteil vom Gesamtbudget machte aber die Administration und Schlüsselung der Grundsicherung mit über 1,7 Milliarden Euro aus. Wir verteilen hier die Leistungen des Bundes an die Kommunen. Doch mit dem Elterngeld gibt es ein Problem.

BSZ: Welches?
Kollmer: Der Bund präsentiert laufend Änderungen, die Rechtslage wird immer komplexer. Die Gestaltungsmöglichkeiten für die Eltern freilich auch. So werden derzeit die Einkommensgrenzen für Geburten zum 1. April 2024 und zum 1. April 2025 angepasst. Auch die Familienstartzeit wird modifiziert und die Partnermonate angepasst. Die Übergangsfristen sind viel zu kurz. Digitalisierung wird oftmals nicht durchgängig mitgedacht. Das alles erfordert enormen Verwaltungsaufwand.

BSZ: So sieht also Entbürokratisierung aus.
Kollmer: Ja, wenn man es wie Sie ironisch betrachtet. Aber wir setzen auf die Digitalisierung. Das ZBFS war von Anfang an auf diesem Gebiet in gewisser Weise ein Pionier. Denn seit 2005 haben wir kontinuierlich daran gearbeitet, sodass Ende 2022 im Ergebnis alle Leistungen des ZBFS online beantragt werden können. Auch kurzfristig eingeführte Leistungen wie das zunächst einmalig gezahlte Gehörlosengeld oder Leistungen aus dem bayerischen Energiesperren-Schutzschirm können online beantragt werden. Gut 28 Prozent der Anträge auf Schwerbehinderung wurden im Jahr 2023 online gestellt. Damit ist unsere Landesbehörde im Bundesvergleich unter den TOP 3.

BSZ: Wird irgendwann die künstliche Intelligenz alles im ZBFS übernehmen?
Kollmer: Sicherlich nicht (lacht): Ich vertraue zunächst auf die normale Intelligenz. Aber ganz im Ernst: Die KI wird uns mittel- bis langfristig hoffentlich schon helfen. Ein Beispiel. Bei der Beurteilung von Anträgen auf Anerkennung einer Schwerbehinderung muss immer menschliche Erfahrung mit einfließen. Klar kann künstliche Intelligenz angesichts der rund 257 000 Erst- und Neufeststellungsanträge, die wir letztes Jahr bekommen haben, helfen, zum Beispiel im Sinne einer Vorprüfung, Aussortierung und Vorbereitung einer Entscheidung. Das letzte Wort muss der Sachbearbeiter nach Rücksprache mit unserem Ärztlichen Dienst haben. Ein Mensch tut sich im Zweifelsfall vermutlich auch künftig leichter als die KI, zum Beispiel ein Gefälligkeitsgutachten zweifelsfrei zu identifizieren. Aber: Wir könnten natürlich durch sorgfältig ausgeklügelte Programme durchaus die Durchlaufgeschwindigkeit zugunsten der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere bei Standardfällen massiv erhöhen. Solche Programme und die Volldigitalisierung werden aber durchaus ihren Preis haben, darüber müssen wir uns im Klaren sein. Es wäre aber ein gut investiertes Geld.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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