Wirtschaft

Die CSU war Speerspitze beim überstürzten Atomausstieg und Bremser beim Ausbau der erneuerbaren Energien. (Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand)

03.01.2023

"Die These vom Wandel durch Handel ist krachend gescheitert "

Ex-Staatskanzleichef Rudolf Hanisch hat ein Buch über die CSU in der Krise verfasst

BSZ: Herr Hanisch, Sie erzählen in Ihrem Buch „Die CSU in der Krise“ die Geschichte vom Aufstieg und der Krise der Partei anhand der großen Krisen seit 1945. Was hat Sie bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Rudolf Hanisch: Die Erfahrungen aus der Zeit als Politikreferent bei Franz Josef Strauß und als Chef der Staatskanzlei bei Edmund Stoiber. Sie haben mich dazu geführt, mich mit den Grundsätzen und Maßnahmen zu befassen,  mit denen die CSU in den Krisen der Vergangenheit erfolgreich war. Franz Josef Strauß hat mit einer sozial geführten Marktwirtschaft den Grund gelegt für den erfolgreichen Wiederaufbau Bayerns nach dem Zweiten Weltkrieg, Alfons Goppel war Vorreiter einer nachhaltigen Politik  in der Ölkrise der 70er Jahre und mit Strauß Begründer einer eigenständigen bayerischen Energieversorgung, Edmund Stoiber hat den Freistaat in der Wirtschaftskrise nach der Deutschen Einheit mit einer umfassenden Zukunftsoffensive für die Globalisierung fit gemacht. Eine am Gemeinwohl orientierte Politik einer Volkspartei hat nicht nur zu hohen Wahlerfolgen, sondern auch wesentlich zum wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Wohlstand des Freistaats beigetragen. Doch in den Krisen unseres Jahrhunderts ist die Partei selbst in die größte Krise ihrer Geschichte geraten infolge einer zunehmend neoliberal und populistisch geprägten Politik.

BSZ: Was verstehen Sie unter neoliberaler Politik?
Hanisch: Ihr Leitbild ist das Konstrukt eines „homo oeconomicus“, für den nur Profit und Effizienz zählen. Der höchste Wert ist der Markt, nicht der Mensch. Ihr längst widerlegter Wunderglaube ist, dass auch die Armen reicher werden, wenn die Reichen reicher werden. Die unsichtbare Hand des Marktes sorge dafür, dass der Reichtum Weniger auf alle „herabtröpfelt“ oder „überschwappt“, wie es die Theorien von  „Trickle Down“ und „Spill-Over“ behaupten. Doch neoliberale Politik war nicht nur unfähig, Krisen zu bewältigen. Sie ist die Mutter aller Krisen unseres Jahrhunderts, beginnend mit der von Profitgier ausgelösten Finanz- und Wirtschaftskrise. Die Flüchtlingskrise ist Ergebnis von  postkolonialer Ausbeutung. Die Klimakrise hat ihre Wurzel im hemmungslosen Ausplündern von Natur und Umwelt ohne Rücksicht auf kommende Generationen. Auch die Pandemie beruht auf Eingriffen in Naturräume. Die Energiekrise wurde durch die Gier nach billigem fossilem Brennstoff verursacht. Die wachsende soziale Ungleichheit wurde als notwendiger Kollateralschaden der Profite verstanden. Putins Krieg ist der letzte Sargnagel des Neoliberalismus.

BSZ: Was sind die Ausprägungen neoliberaler Politik?
Hanisch: Ihre wichtigsten Auswirkungen sind die Ökonomisierung und Privatisierung der Daseinsvorsorge, vor allem der Gesundheits- und  Energieversorgung, die Deregulierung von Rahmenbedingungen des Staates zugunsten eines Laissez Faire, die Vernachlässigung von Staatsaufgaben durch die rigorose Schwarze Null und Steuersenkungen für Reiche, die Abwertung der Arbeit zum bloßen Kosten- und Effizienzfaktor, der Egoismus der Eigenverantwortung ohne Mitverantwortung, der Mythos vom Wandel durch Handel und die Naivität im Umgang mit  autoritären Staaten wie Russland und China.

BSZ: Wie hat sich das praktisch ausgewirkt?
Hanisch: In der Merkel-Regierung wurde auf verfassungswidrige Sanktionen für Arbeitslose und Steuergeschenke für Großerben hingewirkt und mit einem fatalen Rechtsruck die AfD erst groß gemacht. Die Digitalisierung durch Kupferkabel anstelle von Glasfaser wurde ebenso verschleppt wie die Verkehrswende durch langes Festhalten am Verbrennungsmotor und die Vernachlässigung der Bahn. In Bayern wurde die Tarifflucht der Arbeitgeber befördert. Die Abschaffung des Tariftreuegesetzes, das Edmund Stoiber eingeführt hatte,  ist ebenso bundesweit einmalig wie die Verweigerung eines Anspruchs auf Weiterbildung für Arbeitnehmer. Klima- und Umweltschutz wurden durch das faktische Verbot von Windkraft behindert und die Massentierhaltung, die schon Franz Josef Strauß eindämmen wollte, ebenso weiter ausgebaut wie die Spitzenstellung beim Flächenverbrauch. Auch einer der größten Niedriglohn-Sektoren und die höchste Altersarmut in Deutschland gehören zum neoliberalen Erbe. Doch die gravierendsten Fehler betrafen die Energiepolitik.

BSZ: Was waren die Fehler in der Energiepolitik?
Hanisch: Die CSU war Speerspitze beim überstürzten Atomausstieg und Bremser beim Ausbau der erneuerbaren Energien. Bayern wurde zum Hauptland der Abhängigkeit von Putins Gas. Trotz aller erkennbaren Warnungen wurde eine Lebensader der Wirtschaft nach der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine zu 90 Prozent in die Hände eines imperialistischen Gewaltherrschers gelegt. Die These vom Wandel durch Handel ist krachend gescheitert mit fatalen Folgen für ganz Europa, besonders auch für Bayern.

BSZ: Wo sehen Sie die Risiken für Bayern?
Hanisch: Eine eigenständige und kostengünstige Energieversorgung war über Jahrzehnte hinweg ein wesentlicher Standortvorteil. Für Franz Josef Strauß waren fossile Energien ein Verbrechen an der Menschheit. Kernenergie sollte, flankiert von erneuerbarer Energie, den Übergang zur Wasserstoffära sichern. In Abkehr davon ist Bayern jetzt besonders vulnerabel, weil die Produktion ein Drittel der Wertschöpfung ausmacht, deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt. Der Standort verliert an Attraktivität. Große Zukunftsinvestitionen finden zunehmend woanders statt. Die Gigafabrik für Elektroautos von Tesla wurde bei Berlin errichtet, das neue Halbleiterwerk von Intel kommt nach Magdeburg in Sachsen-Anhalt und die Batteriefabrik von Northvolt nach Husum in Schleswig-Holstein. Erste Risse zeigen sich auch beim Außenhandel, dessen Bilanz seit drei Jahren negativ ist. Und selbst in der Wissenschaft verliert Bayern an Boden. In Berlin und Baden-Württemberg gibt es jetzt jeweils vier Exzellenzuniversitäten,  in Bayern nur zwei.

BSZ: Wie kann es weitergehen?
Hanisch: Die großen Krisen der Vergangenheit hat die CSU immer auch als Chance genutzt, um ihre Politik zu erneuern. Angesichts der größten wirtschaftlichen und sozialen Herausforderung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sollte das erst recht gelten. Ein „weiter so“ würde dem Land schaden. Die CSU müsste den neoliberalen und populistischen Ballast der letzten anderthalb Jahrzehnte abwerfen und zu den Werten zurückfinden, die sie einst stark gemacht haben. Nach ihren gravierenden Fehlern in der Energie-, Klima- und Sozialpolitik wird die Kritik der Brandstifter an der Feuerwehr nicht viel nützen. Auch plakative Symbole und Parolen werden nicht helfen. Es bedarf einer raschen und kraftvollen Zukunftsagenda für sozialen Zusammenhalt, Bewahrung der Schöpfung und nachhaltige Transformation der Wirtschaft, die im Buch näher skizziert werden. Vor allem ein schneller und energischer Ausbau der erneuerbaren Energien ist neben der Behebung des Fachkräftemangels dringend geboten, um Schaden von Bayern abzuwenden.

BSZ: Was bedeutet das für die Landtagswahl in einem Jahr?
Hanisch: Die Glanzzeit der CSU ist vorbei. Erhielt sie 2003 noch über 60 Prozent der Stimmen, waren es 2008 noch 43,4 Prozent, zehn Jahre später 37,2 Prozent für den Landtag und 2021 lediglich 31,7 Prozent für den Bundestag. Das sind ihre historisch schlechtesten Werte. Erwin Huber hat die Situation als dramatisch bezeichnet.  Die nächste Wahl ist eine Schicksalswahl, nicht nur für die CSU, sondern auch für Bayern. Für den Erhalt des Wohlstands und des sozialen Friedens ist eine umgehende ökologische und soziale Transformation alternativlos. Es geht nicht nur um die Wirtschaft, sondern um die ganze Gesellschaft. Schon im Grundsatzprogramm von 1976 hat die CSU das qualitative vor das quantitative Wachstum gesetzt. Wir werden unseren Lebensstil ändern müssen, sagt jetzt Christian Bruch, Chef von Siemens Energy. Die Politik sollte so ehrlich sein, das den Bürgern zu erklären. Zu Recht nennt Theo Waigel Ehrlichkeit als Bedingung und Grundlage für Vertrauen und Glaubwürdigkeit.

BSZ: Ist die CSU am Scheideweg?
Hanisch: Ja, sicher. Sie muss sich nicht neu erfinden. Sie muss sich nur auf das Denken und Handeln besinnen, das sie in den Krisen der Vergangenheit groß gemacht hat. Sie muss wieder zu einer christlichen und sozialen Volkspartei werden, die das Gemeinwohl und den sozialen Zusammenhalt priorisiert. Markus Söder hat in der Pandemie diesen Weg gewählt, indem er auch gegen Widerstände wertorientiert und faktenbasiert gehandelt hat. Setzt er ihn fort, könnte er die Partei wieder aus ihrem Tal herausführen – wenn sie denn bereit ist, ihm auf seinem Reformkurs zu folgen. Die Alternative wäre ein „weiter so“, das den Standort dauerhaft schwächt, den rechten Rand erneut stärkt und die Zukunft unserer Kinder und Enkel verspielt. Es liegt an der CSU, ob Bayern zum Verlierer oder Gewinner der Zeitenwende wird.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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