Angesichts der Schwächen des Umlagesystems sucht die Bundesregierung nach neuen Wegen für die Altersvorsorge – etwa mit einem staatlich geförderten Aktienstartkapital für Kinder. Doch reicht das, um langfristig Vermögen aufzubauen? Und wie können neue Instrumente wie ETF-Sparpläne, Robo-Advisors oder digitale Fondsprodukte dabei helfen? Vermögensmanager Vincenzo Micoli erklärt, was Einsteiger beachten sollten – und warum ausgerechnet vorsichtige Anleger oft erfolgreicher sind.
BSZ: Herr Micoli, die Bundesregierung will Aktien stärker in die Altersvorsorge einbauen, z. B. durch ein sogenanntes Kinderstartgeld. Ist das eine gute Idee – oder gibt oder gäbe es bessere Wege, um langfristig Vermögen aufzubauen?
Vito Micoli: Für mich steht außer Frage, dass eine Reform des Umlageverfahrens längst überfällig ist. Dabei gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Grundsätzlich denkbar wäre ein System, bei dem von Geburt an bis zum Renteneintritt kontinuierlich auf ein individuelles Vorsorgekonto eingezahlt wird – nicht als Umlage, sondern als echtes Sparguthaben. Staatliche und/oder elterliche Beiträge in der Kindheit, wie zum Beispiel 100 Euro monatlich bis zum 30. Lebensjahr, könnten bei langfristiger Verzinsung ein solides Fundament schaffen. Dies deckt sich in etwa mit dem Konzept des „Kinderstartgelds“, bei dem der Staat monatlich einen Betrag etwa in einen Aktienfonds oder andere ähnliche Langzeitprodukte für Kinder einzahlt. Aufgrund der langen Laufzeit gilt es, dabei vor allem die Verwaltung und das aktive Management richtig zu organisieren, damit Menschen im Alter die volle Wirkung ihres Investments ausschöpfen können. Außerdem empfiehlt es sich, während des Erwerbslebens regelmäßig Beiträge zu ergänzen, damit sich daraus ein Kapitalstock ergibt, aus dem bei Renteneintritt eine monatliche Auszahlung erfolgen kann.
BSZ: In Deutschland dürfen Abgeordnete keine Aktiengeschäfte mit Insiderwissen tätigen – in den USA passiert das aber immer wieder. Wie bewerten Sie diese Unterschiede, und wie wirkt sich das auf das Vertrauen der Anleger aus?
Micoli: Ein strenger und konsequenter Umgang mit Insiderhandel kann das Vertrauen der Anleger in die Märkte erhöhen. Kommt es häufiger zu Verstößen oder werden diese nur halbherzig verfolgt, kann das den Eindruck erwecken, dass nicht alle Markteilnehmender nach den gleichen Regeln spielen – vor allem bei Kleinanlegern. Kurz gesagt: Die Unterschiede in der Regulierung und deren Durchsetzung beeinflussen maßgeblich, wie sicher sich Anleger fühlen und wie sehr sie den Märkten vertrauen. Letztlich gilt: Nur wer die Regeln durchsetzt, schafft ein Umfeld, in dem sich alle Anleger sicher fühlen – und bereit sind, langfristig zu investieren.
BSZ: Immer mehr Menschen kümmern sich selbst um ihre Altersvorsorge. Was hat sich dadurch am Finanzmarkt und im Anlegerverhalten verändert?
Micoli: Durch die zunehmende Selbstverantwortung bei der Altersvorsorge investieren mehr Menschen eigenständig in Aktien, Fonds, ETFs oder andere Finanzprodukte. Das führt zu einer stärkeren Diversifizierung und erhöht die Liquidität an den Märkten. Viele Privatanleger suchen dabei nach kostengünstigen, transparenten und nachhaltigen Anlagemöglichkeiten, was die Produktpalette beeinflusst und die Nachfrage nach ETFs und nachhaltigen Fonds steigen lässt. Zur Entscheidungsfindung informieren sich Anleger verstärkt selbst und nutzen Online-Ressourcen, Finanzblogs und Apps. Gleichzeitig führt das zu neuen Herausforderungen – etwa FOMO, Panikverkäufen oder zu starker Orientierung an Social Media. Finanzbildung wird deshalb immer wichtiger. Auf Anbieterseite werden Finanzprodukte immer digitaler, um Privatanleger besser abzuholen und ihnen den Zugang zu erleichtern.
BSZ: Für langfristigen Vermögensaufbau gibt es viele Produkte. Welche eignen sich aus Ihrer Sicht besonders gut für Einsteiger – zum Beispiel ETF-Sparpläne, Fonds oder Aktien einzelner Unternehmen?
Micoli: Bevor geeignete Produkte ausgewählt werden, braucht es eine individuelle Strategie, die auf den eigenen Fokus – zum Beispiel Altersvorsorge – langfristig ausgelegt ist. So lassen sich bei Kursstürzen an der Börse Panikverkäufe vermeiden. Für Einsteiger eignen sich dabei in der Regel Produkte, die einfach, transparent und risikoarm sind. Wer langfristig Vermögen aufbauen möchte, für den sind ETF-Sparpläne, Anleihen und diversifizierte Fonds eine gute Option. Sie sind kostengünstig, transparent und breit gestreut – zum Beispiel über einen Welt-Index wie den MSCI-World. Durch Big Data, KI und Algorithmus-gestützte agile Anlagestrategien gibt es mittlerweile aber auch ganz neu strukturierte Finanzprodukte – etwa Anleihen und Investmentfonds mit fixer Verzinsung, Gewinnbeteiligung und vergleichsweise hohen Renditen. Ein Investment in Einzelaktien ist in der Regel mit einem höheren Risiko verbunden. Daher sollten sich Anleger im Vorfeld gut informieren und hier nur einen kleinen Teil ihres Portfolios investieren und etwa Aktien ins Auge fassen, die in den letzten Jahren konstant Dividenden bezahlt haben. Das ist ein Indikator für Stabilität.
BSZ: Digitale Angebote wie Robo-Advisors oder Apps machen es einfacher, Geld anzulegen. Können solche Plattformen dabei helfen, finanzielle Hürden abzubauen – vor allem für junge Menschen?
Micoli: Tatsächlich kann die Digitalisierung von Finanzprodukten dazu beitragen, die Finanzmärkte zu demokratisieren, das heißt, den Zugang zu Investitionen und damit verbundenen Dienstleistungen für möglichst viele Menschen zu erleichtern, unabhängig von Einkommen, Bildung oder Wohnort. Viele Plattformen sind benutzerfreundlich gestaltet, sodass auch Einsteiger ohne viel Vorwissen und mit einem niedrigen Startkapital in verschiedene Anlageklassen investieren können, ohne eine Bankfiliale besuchen zu müssen. Das ist vor allem für junge Menschen attraktiv. Algorithmus-basierte Systeme wie Robo-Advisors erstellen individuelle Anlagestrategien für sie und kümmern sich um die Verwaltung. Und viele Apps bieten darüber hinaus Tools, um die eigene finanzielle Situation im Blick zu behalten und Sparziele zu setzen. Allerdings birgt die digitale Transformation auch Risiken. Es gibt immer wieder Fake-Plattformen und unseriöse Anbieter. Um sich zu schützen, sollten Anleger sich im Vorfeld immer genau über das Unternehmen sowie dessen Produkte informieren. Zudem gilt es, hier die Kosten im Auge zu behalten, denn das Ziel solcher Plattformen sind möglichst viele Trades, also Käufe und Verkäufe von Positionen. Die Anbieter verdienen ihr Geld nicht an der Rendite ihrer Kunden, sondern am Tradevolumen.
"Vorsicht vor Fake-Plattformen und unseriöse Anbieter"
BSZ: Frauen investieren oft vorsichtiger – erzielen aber laut Studien langfristig bessere Ergebnisse. Was können alle Anlegerinnen und Anleger daraus lernen?
Micoli: Vorsicht bedeutet in diesem Fall nicht, gar nicht zu investieren, sondern klug zu diversifizieren, Risiken zu streuen, langfristig orientiert zu handeln und sich nicht von kurzfristigen Trends leiten zu lassen. Was viele Menschen unterschätzen, ist die Rolle, die Emotionen bei Investments spielen. Frauen beweisen laut den erwähnten Studien in der Regel Geduld, halten Schwankungen aus und verkaufen nicht in Panik. Das zahlt sich aus. Jede Finanzentscheidung braucht einen kühlen Kopf, eine nachhaltige Strategie und Disziplin. Von der vorsichtigen Herangehensweise und der langfristigen Perspektive können letztendlich alle Anleger und Anlegerinnen profitieren. Geduld, kluge Risikoabwägung und das Vermeiden von emotionalen Entscheidungen sind ein Schlüssel für nachhaltigen Erfolg an den Finanzmärkten.
BSZ: Viele investieren vor allem in deutsche Firmen, weil sie diese kennen. Warum kann es trotzdem wichtig sein, weltweit zu streuen – gerade bei langfristigem Sparen?
Micoli: Eine Investition in deutsche Unternehmen ist nicht grundsätzlich falsch. Häufig geht der Kauf von Einzelaktien mit der Identifikation oder mit der Teilhabe am Entwicklungsprozess eines Unternehmens oder mit einer bestimmten Begeisterung für ein Produkt oder eine Branche einher. Ein solcher Home Bias – also der Hang, nur ins eigene Land zu investieren, sollte allerdings eine Faustregel auf dem Finanzmarkt nicht aushebeln: Diversifikation, also die Aufteilung und Streuung von Kapital auf verschiedene Vermögenswerte, reduziert das Risiko. Wer nur in deutsche Firmen investiert, macht sich dadurch stark von der Wirtschaft und den Entwicklungen in Deutschland abhängig. Weltweite Streuung hilft, das Risiko zu verringern, und es eröffnet Zugang zu Unternehmen und Branchen, die in Deutschland möglicherweise weniger vertreten sind. Das kann das Wachstumspotenzial erhöhen und langfristig bessere Renditen bringen. (Interview: David Lohmann)
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