Wirtschaft

Stromspeicher wie dieser stehen auch in Wunsiedel. (Foto: Siemens)

09.02.2018

Ein Haus der Energiezukunft

Kooperation der Stadtwerke Wunsiedel mit Siemens beim Thema Ökostromversorgung

Eine Art Menetekel, wohin Dezentralität führen kann: Das ist für die Stadtwerke Wunsiedel (SWW) ihr neues „Haus der Energiezukunft“. Anfang Februar wurde es in einem ehemaligen Supermarkt eröffnet. Laut SWW werden hier neue Energietechniken präsentiert, Besucher empfangen und in den Wunsiedler Weg eingeführt. Danach können sie den Weg in die Autarkie am Objekt besichtigen.
„Manche Dinge scheinen in der Energiepolitik zementiert.“ Wunsiedels 1. Bürgermeister Karl-Willi Beck (CSU) wundert sich immer wieder, was verantwortliche Landes- und Bundespolitiker vom Stapel lassen, wenn sie über die sogenannte „Energiewende“ sprechen. Er nahm dabei auch seine eigene Partei nicht aus.

Strompreise steigen weiter


Eine dieser zementierten Dinge ist der beschlossene Ausbau zweier Höchstspannungs-Gleichstromtrassen (HGÜ) von Nord- nach Süddeutschland. „Die Investitionen in die HGÜ-Trassen bezahlen wir alle. Deshalb wird der Strompreis weiter steigen“, sagt Beck voraus. Zumal diese Leitungen nun vor allem unterirdisch verlegt werden sollen, was den Preis weiter in die Höhe treibt.

Bayerns Wirtschafts- und Energiestaatssekretär Franz Josef Pschierer (CSU) stellt diese Verbuddelung der Leitungen als Verdienst von Horst Seehofer (CSU) heraus. Auch wenn der bayerische Ministerpräsident zunächst im Bundesrat gegen die unterirdische Verlegung gestimmt hatte: Nach massiven Bürgerprotesten im Freistaat war Seehofer plötzlich der stärkste Befürworter des Eingrabens.
Doch sind diese HGÜ und die anderen im Netzentwicklungsplan des Bundes festgelegten Höchstspannungsleitungen in dieser Menge überhaupt notwendig? Dies wird von Bayerns Staatsregierung nicht mehr hinterfragt. Auch Pschierer trat bei der Energiezukunftshaus-Eröffnung wieder als strikter Ausbau-Befürworter auf. Er war als Vertreter von Ministerin Ilse Aigner in die Fichtelgebirgshauptstadt gekommen – Aigner war bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin unabkömmlich gewesen.

Labor für die Öffentlichkeit


„Die richtigen Partner“ habe die SWW für dieses „Labor für die breite Öffentlichkeit“ gefunden, befand Franz Josef Pschierer: Allen voran der Weltkonzern Siemens, dazu Bayernwerk, E.ON, BayWa RE sowie die Universität Bayreuth sind hier gemeinsam mit der Stadt engagiert.

Der „Stadtwerke-Award 2016“ als beispielhafte Energiekommune war für Bürgermeister Beck „der Turbolader“. Der habe gerade die Industrie auf eine mögliche Partnerschaft aufmerksam gemacht. Im „Haus der Energiezukunft“ wird nun deutlich: „Wunsiedel könnte den optimalen Weg zur energieautarken Gemeinde aufzeigen: Zuerst auf Basis von Realdaten das technisch sinnvollste System abbilden, um dafür den regulatorischen Rahmen dafür zu schaffen.“ Karl-Willi Beck schlug der „großen“ Politik in Bund und Bayern vor, den vor 14 Jahren begonnenen „Wunsiedler Weg“ zum Beispiel für die Energiewende mittlerer Kommunen zu machen.

Schwarzer Bürgermeister mit grünem Herz


Beck bezeichnet sich selbst als „Schwarzer Bürgermeister mit Grünem Herz“. Doch Vater dieses Plans, Wunsiedel in allen Bereichen energieautark zu machen, ist nicht er, sondern sein Stadtwerke-Vorstand Marco Krasser. Der habe ihn kurz nach beider Amtsantritt auf den „Wunsiedler Weg“ gebracht und diesen dann entschlossen vorangetrieben. Schritt für Schritt die örtliche Versorgung mit Strom, Wärme und für Verkehr auf Eigenerzeugung umzustellen, das wurde seither mehrfach ausgezeichnet, nicht zuletzt eben vom Verband Kommunaler Unternehmen VKU mit dem Stadtwerke-Award.

„Für uns ist Wunsiedel Pionierstadt. Und Energie-Unabhängigkeit als Ziel wäre an vielen Orten sinnvoll“, meinte zwar auch Politiker Pschierer. Doch ansonsten war er sich nicht überall mit „dem innovativen Bürgermeister, wir brauchen mehr Becks“ einig. Und gerade die anderen Festredner einer Diskussionsrunde stimmten nicht mit des Landespolitikers erkennbarer Leitungsausbau- und Euphorie überein.

Ob Siemens-Vorstand Roland Busch, Bayernwerk-Vorstand Raimund Gotzel, Wolfgang Noetel aus der Geschäftsführung von E.ON-Energie, BayWa-Chef Matthias Taft oder Josef Hasler vom VKU Bayern: Alle plädierten für eine CO2-Bepreisung, um die Erneuerbaren Energien nebst notwendiger Speicher voranzubringen.

Er sei „überhaupt nicht zufrieden mit dem Fortschritt der Energiewende: Wir verabschieden uns vom lange vereinbarten 2020-Ziel für CO2-Reduktion“, schimpfte beispielsweise Hasler, im Hauptberuf Vorstandschef beim Nürnberger Stadt-Konzern N-ERGIE. Und er forderte „ein Reset bei Übertragungsnetzen. Wir können davon noch so viele bauen: Wenn kein Wind in Sachsen-Anhalt bläst, kommt auch von dort nichts zu uns.“ Selbst Siemens-Vorstand Busch sprang ihm bei: „Ich stimme voll überein, in den Verteilnetzen fehlt am meisten, die sind für die Energiewende nicht gemacht. Deshalb muss hier schnell etwas passieren.“

Nicht aus Jux und Tollerei


Nur Politiker Pschierer stellte die Forderung, „die Kosten im Auge behalten“, in den Vordergrund. „Wir machen doch nicht aus Jux und Tollerei zwei Trassen quer durch Deutschland. Oben haben Sie Strom aus Wind, unten haben Sie Bedarf“, widersprach er den Praktikern.

Gleichzeitig nannte er Siemens und Co. „die richtigen Partner“ für dieses „Labor für die breite Öffentlichkeit. Die Daten kommen von den Stadtwerken, Siemens sorgt für die Auswertung“, fasste der Politiker das zusammen, was nun sogar im Internet zugänglich sein wird. Pschierer fand – wie die anderen Diskutanten auch – den Strom-Speicherausbau äußerst wichtig. Mit dem „Startschuss für Siestorage“ hätte an diesem Tag auch eine Lithium-Ionen-Batterie des Münchner Elektronikkonzerns mit 4,8 Megawatt Leistungsabgabe in Betrieb gehen sollen, „das derzeit größte Batteriespeichersystem im kommunalen Verbund“. Doch der Winter hatte dem Bau einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Akku wiederum wird – wenn er demnächst in Betrieb geht – das Verteilnetz im Fichtelgebirge stärken.

Verteilnetze sind wichtig


Verteilnetze sind nach Meinung der industriellen Podiumsteilnehmer ohnehin einer der wichtigsten Schlüssel zur Energiezukunft und zu wenig beachtet. Genauso wie es bei der Kopplung der Energiesektoren oder für die Netzregelung regulatorische Vorgaben der Politik brauche, meinten die Diskutanten. Bayernwerk-Vorstand Gotzel gab deshalb Bundesnetzagentur-Beiratsmitglied Pschierer mit auf den Weg: „Unsere Bitte: der Agentur Bescheid sagen, dass sie nicht nur Kupfer (Übertragungsnetze; Anmerkung der Redaktion), sondern auch Digitalisierung finanzieren sollen.“

Einen großen Schritt hin zur Digitalisierung haben Siemens und die SWW an diesem Feier-Tag aber schon vorab gemacht: Der Weltkonzern und die Werke der Fichtelgebirgshauptstadt haben ihre Energiebeziehungen auf ein völlig neues Niveau gehoben. Laut Siemens-Vorstand Roland Busch ist „Wunsiedel das erste Stadtwerk, das an MindSphere angeschlossen wird“. Die per MindSphere vernetzten Daten des Wunsiedler Energiewegs können nun weltweit eingesehen werden.
(Heinz Wraneschitz)

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