Vor dem Bundesverfassungsgericht erstritt der Anwalt und Ex-CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler, dass der Bundestag künftig die Verhältnismäßigkeit des Kaufs von Staatsan- leihen durch die Europäische Zentralbank feststellen muss. Für Anhänger einer finanzpolitischen Souverenität der Nationalstaaten war es ein Triumph, für Befürworter einer fortgesetzten Kompetenzverlagerung nach Brüssel eine Niederlage. Für Gauweiler ist der Kampf noch nicht vorbei.
BSZ Herr Gauweiler, Sie haben einen jahrelangen Kampf vor Gericht geführt – haben Sie zwischenzeitlich mal daran gedacht aufzugeben?
Peter Gauweiler Nein. So ein Prozess ist wie ein großes Bild das man sich vornimmt zu malen oder wie ein Wandteppich. Man ist nie richtig fertig.
BSZ Der Kampf geht also weiter?
Gauweiler Wenn Sie besagtes Bild nach einem Abstand von ein oder zwei Jahren betrachten, dann spüren Sie auch das Verlangen, nochmals zum Pinsel zu greifen und etwas daran zu verändern.
BSZ Hat es Sie enttäuscht, dass Sie aus der Politik in Deutschland so wenig Unterstützung bekommen haben?
Gauweiler Naja, ich habe immer wieder auch Ermutigungen bekommen. Ausweislich vieler Umfragen, hielt es die große Mehrheit der Deutschen für richtig, dass wir unserem Land auf juristische Weise diesen Weg ins Freie offengehalten haben. Und es haben sich ja auch renommierteste Juristen positiv geäußert. Meine CSU hat natürlich auf Ihre Koalitionspartner im Bund Rücksicht nehmen müssen. Trotzdem haben meine Parteifreunde in übergroßer Mehrheit erklärt, dass sie das, was ich da ins Werk setzte, mit Sympathie beobachten. Ein wenig erinnert das Ganze aus meiner Sicht an die Klage Bayerns gegen den Grundlagenvertrag (über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR).
BSZ Inwiefern?
Gauweiler Da hieß es auch immer wieder: Muss das sein? Aber am Ende war es das durch diese Klage erstrittene Urteil des Bundesverfassungsgerichts, durch das die gesamtdeutsche Staatsangehörigkeit gewahrt blieb und die DDR-Flüchtlinge in den Botschaften der alten Bundesrepublik rechtlich ungehindert Zuflucht finden konnten.
BSZ Trotzdem: Die Kanzlerin hat auf das Urteil sehr reserviert reagiert und aus Brüssel kam – auch von deutschen EU-Parlamentariern – heftige Schelte.
Gauweiler Die Kanzlerin hat zumindest erklärt, dass es jetzt eine neue Situation gibt und dass die Bundesregierung das Urteil beachten wird. Das ist zwar eine Selbstverständlichkeit, aber ich fand es trotzdem gut, dass sie es war, die das ausgesprochen hat. Und was die Brüsseler Politiker betrifft: Ich habe auch von dort Glückwünsche bekommen. Ganz besonders gefreut hat mich der Glückwunsch unserer Europaabgeordneten Angelika Niebler.
BSZ Kurz nach dem Urteil wurde Ex-Bundesverfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle heftig angegriffen vom Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof, Peter Meier-Beck: Das Urteil sei „ein Angriff auf die EU als rechtlich verfasste Gemeinschaft europäischer Demokratien“. Tut Ihnen Voßkuhle leid?
Gauweiler Nein. Der Voßkuhle taugt was und ein Gerichtspräsident, der was taugt, wird von solchen Attacken überhaupt nicht berührt, das erreicht den nicht.
BSZ Was bedeutet die Aussage des Bundesverfassungsgerichts (BVG) eigentlich, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Anleihekauf willkürlich ist?
Gauweiler Es geht hier um Grundprinzipien der parlamentarischen Demokratie. Bleibt es richtig, dass die vornehmste und wichtigste Aufgabe eines nationalen Parlaments die Verantwortung über die Staatsfinanzen ist? Wenn das bejaht wird, dann beantwortet sich alles Weitere wie von selbst: Wenn die Bundesrepublik über die Bundesbank als größter Anteilseignerin der Europäischen Zentralbank (EZB) verpflichtet wird, in Billionenhöhe für Ankäufe zu haften, dann kann das nach der grundgesetzlichen Ordnung nicht ohne Zustimmung des Bundestags geschehen. Alles andere ist absolut ausgeschlossen! Um diesen Streit dreht sich alles. Das ist ähnlich wie bei dem Sachverhalt, dass der Bundestag entscheiden muss über Krieg und Frieden und ob die Bundeswehr in Auslandseinsätze geschickt wird. Das kann für Deutschland als Ganzes nicht durch einen Ministerialdirektor im Verteidigungsministerium entschieden werden oder durch einen Bundeswehrgeneral.
BSZ Die BVG-Richter haben jetzt den Bundestag verpflichtet, einen Nachweis einzuholen, dass der Anleihekauf der EZB verhältnismäßig war. Wie könnte der aussehen?
Gauweiler Die EZB muss ausweislich der Leitsätze dieser Entscheidung die Auswirkungen erfassen, die ihr Ankaufprogramm für Staatsanleihen für die Staatsverschuldung, Sparguthaben, Altersvorsorge, Immobilienpreise und das Überleben wirtschaftlich nicht überlebensfähiger Unternehmen hat. Und sie muss dies – im Rahmen einer wertenden Gesamtbetrachtung – zu dem von ihr angestrebten erreichbaren währungspolitischen Ziel in Beziehung setzen.
BSZ Und wer hat hier in der deutschen Politik seinen Job nicht richtig gemacht?
Gauweiler Bundestag und Bundesregierung haben es hingenommen, dass EZB-Chef Mario Draghi und Co. ihr Ermessen immer weiter ausgedehnt haben über die Grenzen der Verträge hinaus. Während der Bundestag seine Haushaltsberatungen mit weitreichenden Überlegungen verbindet, die den Abgeordneten zur Verfügung gestellt werden, wo und wie die Schuldenaufnahme mit volkswirtschaftlichen Auswirkungen dargestellt wird. Das nennt man Abwägung. Und diese Abwägung gab es seitens der EZB nach außen hin nur in Form einer Pressemitteilung – wenn überhaupt. Das genügt den rechtsstaatlichen Anforderungen nicht. Zunächst hatte der EuGH in einem früheren Urteil sogar selbst festgestellt, dass diese Abwägungs- und Begründungspflichten auch für die EZB gelten. Aber davon wollen die neuen Richter des EuGH heute nichts mehr wissen. Ohne jede nachvollziehbare Begründung. Das nennt man Willkür. Dass auch EZB-Banker unabhängig in ihren Entscheidungen sind, heißt nicht, sie wären auch unabhängig von den geschlossenen europäischen Verträgen, vom Rechtsstaat und von der Demokratie ihrer Mitgliedsländer.
"Christine Lagarde hat das gesamte EU-Rechtssystem diskreditiert"
BSZ Diese martialische Strategie „Whatever it takes!“ war ja auch sehr verknüpft mit der Person des früheren EZB-Präsidenten Draghi. Wird es unter seiner Nachfolgerin Christine Lagarde etwas sanfter zugehen?
Gauweiler Frau Lagarde ist leider in unangenehmster Erinnerung durch ihren Ausspruch als französische Finanzministerin, man – gemeint war: sie selbst – habe sämtliche EU-Regeln und Vertragsvorschriften gebrochen. Damit hatte sie das gesamte EU-Rechtssystem diskreditiert.
BSZ Draghis Politik hat ja besonders auf deutsche Kleinsparer negative Auswirkungen, auch deren Lebensversicherungen sind kaum noch was wert. Wieso ehrt die Bundesregierung einen solchen Mann auch noch?
Gauweiler Diese Vorgänge sprechen alle für sich. Es war ja schon irritierend, dass ausgerechnet der Europa-Chef von Goldman-Sachs – unter deren maßgeblicher Beratung Griechenland falsche Angaben lieferte, um überhaupt in die Euro-Zone aufgenommen zu werden –, mit der Position des Präsidenten der EZB betraut wurde. Das hat der Europäischen Zentralbank nicht wirklich gutgetan.
BSZ Ist das geplante 750-Milliarden-Euro-Förderprogramm der EU nicht eine Fortsetzung des Anleihekaufs unter neuem Etikett?
Gauweiler Kann man so nicht sagen. Natürlich stellt sich die Frage, ob man die Krise allein mit dem Bereitstellen von virtuellem Geld wird beheben können. Aber der konkrete Geldeinsatz dieses Programms setzt immerhin eine parlamentarische Mitbestimmung in den EU-Ländern voraus, zumindest ist das so geplant. Dann wären zumindest die Verantwortlichen klar benannt und man kann die Betreffenden bei der nächsten Wahl abwählen oder bestätigen. Ob das Unternehmen aber überhaupt die erforderliche Zustimmungen der EU-Länder bekommt, ist ja noch gar nicht klar. Österreich, Niederlande, Dänemark und Schweden. haben sich ja bereits eher ablehnend geäußert.
(Interview: André Paul)
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