Wirtschaft

08.07.2011

Gutachter fordern konzentrierten Kraftakt

Studie „Strukturschwache ländliche Räume in Bayern – Strategien zur Wirtschafts- und Kommunalentwicklung“

Eine neue wissenschaftliche Studie zu den Entwicklungsperspektiven der strukturschwachen ländlichen Räume in Bayern legte die Landtagsfraktion der Freien Wähler jetzt vor. Die Gutachter des Ingenieur-, Planungs- und Beratungsunternehmens Grontmij zeigen im Rahmen der Studie zehn effektive Strategien für eine bessere Wirtschafts- und Kommunalentwicklung im Freistaat auf. Ihr Fazit: Bayern müsse zügig handeln, einen klaren Fokus auf die strukturschwachen Regionen legen, integrierter handeln und dürfe vor allem strukturschwache Regionen nicht abschreiben. Vielmehr müsse ihnen eine echte Entwicklungsperspektive eröffnet werden. Durch die enge Zusammenarbeit mit Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, erhielten die Ergebnisse wertvolle Ergänzungen aus wissenschaftlicher und gesellschaftspolitischer Sicht.
„Es muss rasch gegengesteuert, investiert, Schwerpunkte gesetzt und regionale Leistungszentren weiterentwickelt werden. Die politischen Leitplanken sind dabei mehr regionale Eigenverantwortung, konsequente Aufgabenverlagerung nach unten nach dem Subsidiaritätsprinzip und eine Aufgabenbündelung der Belange des ländlichen Raums innerhalb der Staatsregierung“, so Alexander Muthmann, wirtschaftspolitischer Sprecher der Freien Wähler im Landtag. „Bisher ist das nicht gelungen und von gleichwertigen Lebensbedingungen in Bayern kann derzeit keine Rede sein.“ Drei Gebietskategorien
Eigens für die Studie haben die Experten ein Indikatorenset entwickelt, anhand dessen der so genannte strukturschwache Raum visualisiert werden kann. Auf Grundlage dieser Daten wurde eine Landkarte Bayerns erstellt, auf der drei Gebietskategorien zu erkennen sind:
1. „Räume mit flächiger Strukturschwäche“
2. „Mischräume mit strukturschwachen Kleinräumen in engmaschiger Verflechtung“ und
3. „Strukturstarke Räume mit schwächeren Inselräumen“.
Die Gutachter empfehlen, das Augenmerk der politischen Fördermaßnahmen auf die ersten beiden Kategorien zu konzentrieren.
Die zehn Strategien lauten wie folgt:
Strategie 1: Raumentwicklung auf veränderte Anforderungen der strukturschwachen ländlichen Räume ausrichten.
Die Gutachter empfehlen, die derzeit fünf Kategorien ländlicher Räume auf zukünftig drei Raum-kategorien zu vereinfachen. Die entwickelte Raumkarte soll als Diskussionsvorschlag für die künftige Raumeinteilung im Landesentwicklungsprogramm herangezogen werden. Das System der Zentralen Orte soll beibehalten, aber vereinfacht und auf ein dreistufiges System mit überregionalen, regionalen und ländlichen Leistungszentren reduziert werden.
Strategie 2: Kommunale Verantwortung im regionalen Kontext stärken.
Die Regionalplanung ist nach Ansicht der Gutachter unersetzlich und soll in der bisherigen Form kommunaler Trägerschaft verbleiben. Allerdings sollten die Regionalen Planungsverbände mehr Gestaltungsaufgaben übertragen bekommen. Zum Beispiel die Energiekonzeption oder auch eine Fördermittelsteuerung. Hierzu müssten die Planungsverbände durch deutlich gestärkte Personal- und Mittelausstattung professionalisiert werden.
Strategie 3: Eigenständige Regionalentwicklung forcieren und in die offizielle Landesentwicklung einbinden.
Regionalentwicklung in all ihren unterschiedlichen Formen – so das Gutachten – ist ein entscheidendes Instrument für die Zukunftssicherung. Sie muss als Instrument im Landesplanungsgesetz verankert werden. Träger müssten dabei Teilregionen sein, bei denen sich Kommunen mit dem gemeinsamen Ziel zusammenschließen, die Region eigenständig weiterzuentwickeln. Auf diesem Weg können besonders innovative Entwicklungsideen von Teilregionen verstärkt unterstützt werden.
Strategie 4: Fachbezogene Kooperation zwischen den Gemeinden aktiv fördern.
Die Gutachter fordern eine Vertiefung der interkommunalen Zusammenarbeit. Es soll ein System geschaffen werden, in welchem die Vorteile und die Attraktivität interkommunaler Kooperationen deutlich wahrnehmbar sind. Der Staat müsse Anreize schaffen, um diese Form fachbezogener Kooperationen attraktiv zu gestalten, zum Beispiel durch einen Fördersatzbonus. Politische Entscheidungsträger sollen durch regelmäßige Qualifizierungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen die Notwendigkeit interkommunaler Kooperationen verinnerlichen.
Strategie 5: Fach-, Finanz- und Förderpolitik gezielter auf die Probleme der strukturschwachen ländlichen Räume ausrichten.
Die demografische Entwicklung sagt starke Abwanderungen aus ganzen Landesteilen voraus. Deswegen rät das Gutachten, gerade diese Tendenzen in Förderprogrammen und Richtlinien stärker zu berücksichtigen, um bereits benachteiligten Regionen nicht weiter zu schaden. Beispielhaft sollte dies durch einen „Integrations-check“ für Fördermaßnahmen erfolgen.
Strategie 6: Von der Konkurrenz zur Kooperation: Neuen Stil der Zusammenarbeit in Politik und Verwaltung schaffen.
Die Entwicklung strukturschwacher Räume bedarf nach Meinung der Gutachter endlich eines konzentrierten Kraftakts. Es müsse Schluss sein mit Ressortegoismen, Bürokratie und Antragsdschungel. Stattdessen ist eine Aufgabenbündelung für die Belange strukturschwacher Gebiete vonnöten, um eine Politik aus einem Guss umsetzen zu können. Es bedarf mehr Kooperation und klarer Zuständigkeiten der Entscheidungsgremien.
Arbeit in die Region bringen
Strategie 7: Vom Problemraum zum Zukunftsraum – teilraumspezifische Netzwerke und Impulsgeber aus dem Wissens- und Hightechbereich fördern.
Arbeit soll in die Region gebracht werden – und nicht die Menschen auf immer längeren Wegen zu ihrer Arbeit. Daher müsse von staatlicher Seite aus mehr für die Ansiedlung zukunftsfähiger Unternehmen in den Regionen getan werden, so die Experten. Eingeschlagene Wege, wie die Campus-Ausgründungen in ländlichen Regionen, müssen dringend weiter forciert werden, um die Menschen durch attraktive Arbeit in den Regionen halten zu können. Initiativen wie „Bayern Innovativ“ sollten gezielt durch „Bayern regional-innovativ“ ergänzt werden.
Strategie 8: Arbeit möglich machen – umfassende Betreuungsstrukturen anbieten.
Die Gutachter sind überzeugt: Menschen bleiben gerne in ihrer Heimat, wenn das „Gesamtpaket“ stimmt – und hierzu gehört dringend ein flexibles Betreuungssystem für Kinder. Dies wiederum ermöglicht Eltern, ihrer Arbeit wohnortnah nachzugehen. Flexible Betreuungssysteme – beispielsweise durch interbetriebliche Kinderbetreuungssysteme – dürfen aber nicht vergessen lassen: Auch ältere Bürger brauchen bedarfsgerechte Angebote.
Strategie 9: Arbeit in der Region – Arbeitskräftepotenzial heben und Arbeitskräfte gewinnen.
Der strukturschwache Raum muss sich nicht verstecken, so das Gutachten. Ganz im Gegenteil. Offensiv sollten sich diese Räume vermarkten und dabei unterstützt werden. Denn nur, wenn die mannigfaltigen Vorteile eines Lebens außerhalb urbaner Boomzentren kommuniziert werden, können auch neue interessierte Arbeitskräfte und junge Menschen hierfür begeistert werden. Die Gutachter schlagen hierzu zum Beispiel ein gezieltes Marketing für das Leben und Arbeiten in den ländlichen Räumen vor.
Strategie 10: Ehrenamt im strukturschwachen ländlichen Raum stärken, nutzen und anerkennen.
Bürger engagieren sich gerne – gerade in ihrer Heimat. Die Gutachter weisen darauf hin, dieses Potenzial nicht verkommen zu lassen, sondern die Menschen bei ihrer Arbeit am Gemeinwesen und beim Engagement in bürgerschaftlichen Organisationsformen zu unterstützen. Das ist gelebte Bürgerbeteiligung, denn die Menschen vor Ort wissen sehr gut, was ihre Heimat voranbringt. Die Tätigkeiten des Ehrenamts müssten daher beispielsweise verstärkt Netzwerkplattformen nutzen können.
(Friedrich H. Hettler)
Vollständige Studie:
http://www.fw-landtag.de/archiv/2011/gutachten-laendlicher-raum/

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