Das Gerangel um die Handelsgruppe Tengelmann sorgt für Diskussionen auch in Bayern, denn das Unternehmen ist im Freistaat stark vertreten. Was würden Schließungen seiner Filialen bedeuten? In Fachkreisen macht man sich da keine großen Sorgen. Bayern gilt als ausgesprochen attraktiv für den Handel – und Nachfolger scheinen bereits in den Startlöchern zu stehen.
Bayern ist Erivan Haub ans Herz gewachsen. Als der 84 Jahre alte Patriarch des Handelsunternehmens Tengelmann vor ein paar Jahren zusammen mit seiner ganzen Familie einen neuen Markt am Starnberger See eröffnete, rief er seinem Sohn Georg Haub zu: „Kümmere dich ernsthaft um Bayern und berichte deinem Vater, dass du dabei Fortschritte machst.“ Georg Haub aber befasst sich längst mit anderen Aktivitäten als der familiären Handelsgruppe. Für die ist heute sein Bruder Karl-Erivan Haub verantwortlich – und der schließt eine Zerschlagung seines Unternehmens mit dem Verkauf der Filialen nicht aus.
Eine Reaktion auf das Gerangel um die geplante Fusion mit dem Konkurrenten Edeka, die erst von den Kartellbehörden untersagt, dann von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) genehmigt und von den Konkurrenten Rewe und Markant per Gerichtsbeschluss doch wieder gestoppt worden ist. Nun ist erst mal alles offen. Eine Unsicherheitsphase gerade auch in Bayern: Diese Region ist für Tengelmann bisher eine der wichtigsten, auf sie hat sich die Eigentümerfamilie Haub gerade in der jüngeren Zeit besonders konzentriert.
Keine Filialschließungen in Bayern geplant
Tatsächlich sind denkbare Filialschließungen bisher in Nordrhein-Westfalen bekannt geworden. „Es ist auffällig“, sagt Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern: „Auf dieser Liste steht kein einziger Standort in Bayern.“ Dennoch wird viel gerätselt, ob die Familie Haub – oder ihre Nachfolger – bei einem Rückzug aus dem Handelsgeschäft in anderen Regionen wirklich am Freistaat festhalten würden.
Was aber würden Stilllegungen der bayerischen Filialen bedeuten? Immerhin verfügt Tengelmann nach Angaben des Handelsverbands im bayerischen Lebensmittelhandel über 2,6 Prozent Marktanteil, in Oberbayern über 6,9 Prozent und in der Stadt München sogar über 14 Prozent.
Lange Leerstände würde es wohl nicht geben. Davon zeigt sich jedenfalls die Expertin Sabine Schulz überzeugt. Sie ist beim namhaften Immobilienberatungs- und Maklerunternehmen Colliers bundesweit für die Einzelhandels-Vermietung verantwortlich. Tengelmann verfüge vielfach über sehr gute Standorte, sagt sie, die auch für andere Handelsunternehmen, von Lebensmittel- bis zu Drogeriemärkten, interessant seien – so beispielsweise für Edeka, falls es mit der Fusion doch noch klappen sollte. Aber auch etliche andere Anbieter sind immer wieder an attraktiven Standorten interessiert, von Kaufland, Rewe, Real, Netto und Globus über Aldi und Lidl bis zu Drogeriemärkten wie Rossmann oder dm und Spezialanbietern wie beispielsweise Biomärkten oder Lekkerland.
„Wir erwarten keine großen Leerstände“
Deshalb steht für die Immobilienkennerin fest: „Wir erwarten keine großen Leerstände.“ Das gelte auch für die kleineren Flächen, so etwa in Münchner Stadtteilen. Schwieriger sei die Nachfolgesituation bei der vor vier Jahren stillgelegten Drogeriekette Schlecker gewesen, deren Flächen oft nicht so attraktiv, meist nicht in Toplagen und zudem teils schwierig geschnitten gewesen seien.
Auch für Orte mit mehreren Tengelmann-Filialen rechnet Sabine Schulz nicht mit Leerständen an den betreffenden Standorten. In Tutzing (Landkreis Starnberg) beispielsweise gibt es gleich drei Tengelmann-Märkte, außerdem die Discounter Aldi und Lidl, aber keinen anderen Supermarkt etwa von Edeka oder Rewe. „Das könnte auch für Edeka interessant sein“, meint die Expertin, „aber auch für Filialisten oder Drogeriemärkte, die in diesem Bereich Flächen suchen.“ Für kleinere Geschäfte dagegen seien solche Märkte – mit mehreren hundert Quadratmetern Verkaufsfläche – in der Regel viel zu groß. Man könne aber davon ausgehen, dass für die meisten leer werdenden Tengelmann-Märkte neue Nutzungen gefunden werden könnten.
Diese positive Einschätzung gilt aber vor allem für Bayern. Sabine Schulz verweist auf ein Nord-Süd-Gefälle in Deutschland: „Im Norden gibt es mehr Leerstände, da ist es eher schwierig.“ In Bayern dagegen sei „die Welt immer noch in Ordnung“, wohl begünstigt durch den anhaltenden Magnetismus dieser Region auf viele Menschen, durch die vergleichsweise gute wirtschaftliche Entwicklung und die geringe Arbeitslosigkeit.
Rückzug vom Land
Das konnte allerdings auch in Bayern den Rückzug des Handels aus eher ländlich geprägten Regionen nicht verhindern. In vielen kleineren Orten und Dörfern gibt es kaum noch Einkaufsmöglichkeiten. Mancherorts bleiben noch einige ältere Betreiber mit ihren Läden aktiv, doch wenn sie aufhören, finden sich vielfach keine Nachfolger. Heute gibt es in Bayern nach Angaben des Handelsverbands noch rund 9000 Lebensmittelgeschäfte, im Jahr 2003 waren es 11.850 gewesen. Der Rückgang hat vor allem im ländlichen Raum stattgefunden. Dennoch bestätigt auch Verbandssprecher Ohlmann: „Bayern, Oberbayern und München sind sehr attraktiv für viele Unternehmen.“ Er beobachtet zudem im bayerischen Handel einen nicht so ausgeprägten Konkurrenzkampf wie etwa in Nordrhein-Westfalen. Zudem seien die Verkaufsflächen in Bayern kleiner.
An der positiven Situation in Bayern ändern nach Darstellung von Sabine Schulz auch die verhältnismäßig hohen Mieten nichts. Die Nachfrage in Städten wie Augsburg, Nürnberg und Regensburg sei gut, gerade in den besten Lagen – im Fachjargon „1A-Lagen“, auf die sich Colliers konzentriert. Aber auch für Mittel- und Kleinstädte im Süden interessieren sich die großen Handelsunternehmen nach den Beobachtungen der Immobilienexperten. Das gelte beispielsweise für Bad Tölz: „Wir haben da einige Anfragen vorliegen“, sagt Sabine Schulz. Bei Anbietern verschiedener Branchen, von Lebensmitteln über Bekleidung bis zu Accessoires, ist die oberbayerische Stadt nach ihren Angaben begehrt – und das, obwohl es dort noch nicht mal einen S-Bahn-Anschluss gibt. Auch etliche Filialisten signalisierten Interesse.
Attraktive Marktstraße in Bad Tölz
Das bedeutet allerdings nicht, schränkt sie ein, dass in so einer Gegend quasi jeder leerstehende Raum nachhaltig neu nachvermietet werden kann. Nach den Erfahrungen der Expertin spielen bei der Entscheidung des Handels für einen Standort immer mehrere Faktoren eine Rolle – von der Lage über die Gestaltung des jeweiligen Ortes bis zum Einzugsbereich. Auch in Garmisch-Partenkirchen seien viele Filialisten vertreten. Das Interesse an Bad Tölz zum Beispiel dürfte mit der Attraktivität der dortigen Marktstraße und der Fußgängerzone zusammenhängen, wie Sabine Schulz meint, aber auch die bundesweite Bekanntheit durch die Fernsehserie „Der Bulle von Tölz“ wirkt sich dabei nach ihrer Überzeugung aus. Je nach Standort kann die Situation sehr unterschiedlich sein. Obwohl gerade die Region südlich von München als sehr begünstigt gilt, fallen zurzeit beispielsweise in Wolfratshausen relativ viele Leerstände auf.
Unabhängig von den jeweiligen Regionen befindet sich der Handel mitten in einem recht tiefgreifenden Wandel. Das gilt zum Beispiel für eine ansprechende Warenpräsentation, auf die vielfach erkennbar mehr Wert als bisher gelegt wird – sogar bei Discountern. „Auch Aldi rüstet jetzt auf“, sagt Ohlmann. Der Discounter hat kürzlich ein Zukunftskonzept vorgestellt, das sein Erscheinungsbild deutlich ändern dürfte. Gleichzeitig sorgen neue Aktivitäten von Online-Anbietern in der Branche für erhebliche Aufmerksamkeit, so besonders die Pläne des Internet-Kaufhauses Amazon, einen Lieferdienst für frische Lebensmittel namens „Fresh“ aufzubauen, zunächst in Berlin, bald wahrscheinlich auch in München.
Nach Meinung von Sabine Schulz müssen sich die Betreiber stationärer Geschäfte dennoch nicht um ihre Zukunftsfähigkeit sorgen – sofern sie selbst das Internet nicht vernachlässigen und entsprechende Angebote aufbauen. Zwar haben die Internet-Verkäufe bereits zu deutlichen Veränderungen geführt, so beispielsweise geringerem Flächenbedarf von Buchläden. Doch viele Handelsunternehmen ergänzen nach den Beobachtungen der Immobilienexpertin die beiden Zweige stationär und online gut. Das gelte auch für viele Filialisten, die zusätzlich zu ihren Läden Internet-Shops aufgebaut haben. Edeka zum Beispiel bietet seinen Kunden neuerdings Bestellungen per Internet an, die sie dann in einer Box rund um die Uhr abholen können. „Wenn ein Kunde in mein Geschäft kommt und ich das gewünschte Produkt nicht dort, sondern nur online vorrätig habe“, sagt Sabine Schulz, „dann schicke ich ihn doch nicht wieder weg!“
Online-Einkaufen für ältere Kunden
Gerade auch für ältere Kunden, die sich mit Einkäufen zu Fuß schwer tun, können Bestellungen per Internet eine interessante Variante sein, meint Verbandssprecher Ohlmann: „Alle großen Lebensmittelhändler testen auch Online-Verkäufe.“ Die beste Lösung liege darin, Komplettangebote für die Kunden aufzubauen. Sogar der umgekehrte Weg wird zurzeit immer mehr gewählt: Online-Händler eröffnen stationäre Läden. Mit ihrem per Internet erworbenen Wissen haben sie nach Einschätzung von Sabine Schulz durchaus Vorteile: „Sie sehen genau, wo ihre Kunden sitzen.“
(Lorenz Goslich)
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