Wirtschaft

In Osterspai bei Koblenz ist die niedrige Lärmschutzwand schon im Einsatz. (Foto: Helmut Polster, bildtext.de)

01.12.2017

Hilfe für die Bamberger Innenstadt

Innovationspreis für niedrigen Bahnlärmschutz: Mit 70 Zentimetern den Lärm halbieren

Die niedrige Schallschutzwand KD Plus hat die Jury des Innovationspreises Intelligenz für Verkehr und Logistik überzeugt. Deshalb gab es von der bayerischen Bahntechnik-Initiative CNA für das Bauunternehmen Kassecker aus Waldsassen (Landkreis Tirschenreuth) den Sonderpreis 2017 für herausragende unternehmerische oder wissenschaftliche Leistungen. Die maximal 74 Zentimeter hohe Eisenbahn-Schallschutzwand kann zum Beispiel in Bamberg sinnvoll eingesetzt werden. Erst am vergangenen Dienstagabend befasste sich der Bamberger Stadtrat damit, wie die ICE-Strecke mitten durch die Stadt aussehen soll. Ohne Ergebnis. Was die Ratsmitglieder aber auf keinen Fall wollen: Riesige Lärmschutzwände, wie sie einst die Bahn geplant hatte.

Drei Dezibel (dB) weniger: Klingt nach nicht viel, ist aber eine Halbierung des Lärms. Kein Wunder also, dass die CNA-Juroren jubelten: „Das neuartige Lärmschutzsystem bietet gegenüber herkömmlichen Systemen optimierten Schallschutz bei minimaler Sichtbarriere.“

Fünf Jahre hat es gedauert, bis die Genehmigungsbehörde Eisenbahnbundesamt (EBA) das Signal auf Grün gestellt hat für „KD Plus“ aus Waldsassen. Vor allem aus gekantetem Stahlblech und integrierten Dämmmatten besteht das System. Sein Geheimnis ist aber wohl vor allem der Montageort: Direkt neben den Gleisen wird die Wand aufgestellt, in einem Winkel von 70 Grad, also mit leichter Neigung nach innen. So wird der stärkste Lärm von Zügen abgefangen: Der entsteht nämlich an den Rädern. Normale, bis zu sechs Meter hohe Lärmschutzwände stehen üblicherweise mehrere Meter vom Gleis weg.

Nicht ganz neu


Ganz neu ist KD Plus nicht: Wie schon erwähnt, dauerte die Genehmigung fünf Jahre. Davor, zwischen 2009 und 2011 lief das vom Bund mit 100 Millionen Euro geförderte Projekt „Innovative Maßnahmen zum Erschütterungs-schutz am Fahrweg“ bei der Bahn. Dort wurde das Kassecker-System unter anderem in Osterspai bei Koblenz am Rhein getestet und für ziemlich gut befunden. Beschrieben wird es als „geneigte Stahlkassette auf Stahlbetonfundament und Kragarm“.

Nun, fast sechs Jahre später und neben der CNA-Auszeichnung mit der „Zulassung für niedrige Schallschutzwände“ des EBA vom 23. März 2016 in der Tasche, ist Kassecker-Prokurist Josef Andritzky auf der Suche nach Kunden. Die Welterbestadt Bamberg, gerade mal 126 Kilometer von Waldsassen entfernt, hat seit Jahrzehnten einen wunden Punkt: Das „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8“ (VDE8). Ohne Halt sollen bald ICE-Züge mitten durch die Domstadt rasen, damit die Fahrgäste in weniger als vier Stunden von München nach Berlin gelangen. Besonders laut aber sind die vielen Güterzüge, die durch Bamberg fahren.

Deshalb spielt bei VDE8 der Lärmschutz eine wichtige Rolle. Manche sagen: eher eine gewaltige. Denn vielmeterhohe Wände sollen die Häuser rechts und links der Strecke vor Krach schützen. Die Dimensionen: Für Kritiker, ob aus Bevölkerung oder der Lokalpolitik ein Unding. Sogar der Status „Weltkulturerbe“ scheint gefährdet, wenn die Sichtbeziehung zwischen Gartenstadt und Domberg weg wäre.

Guter Zeitpunkt


Josef Andritzky ist gerade da-bei, „an die Stadt Bamberg zu schreiben“ und seinen niedrigen Lärmschutz anzupreisen. Momentan scheint ein guter Zeitpunkt. Denn „die Bahn bereitet sich auf die Wiederaufnahme des Planfeststellungsverfahrens (PFV) vor“, heißt es von Thomas Beese, dem Baureferenten der Stadt. Das PFV ruhe seit den 1990er Jahren auf aktuell „sehr informellem Sachstand. Die Bahn kommt immer wieder mit anderen Höhen der Lärmschutzwände“, sagt der Beamte.

Zwar sind die zeitweise bahnseits genannten sechs Meter hohen Wände offenbar gestrichen. Aber zwischen drei und vier Meter hoch werden sie wohl werden, bestätigt Frank Kniestedt, der Sprecher von VDE8. Dennoch: Das niedrige Kassecker-System lehnt er in Bausch und Bogen ab. „Zwei bis drei dB Dämpfung bringen nichts. Und die Wände wären nicht geeignet, weil die EBA-Zulassung nur für 160 km/h erteilt ist.“ Dabei hat der Gutachter im Auftrag des EBA bei den besonders lauten Güterzügen mit 100 km/h eine Dämpfung von 3,9 bis 6,4 dB(A) festgestellt: Dies könnte Bambergs Innenstadtbewohnern wohl stark helfen.

Maximal 160 km/h


Andritzky kontert außerdem: „Die Beschränkung auf 160 km/h ergibt sich aus den schon gebauten Wänden. Sprich: die Statik ist für 160 km/h gerechnet. Sollten sich höhere Anforderungen ergeben, kann dies bei der statischen Berechnung des tatsächlichen Projektes berücksichtigt werden.“ Doch auch das wischt der Bahnsprecher von der Strecke: Dieses „Argument ist aus Sicht eines Außenstehenden nachvollziehbar. Aber eine Anwenderfreigabe durch die DB Netz AG für die entsprechende Geschwindigkeit, hier 230 km/h, zu erwirken, scheint aus heutigem Kenntnisstand eher weniger realistisch.“

Alldieweil setzen sowohl die Stadt Bamberg als auch der Hersteller auf den Faktor Zeit. Weil „niedrigere Wände Ziel der Stadtgesellschaft“ seien, müsse die Bahn sich bewegen, um bei der Planfeststellung voranzukommen, meint Baureferent Beese. Und in dieser Zeit könne auch die neue Genehmigung eingeholt werden, ergänzt Andritzky. Zumal Bahnsprecher Kniestedt grundsätzlich bestätigt: „Wir sind noch für alles offen.“ Und: Bamberg werde ohnehin die letzte Baustelle beim Bahnprojekt VDE8.
(Heinz Wraneschitz)

Kommentare (2)

  1. ven am 05.12.2017
    Ich möchte darauf hinweisen, dass Wände ähnlicher Bauart in gleichem Abstand zum Gleis und gleicher Höhe über Schienenoberkante zum ersten male in Weilheim/Obb. und dann in einem weiteren Versuch in Asbach-Bäumenheim in einem vom Umweltbundesamt geförderten Forschungsprojekt untersucht wurden, bei gleichen Ergebnissen. In Weilheim wurde die Wand ca. 1996 errichtet und in Asbach-Bäumenheim ca. 1994.
    Ein Schelm wer sich böses dabei denkt, dass fast 20 Jahre später das noch einmal unter der Flagge des EBA entwickelt wird und jetzt plötzlich sogar noch gepriesen wird.
  2. Hans-Guck-in-die-Stadt am 02.12.2017
    Niedrigere Lärmschutzwände, jetzt wo die Güterzüge mit neuen Bremsen ohnehin leiser werden? Geht gar nicht, an den hohen Betonwänden verdienen zu viele zu gut dran. Demnächst vermutlich auch noch die Monitorhersteller und Videoproduzenten, die den Fahrgästen dann Filme vorspielen, wie die Gegend hinter den Betonwänden so aussieht ...
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