Für Sebastian Schönauer vom Bund Naturschutz Bayern (BN) ist kleine Wasserkraft „mit Hauptverursacher des globalen Artensterbens“. Dafür führt er eine Studie des WWF aus dem Jahre 2021 an, laut der „Süßwasserfischarten um 84 Prozent zurückgegangen sind. Deren Lebensräume sind zurückgegangen, weil sie im Fluss keine Ausweichmöglichkeit haben.“ Schönauer, beim BN und bei der Mutterorganisation BUND als Wasserfachmann geschätzt, ist nach eigener Aussage Teil einer „weltweiten Bewegung, die die Nachhaltigkeit der kleinen Wasserkraft infrage stellt. Die wird fälschlicherweise immer noch als regenerative Energie gesehen.“
Schönauer war vor Kurzem einer der Protagonist*innen des Pressegesprächs „Grüne Wasserkraft – Irrweg beim Klimaschutz und in der internationalen Umweltpolitik?“. Eingeladen hatte die Arbeitsgruppe Wasser im Forum Umwelt & Entwicklung mit Sitz in Berlin; der BN-Mann ist darin Mitglied. Doch während er über die Schäden herzog, die durch kleine Wasserkraftwerke ausgelöst würden, bekommt man angesichts der verteilten Unterlagen das Gefühl: Eigentlich sind es besonders die großen Staudämme überall in der Welt, gegen die sich das Forum vor allem richtet.
Gegensätzliche Meinung
Denn auch das an diesem Tag vorgestellte Positionspapier „Wasserkraft – Irrweg für Klimaschutz und Umweltpolitik?“ kritisiert vor allem Ideen wie Wasserstoff für eine grüne Verkehrswende in riesigen Wasserkraftwerken in Afrika produzieren zu lassen.
Eine völlig gegensätzliche Meinung zur Hydroenergie hat der Wasserkraftverband Mitteldeutschland (WKVM). In ihm sind Betreiber kleinerer Wasserkraftwerke vereint. Durch ein juristisches Gutachten über den neu formulierten Paragraf 2 im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) sieht der Verband sogar gute Chancen, mit dem Aus- und Neubau solcher Kleinanlagen noch mehr zur CO2-freien Stromerzeugung hierzulande beitragen zu können.
Um über das vom ihm beauftragte Rechtsgutachten an die in Energiefragen tätige Leipziger Rechtsanwaltsgesellschaft Prometheus mit dem Titel „Potenzielle Auswirkungen des Paragraf 2 EEG auf den Ausbau der Wasserkraftnutzung“ zu informieren, hatte der WKVM ebenfalls die Presse eingeladen.
Das nämlich hat Richters Hoffnung weiter verstärkt, es könne gelingen, die Kleinwasserkraft weiter auszubauen. In besagtem Paragraf 2 des aktuellen EEG 2023 nämlich wurde der „vorrangige Belang“ der erneuerbaren Energien eingeführt. Das sei zwar „kein Freifahrtschein“, hob Christian Falke in der PK hervor, einer der Studienautoren.
Klimaschutz ist Grundrecht
Doch für den Fachanwalt für Verwaltungsrecht steht nach den Grundsatzentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVG der letzten beiden Jahre fest: „Klimaschutz ist Grundrecht. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen darf nicht irgendwann kommen, sondern jetzt. Hierfür schafft Paragraf 2 EEG Durchschlagskraft.“
Bislang hätten die zuständigen Behörden die Erneuerung von WKW eher ausgebremst, indem sie Fischaufstiege oder Aalrohre auch bei bestehenden Anlagen forderten. Nun aber, so Falke, hätte bei der baurechtlichen Genehmigung von Erneuerbare-Energie-Kraftwerken die Energie Vorrang bei der Abwägung. Der Fachanwalt machte deutlich: „Gewässerökologie ist nicht nur Fisch“. Das sogenannte Bewirtschaftungsermessen müsse sich in Richtung der erneuerbaren Energien – und damit konkret der Wasserkraft – verschieben. Denn die schüfe „Belange mit Art. 20aGG vergleichbarem verfassungsrechtlichem Rang“, steht im Gutachten zu lesen.
Selbstverständlich sei laut Falke auch bei WKW „ein angemessener Ausgleich zwischen den Schutzgütern zu schaffen. Aber jetzt ist eine Veränderung durch das überwiegende öffentliche Interesse begründet.“ Künftig gelte bei WKW-Bauanträgen nicht mehr wie bisher ein Verbesserungsgebot, sondern ein Verschlechterungsverbot.
Weg mit Pseudoargumenten
Weil bisher angenommen wurde, neue oder erweiterte Anlagen würden das Gewässer verschlechtern, forderte der Jurist konkret von der sächsischen Regierung: Die vor gut einem Jahrzehnt auf Grund des Paragraf 35 Abs. 3 im Wasserhaushaltsgesetz WHG erstellte Inventur der Wasserkraftpotenziale im Freistaat müsse „neu bewertet werden. Das liegt auf der Hand. Denn dank Paragraf 2 EEG gilt die damalige Rechtslage nicht mehr. Jetzt heißt es: Im Zweifel Vorfahrt für erneuerbare Energien“, also auch WKW. Der WKVM versteht darunter ohnehin vor allem die kleineren. Denn anders als die im Wesentlichen ausgenutzten Wasserkraftpotenziale an großen Flüssen oder Kanälen ist bei denen noch einiges zu holen, da ist sich Martin Richter, der Präsident des Verbands, sicher. Konkret rechnete er vor: „Im mitteldeutschen Raum sind 170 Megawatt (MW) installiert. Und wir haben allein hier ein hohes Potenzial zum Ausbau: 86 MW brächten einen jährlichen Mehrertrag von 387 GWh Grünstrom. Damit wäre es möglich, die Gas- und Ölheizungen von 80 000 Einfamilienhäusern durch Wärmepumpen zu ersetzen und rein erneuerbar zu versorgen.“
Auch Hans-Josef Fell lobt die im Sommer 2022 in Paragraf 2 EEG eingebaute Ergänzung. Dort steht: EEG-Anlagen „liegen im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist, sollen die erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführenden Schutzgüterabwägungen eingebracht werden.“
Fell, im Jahre 2000 Bundestagsabgeordneter der Grünen, gilt neben dem inzwischen verstorbenen Hermann Scheer (SPD) als „Hauptvater“ des EEG. Für ihn „gehört die Wasserkraft von Anfang an zu den erneuerbaren Energien“, und auch das „überragende öffentliche Interesse“ an ihnen, wie er in der Online-PK des Verbands klarstellte. Natürlich „dürfen Fische nicht in Wasserkraftwerken (WKW) verenden. Doch neue Anlagentechnik wie Wasserschnecken ist fischdurchgängig und lässt sogar Leistungserhöhungen bestehender Standorte zu“, so der Unterfranke Fell.
Verbandspräsident Richter forderte deshalb: „Weg mit Pseudoargumenten gegen WKW.“ Erreichen will er das durch Sensibilisierung und Schulung der Beamten in den Behörden, von Ministerien bis zu Wasserwirtschaftsämtern. Anwalt Falke gab aber zu: „Das müssen die Menschen in den Behörden erst einmal verinnerlichen.“ Und das wohl nicht nur in Sachsen. Denn deutschlandweit gebe es 200 000 Querbauwerke. Davon seien zwar nicht alle für Wasserkraft geeignet, deren Energiepotenzial aber sei kaum bekannt oder bewusst. Credo: So unterschiedlich kann die Sicht auf dasselbe Thema sein.
(Heinz Wraneschitz)
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