Wirtschaft

Wegen mangelnder Auftrittsmöglichkeiten durch Corona ist der Absatz von Trommelstöcken eingebrochen. (Foto: dpa/Hendrik Schmidt)

08.02.2021

Musikwinkel aus dem Takt

Corona bedroht Handwerk und Kulturerbe

Auf den Taktstock eines Dirigenten achtet der Konzertbesucher kaum, für einige Handwerker im vogtländischen Musikwinkel jedoch ist er eine Passion. Kurz, lang, klassisch aus Holz gefertigt, aus leichtem Fiberglas oder aus langlebigem Carbon kann er sein. Für die Griffe eigneten sich Holz oder Kork, erklärt Nina Jacob. Und perfekt in der Hand sollte er liegen, mit einem ausgeklügelten Balancepunkt, ergänzt die Marketingmitarbeiterin der Firma Rohema in Markneukirchen. 30.000 Taktstöcke verlassen jährlich die Manufaktur, die seit 1888 auf diese musikalischen Accessoires spezialisiert ist und von Maik Hellinger in der fünften Generation als Familienunternehmen geführt wird.

Dazu kommen über 200.000 Paar Trommelstöcke pro Jahr. Auch hier habe jeder Musiker seine Vorlieben. "Einige sind durch einen speziellen Kern leiser, mit anderen kann der Musiker durch einen besonderen Halt schneller spielen", erläutert die Expertin. Sprunghaft angestiegen sei der Umsatz bei Rohema ab 2018, auch in den Jahren davor gab es ein kontinuierliches Wachstum in dem Unternehmen - nach eigenen Angaben Europas größter Hersteller für Trommelstöcke. "Das hat die Entscheidung zu unserer Großinvestition ausgelöst." Für 2,3 Millionen Euro baute Rohema eine neue Halle in Markneukirchen, die auf 2200 Quadratmetern mehr Platz und neue Maschinen ermöglicht. Voriges Jahr, mitten in der Corona-Krise, war Einweihung.

Doch der Mut zu Investitionen könnte im vogtländischen Musikwinkel spürbar nachlassen, befürchtet Steffen Meinel als Obermeister der Innung des Vogtländischen Musikinstrumentenhandwerks Markneukirchen. Denn die Corona-Krise hat Folgen auch für dieses traditionsreiche Handwerk. "Die Werkstätten sind unterschiedlich betroffen. Aber wir leiden und fühlen uns nicht gehört." Von einem Umsatzrückgang von bis zu 70 Prozent in einigen Betrieben spricht Meinel und sieht das immaterielle Kulturerbe des Vogtländischen Musikinstrumentenbaus gefährdet. Sollten einzelne der 120 Betriebe rund um Markneukirchen und Klingenthal aufgeben, hätte das Folgen für die gesamte Branche, warnt er.

Kurze Wege

Die Handwerker und auch die Zuliefererbetriebe für einzelne Instrumententeile liegen laut Meinel alle in einem Umkreis von 20 Kilometern. "Die kurzen Wege und das Zusammenspiel hier vor Ort machen unsere Qualität möglich. Sollten aus diesem Zahnrad einzelne Elemente herausbrechen, betrifft das uns alle."

Seit 2014 steht der Vogtländische Musikinstrumentenbau in Markneukirchen und Umgebung auf der Bundesliste für das immaterielle Weltkulturerbe der Unesco. Die Gründe für die Schwierigkeiten seien vor allem im besonderen Kundenkontakt zu suchen. Meinel: "Bei vielen unserer hochpreisigen Instrumente ist es üblich, dass die Käufer diese vorher hier vor Ort spielen und ausprobieren. Das ist im Moment durch die Beschränkungen nicht möglich."
Kaum jemand wolle ein Instrument für mehrere Zehntausend Euro ohne Probe online kaufen, erklärt der Fachmann.

Ohnehin fallen Berufsmusiker als Kunden weg, weil sie kaum Auftritte haben. Andererseits habe sich die Klientel verändert. "Bei uns riefen in letzter Zeit einige Leute an, die von zuhause aus anfangen wollen, Zither zu spielen. Aber das wiegt die Verluste nicht auf", berichtet Meinel, der in seiner Firma Horst Wünsche Zupfinstrumente herstellt.

Lager sind voll

In vielen Werkstätten seien die Lager voll mit Instrumenten, die nicht zum Kunden kommen, heißt es. Denn auch der internationale Warenverkehr funktioniere im Moment schlecht. "Ich habe vor zwei Monaten eine Zither in die USA verschickt, die noch nicht ankam. Das sind wertvolle Instrumente. Der Kunde ist sauer, und ich bin es auch", beklagt Meinel. Eine finanzielle Unterstützung der meisten Handwerker scheitere an den Zukunftsängsten. "Kaum jemand möchte eine staatliche Hilfe in Form eines weiteren Kredits annehmen. Allein die Kurzarbeit funktioniert."

Die Firma Rohema kommt beim Online-Handel mit ihren Takt- und Trommelstöcken noch gut weg - sie sind leicht zu verschicken und pro Exemplar nicht so teuer. "Trotzdem fehlen auch uns die Berufsmusiker", sagt Jacob. Sie verbrauchten durch Auftritte und Proben normalerweise bis zu 200 Trommelstöcke im Jahr. Rohema beziffert den Umsatzeinbruch durch die Corona-Krise auf ungefähr 25 Prozent. Gegenwärtig seien die fast 30 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Kaum Einbußen gab es dagegen in der dritten Produktgruppe des Familienbetriebs: Rhythmusinstrumente für Kinder. Rasseln, Klanghölzer oder Schellen sind zur Beschäftigung der Kinder offensichtlich gefragt. "Auch müssen Musikschulen jetzt aus Hygienegründen für jedes Kind ein eigenes Set bereithalten."

Mit einer Investition von 2,1 Millionen Euro im Jahr 2019 steht die Jürgen Voigt Meisterwerkstatt für Metallblasinstrumente an zweiter Stelle der Großprojekte im Musikwinkel aus jüngster Zeit. Der Grund für den Gebäudeanbau und neue Technik war die gute Auftragslage, sagt Geschäftsführerin Kerstin Voigt. "Wir waren an der Kapazitätsgrenze und mussten entscheiden, ob wir investieren oder unsere Produktpalette abspecken. Dann kam die Krise, die erhebliche Kreditbelastung läuft aber weiter."

Mit einem Umsatzrückgang von vier Prozent im vergangenen Jahr ist die Blechblasinstrumentenbauerin noch zuversichtlich - und sucht nach Nischen und neuen Kundenkreisen. "Wir haben einen eigenen Werkzeugbau, können Bleche und Rohre herstellen", erzählt Voigt. "Aufträge aus anderen Branchen nehmen wir gerne an." So habe man schon für Lampenhersteller oder Oldtimer zugearbeitet.
(Katrin Mädler, dpa)

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