Wirtschaft

Hubert Aiwanger will, dass der Rohstoff Holz wieder besser genutzt wird. (Foto: dpa/Sebastian Kahnert)

13.12.2019

"Nachhaltigkeit ist keine Option, sondern notwendig"

Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) über Chancen und Verantwortung im Zeitalter des klimaplastischen Waldes

Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Hubert Aiwanger ist selbst Landwirt und Waldbesitzer und kennt verantwortungsvolles Wirtschaften mit der Ressource Natur von Kindesbeinen an. Als Wirtschafts-, Energie- und Landesentwicklungsminister ist er für der Übergang von traditionellen Wertschöpfungsketten im Freistaat hin zur Green Economy zuständig. Wir sprachen mit ihm über Stellschrauben und Perspektiven dieses Prozesses.

BSZ: Herr Aiwanger, Bayern ist deutlich industrieller geprägt als andere deutsche Standorte. Dennoch ist schon jetzt die „Grüne Branche“ drittgrößter Wirtschaftsfaktor. Kommt es mit der neuen, grünen Klimapolitik zu einem Strukturwandel?
Hubert Aiwanger: Von einer „grünen Politik“ würde ich nicht sprechen wollen, vielleicht werden jetzt einfach mehr die Dinge in den Mittelpunkt gerückt, die bisher selbstverständlich waren. Ein gutes Beispiel ist der Staatswald: Den wollen wir natürlich weiterhin wirtschaftlich nutzen, auf der anderen Seite fördern wir den generationenübergreifende Ansatz. Wir wollen mehr alte Bäume wo es sinnvoll ist. Gut vorstellbar, dass sich in 50 bis 60 Jahren eine zukünftige Nutzergeneration darüber freut. Nur nachhaltige Forstwirtschaft schafft Werte. Viele Wälder, die zu dicht stehen, sind heute Opfer der Dürre. Wir müssen also mehr durchforsten statt stilllegen. Geeignete landwirtschaftliche Grenzertragsflächen sollten auch wieder aufgeforstet werden.

BSZ: Werden die „Söhne des Berges“, wie einst Hölderlin den Wald nannte, denn in Zukunft zu einem Schlaglicht der Wirtschaftspolitik?
Aiwanger: Ja, auf alle Fälle. Bayern hat ein reiches Waldnaturerbe. Wir müssen den nachwachsenden Rohstoff Holz wieder besser nutzen. Hier steckt viel ungenutztes Potenzial. Zu Recht wird Holz immer mehr im Bauwesen nachgefragt. Als nachwachsender Rohstoff speichert es Kohlendioxid. Einheitliche gesetzliche Vorgaben zur Verwendung sind notwendig, damit nicht jedes Landratsamt das Thema anders interpretiert. Holz muss auch als Brennstoff wieder eine größere Rolle spielen.

BSZ: Wertschöpfung bei gleichzeitigem Erhalt der Schutzfunktionen des Waldes, bedarf es dazu Staatsforste?
Aiwanger: Gerade in Zeiten der Nullzins-Politik ist Wald für viele ein Anlageprojekt geworden. Mit der Hoffnung auf eine hohe Rendite hat der Privatwald nicht nur für die Rohholzversorgung eine große Bedeutung. Einen gesunden Wald aufzubauen und zu erhalten ist aber für die meisten unerfahrenen Walderben eine große Herausforderung. Entsprechend intensive Beratung tut Not. Die Staatsforste müssen sich durch die Vorgaben der Politik und den Wunsch der Bürger immer wieder neu ausrichten, häufig schneller als die Bäume wachsen.

BSZ: Deutschland ist nach China und den USA der größte Exporteur von Holzprodukten. Kann Bayern nun auf mehr Arbeitsplätze durch die neue, grüne Waldwirtschaft hoffen?
Aiwanger: Ich hoffe wenigstens nicht weniger als bisher, es gibt ja immer wieder Forderungen der Grünen, Wälder stillzulegen, was ich aber als kontraproduktiv für die Stabilität der Wälder sehe. Die Technisierung der Waldarbeit nimmt immer mehr zu, was auch sinnvoll ist. Die Arbeit im Wald ist körperlich sehr anstrengend und gefährlich, gutes Personal ist knapp. Die Motorsäge hat weiterhin ihre Berechtigung, ebenso wie die pflegende Hand beim Freischneiden der Jungbäume. Aber bei der Ernte, gerade im schwierigen Gelände und bei Katastrophenholz, muss eigentlich die Maschine ran.

BSZ: Also keine Rückepferde?
Aiwanger: In Einzelfällen möglich, aber schon wegen der Unfallgefahr wird das die Ausnahme bleiben.

BSZ: Bei all den Problemen, zur Senkung der Nebenkosten und zur raschen Aufforstung einer vergrößerten „grünen Lunge“, wären da Plantagenwälder nicht besser geeignet als naturnahe Waldbauverfahren?
Aiwanger: Die „Holzplantage“ war ja mal forstpolitisches Ziel: möglichst einfach zu bewirtschaften und dabei gewinnträchtig. Aber sie ist in vielen Fällen auch die störanfälligste Form der Holzwirtschaft. Insofern brauchen wir stabile Wälder – gestufte baumartenreiche Wälder, nicht mehr nur eine Altersklasse. Eine vernünftige Balance.

BSZ: Ist das der geeignete Weg zum Klimawald?
Aiwanger: Es sollte nicht Klimawald gegen Wirtschaftswald ausgespielt werden. Wald war immer schon Klimawald, ohne es zu wissen. Der derzeit notwendige Anpassungsprozess setzt auf Baumarten, die möglichst hitzetolerant sind. Nachhaltigkeit heißt, der stabilste Wald ist sowohl der beste Klimawald als auch am wirtschaftlichsten.

BSZ:  Bedeutet das auch die Begründung von Zedernwäldern?
Aiwanger: In der Vergangenheit wurden auch Bäume wie die Douglasie oder Plantanen bei uns etabliert, weil es chic war, sie zu importieren und sie sich für den jeweiligen Zweck durchaus bewährt haben. Heute will sie niemand mehr missen. Wo heimische Bäume an ihre Grenzen kommen, kann man in begrenztem Umfang auch neue Baumarten einsetzen, man sollte aber bedenken, dass auch die wieder Nachteile mit sich bringen.

BSZ: Oft vergessen in der aktuellen Diskussion wird die Leuchtturmwirkung, die von der Natur ausgeht, als Magnet für Urlauber und zur Naherholung für uns in Bayern. Ist Naturschutz dabei ein Wirtschaftsfaktor?!
Aiwanger: Tourismus ist für Bayern eine Leitökonomie. Und ja, schöne Natur ist ein Produkt, das man am Ende gut vermarkten kann.

BSZ: Je grüner die Natur – desto attraktiver für den Tourismus?
Aiwanger: Genau!

BSZ: Und dennoch gibt es jede Menge Konfliktpotenzial.
Aiwanger: Jeder hat eine gewisse Vorstellung, wie ein schöner Wald aussieht – und das passt nicht immer eins zu eins zusammen. Mit dem Mountainbike durch die Jungpflanzung fahren oder mit der Stirnlampe nachts durch die Wildeinstände rennen – und damit Verbiss- und Schälschäden produzieren – das geht gar nicht. Naturgenuss mit Vernunft ist da die Devise. Nachhaltigkeit bedeutet auch mehr Verantwortung.

BSZ: Hilft der klimaplastische Wald denn auch dem Bauernhof vor Ort?
Aiwanger: Sehr stark. Ich propagiere das häufig auf Twitter oder Facebook – „Friday for Future, heuer zu Hause“ – keinen Flug in die Karibik, kein Langstreckenflug, kein Kerosin verbrauchen – sondern im heimischen Wald spazieren gehen, im hiesigen Wirtshaus einkehren, beim Landwirt direkt einkaufen – das Geld in der Region lassen. Damit werden nicht nur die Nerven geschont, sondern auch die Arbeitsplätze in der Region gestärkt.

BSZ: Das ist die Perspektive der Touristen. Was ist mit den Familienbetrieben?
Aiwanger: Ich war beim Milchbauerntag im Berchtesgadener Land. Da habe ich gesagt, bevor ihr hier krampfhaft eure Viehbestände von 50 auf 100 Milchvieh aufstockt – denkt doch mal darüber nach, ein paar Fremdenzimmer einzurichten. Dann verdient ihr vielleicht genauso viel und braucht keine teuren Pachtflächen oder riesige Maschinenparks. Tourismus ist für viele bäuerliche Betriebe, gerade in schwierig zu bewirtschaftenden Regionen, interessant und bei weitem nicht ausgeschöpft. Dies zu unterstützen, sollte auch erklärtes Ziel der Landesentwicklung sein.

BSZ: Idyllische Berglandschaft ist aber kaum möglich ohne das pittoreske Schalenwild. Gibt es sie denn noch, die Gams für das Instagram Foto oder ist der Zukunftswald durch zu viel Wild gefährdet?
Aiwanger: Wald und Wild gehören zusammen und müssen auch wieder zusammen gedacht werden. Wir müssen aufhören, das Eine gegen das Andere auszuspielen. Gesunde artenreiche Wildbestände sind erstrebenswert, aber natürlich ist der Wald kein Zoo, wo man mit dem Bambi ein Selfie knipsen kann.

BSZ: Grün bedeutet bisher häufig Verbote. Ist das die Zukunft von Bayern?
Aiwanger: Ich bin überzeugt, dass wir ohne Selbstbeschneidungsrituale auskommen, wie sie die Grünen es hier häufig vorexerzieren. Deshalb wollen wir auch eine aktiv gestaltende Wirtschaftspolitik. Den Wohlstand erhalten und dabei neue Wirtschafts- und Wertschöpfungsketten aufbauen, aber eben auf erneuerbaren Grundlagen. Das kommt nicht nur dem Klima zugute, sondern auch dem Technologiestandort Bayern.

BSZ: Sehen Sie deshalb die Zuständigkeit der Landesentwicklung beim Wirtschaftsministerium begründet?
Aiwanger: Grundvoraussetzung für ein prosperierendes Bayern ist der richtige Mix aus Tradition und Zukunftstechnologie. Wir müssen das gesamte Land ständig weiterentwickeln, ohne die Schönheit der Landschaft zu opfern. Dieser Spagat kann nur durch eine richtige Landesentwicklung gelingen.
(Interview: Rebecca Koenig)

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