Wirtschaft

Für Michaela Kaniber besteht die größte Herausforderung darin, die Landwirtschaft an die Folgen des Klimawandels anzupassen. (Foto: Pia Regnet)

08.04.2022

"Niemand muss Hamsterkäufe machen"

Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) über Versorgungssicherheit, Flächenstilllegungen, Naturschutz und Holznutzung

Angesichts des Krieges in der Ukraine und der gravierenden Auswirkungen auf Agrarmärkte und Lebensmittelpreise muss man den Umgang mit land- und forstwirtschaftlichen Flächen überdenken. Einfach weiter Flächen stillzulegen, würde die Ernährungssouveränität Europas bedrohen, meint Agrarministerin Michaela Kaniber.

BSZ: Frau Kaniber, müssen wir uns Sorgen um leere Regale im Supermarkt machen?
Michaela Kaniber: Niemand bei uns in Deutschland oder Bayern muss sich um die Versorgung mit Lebensmitteln sorgen. Leere Regale haben in der Pandemie oft damit zu tun, dass die Versorgungsketten gestört sind, weil zum Beispiel Fahrer oder Logistikpersonal ausfallen. Wir haben aber kein Problem in der Nahrungsmittelproduktion. Auch wenn zwischendurch mal ein Produkt aus ist, kommt immer wieder Ware nach. Niemand muss Hamsterkäufe machen.

BSZ: Wie resilient ist unsere Nahrungsmittelproduktion in Bayern und der EU?
Kaniber: Kurzfristig stellen wir mit Blick auf den Ukraine-Krieg und die Pandemie fest: Bayern ist bei der Produktion von Nahrungsmitteln äußerst krisenfest. Mit unserem bayerischen Weg in der Agrarpolitik haben wir schon immer die bäuerlichen Familienbetriebe gestärkt und unterstützt. Gerade sie haben in der Vergangenheit in hohem Maß gezeigt, dass sie Veränderungen gegenüber anpassungsfähiger sind. Wir setzen in Bayern auf regionale Kreisläufe und Versorgung der Bevölkerung vor Ort. Heute mehr denn je! Natürlich wird auch bei uns ein kleiner Teil der Nahrungsmittel exportiert, aber 90 Prozent bleiben innerhalb des EU-Binnenmarkts. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich der Wert des Binnenmarkts, in dem freier Handel und Warenfluss über ein Gebiet mit 450 Millionen Verbrauchern gesichert sind.

BSZ: Also alles im grünen Bereich?
Kaniber: Nein, denn dieser Krieg zeigt uns, dass wir auch in der Landwirtschaft ein Problem mit der hohen Abhängigkeit von russischem Erdgas haben. Die Düngemittelproduktion in Deutschland ist eine echte Schwachstelle. Das liegt daran, dass Erdgas sowohl der Rohstoff für alle Stickstoffdüngemittel ist als auch bei der Herstellung selbst Erdgas benötigt wird. Hier baue ich auf baldige Lösungen. Ich bin dankbar für die vielen regionalen Güllebörsen vor Ort, die wir vor Jahren angeregt haben. Sie werden inzwischen intensiv genutzt. Gülle entwickelt sich immer mehr zu einem gefragten und äußerst wertvollen Dünger. Sie gelangt auch in die viehlosen Ackerbauregionen und kann so Mineraldünger optimal ergänzen. Eine bessere Verteilung bringt Vorteile für alle Beteiligten.

Betriebe brauchen jede nur verfügbare Hilfe

BSZ: Und langfristig?
Kaniber: Die auf längere Sicht wahrscheinlich größte Herausforderung ist es, die Landwirtschaft an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Hier brauchen die Betriebe jede nur verfügbare Hilfe. Das kann Bewässerung sein, dazu gehören aber auch erweiterte Fruchtfolgen, Züchtungsforschung und Erprobung praktischer Fragen auf Trockenstandorten. Ich habe einen Schwerpunkt Trockenlandbau in Schwarzenau eingerichtet, einem der bayernweit trockensten Standorte. Wir werden Beratungshilfen für die Landwirte bereitstellen.

BSZ: Wann kommt Bayern in die Importabhängigkeit bei Nahrungsmitteln, wenn landwirtschaftliche Flächen wie bisher stillgelegt werden?
Kaniber: Bayern kann in wesentlichen Sektoren – außer bei Obst und Gemüse – den Bedarf zu einem Großteil aus eigener Produktion decken. Wir müssen uns über unsere heimische Nahrungsmittelversorgung grundsätzlich keine Sorgen machen. Wir fahren in diesen unsicheren Zeiten aber in vielen Bereichen auf Sicht. Wir sehen die Verwerfungen auf dem Weltmarkt durch die enorme Bedeutung der Ukraine und Russlands beim Weizenanbau. Dieser Weizen wird nicht uns in Europa fehlen, aber den Ärmsten der Armen. Und die Verhältnisse in der Ukraine sind viel dramatischer, als wir das in den Medien lesen können.

BSZ: Das heißt?
Kaniber: Dort verhungert das Vieh und die Frühjahrssaaten müssen unter Lebensgefahr ausgebracht werden, sofern überhaupt Diesel oder Saatgut vorhanden sind. Wenn ein so starkes Land ausfällt, dann gefährdet das die Versorgung in Ländern Afrikas und Asiens. Deshalb ist es richtig, dass wir darüber diskutieren, ob wir hier in Europa gleichzeitig Flächen stilllegen können. Wir haben eine ethische Verpflichtung. Es geht zunächst um 4 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Europa. Langfristig will aber die EU-Kommission in der Farm-to-Fork-Strategie viel größere Flächenanteile aus der Produktion nehmen. Wir brauchen hier dringend eine Neubewertung.

Wir haben eine detaillierten Überblick

BSZ: Wie viele landwirtschaftliche Flächen werden im Freistaat pro Jahr stillgelegt?
Kaniber: Durch die jährliche Antragstellung haben wir einen detaillierten Überblick darüber, was auf den 3,1 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzter Flächen im Freistaat angebaut wird. Gut zwei Millionen Hektar davon sind Ackerfläche. Wenn Ackerflächen nicht genutzt werden, kann das unterschiedliche Gründe haben. 2021 hatten wir knapp 60.000 Hektar nicht bebaute Ackerfläche. Der größte Block sind rund 25.500 Hektar, die über unser Kulturlandschaftsprogramm für fünf Jahre als Blühflächen an Waldrändern oder in der Feldflur zur Verfügung gestellt werden. Diese Flächen dienen indirekt auch der Erzeugung, beispielsweise für Honigbienen. Sie sind in erster Linie aber für den Schutz von wild lebenden Tier- und Pflanzenarten gedacht. Die Flächen können nach Ablauf der fünf Jahre wieder genutzt werden.

BSZ: Und der zweitgrößte Block?
Kaniber: Der zweitgrößte Block mit gut 20.000 Hektar sind als ökologische Vorrangflächen stillgelegt. Es sind diese brachliegenden Flächen, die jetzt im Fokus stehen, wenn es darum geht, sie für die Erzeugung von Lebens- und Futtermitteln freizugeben. Der Umfang dieser Flächen mag mit etwa 1 Prozent der Ackerfläche in Bayern gering erscheinen, aber auf Deutschland gerechnet sind es schon 169.000 Hektar und EU-weit beträgt das Potenzial rund vier Millionen Hektar. Hinzu kommt, dass der Anteil an Brachflächen ab 2023 auf 4 Prozent der Ackerfläche ausgedehnt wird. Damit wird sich die Brachfläche auch in Bayern insgesamt deutlich mehr als verdoppeln. Ich bin deshalb der Meinung, dass wir angesichts der weltweiten Auswirkungen des Krieges in der Ukraine die brachliegenden Ackerflächen für den Anbau von Lebens- und Futtermitteln freigeben sollten. Die EU-Kommission lässt es zu und wir sollten, wie viele EU-Mitgliedstaaten auch, in Deutschland diese Öffnung nutzen. Momentan blockiert das grün geführte Bundeslandwirtschaftsministerium. Aber mit den europäischen Flächen könnten wir Millionen von Menschen ernähren. Das kann man nicht einfach wegwischen.

BSZ: Sie fordern mehr Flächen für die Nahrungsmittelproduktion. Doch Ökostromerzeugung und Wohnraumschaffung benötigen ebenfalls Flächen. Wie soll das angesichts der Flächenkonkurrenz gehen?
Kaniber: Schon die Pandemie, aber jetzt erst recht der furchtbare Krieg in der Ukraine lassen viele Menschen wieder über die Sicherung unserer Ernährung nachdenken. Etwas, das viele in der Vergangenheit völlig ignoriert haben. Wir dürfen hier keinesfalls wie bei der Energieversorgung von Importen abhängig werden. Wir müssen beim Umgang mit land- und forstwirtschaftlichen Flächen umdenken. Die Versorgungssicherheit muss oberste Priorität bekommen. Der Druck auf freie Flächen muss reduziert werden, es muss in allen Bereichen flächensparender geplant werden. Neue Flächen dürfen erst in Anspruch genommen werden, wenn es im Innenbereich keine Möglichkeiten mehr gibt oder auch alle bestehenden Industriebrachen reaktiviert sind. Zudem muss die Möglichkeit für eine interkommunale Zusammenarbeit bei neuen Gewerbeflächen noch viel breiter genutzt werden. Parkplätze sollten ins Untergeschoss, über Gewerbe- oder Verkaufsräume wo immer möglich Wohnungen gebaut werden.

Umdenken ist nötig

BSZ: Wie sieht es beim Naturschutz aus?
Kaniber: Auch beim naturschutzfachlichen Ausgleich ist ein Umdenken nötig. Wir brauchen einen intelligenten Ausgleich, etwa durch Kombination verschiedener Maßnahmen auf der gleichen Fläche und ihre Integration in die Bewirtschaftung. Und bei der Energiewende muss man aufpassen, dass Energieerzeugung nicht auf Kosten der Ernährungssicherheit geht. Wenn wir über Photovoltaik auf landwirtschaftlichen Flächen sprechen, dann sollten es vorrangig Agri-PV-Anlagen sein. Also Systeme, die gleichzeitig Landwirtschaft und Stromerzeugung ermöglichen. Aber zunächst müssen alle Möglichkeiten zur Solarstromerzeugung auf bereits versiegelten Flächen – wie Gebäuden, Straßen und Parkplätzen – ausgeschöpft werden. Bei den nachwachsenden Rohstoffen müssen wir in Zukunft verstärkt die energetische Nutzung von Neben- und Restprodukten sowie Gülle in den Fokus rücken.

BSZ: Wie funktioniert eine gleichzeitige Nutzung der Flächen für die Nahrungsmittelproduktion, den Natur- und den Klimaschutz?
Kaniber: Manche behaupten, dass die Sicherung der Ernährungssouveränität gleichzeitig bedeutet, dass wir beim Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz eine Rolle rückwärts machen müssten. Die Herausforderung ist eben, beide Seiten unter einen Hut zu bringen. Unser Credo lautet auch weiterhin: Ernährungssicherheit sowie Klimaschutz und Biodiversität. Wir in Bayern schieben smarte Lösungen an. Beispielsweise mit unserem Kulturlandschaftsprogramm. Heuer stellen wir über 337 Millionen Euro dafür zur Verfügung, insbesondere für Maßnahmen bei Klima- und Ressourcenschutz sowie Biodiversität. Landwirte werden beispielsweise gefördert, wenn Sie auf den Einsatz bestimmter Pflanzenschutzmittel verzichten oder Altgrasstreifen, Blühstreifen oder Hecken anlegen. Solche Maßnahmen zur Förderung natürlicher Flora und Fauna werden wir ab dem kommenden Jahr noch ausweiten. Das Prinzip ist, dass gleichzeitig auf den Flächen auch noch Nahrungsmittel erzeugt werden. Der Grundsatz lautet: Schützen und Nützen.

BSZ: Wie sieht es beim Holz aus? Dort gibt es schon lange einen Versorgungsengpass.
Kaniber: Also aktuell haben wir keinen Versorgungsengpass. Eine Mangelsituation gab es letztes Jahr wegen der weltweiten starken Nachfrage bei dem von Sägewerken produzierten Schnittholz, also beispielsweise Brettern oder Balken, aber nicht beim sogenannten Rundholz, also ganzen Baumstämmen. Und das Holz im Wald wird uns auch in Zukunft nicht ausgehen, denn in Bayerns Wäldern steht ein Vorrat von einer Milliarde Kubikmetern Holz und jede Sekunde wächst in Bayern ein Kubikmeter Holz nach.

Multifunktionale Waldbewirtschaftung

BSZ: Blick nach vorne: Wie geht es im Wald weiter?
Kaniber: Wir betreiben eine nachhaltige, multifunktionale Waldbewirtschaftung. Dabei werden alle Waldfunktionen gleichermaßen berücksichtigt. Wir produzieren den wertvollen Rohstoff Holz, schützen dabei aber auch wertvolle Biotopbäume und belassen Totholz im Wald. Wir pflanzen klimastabile Zukunftsbäume und leisten damit einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz. Gleichzeitig machen wir damit unsere Wälder fit für den Klimawandel. Und wir bieten den Menschen Raum für Erholung in unseren herrlichen Wäldern. Schützen und Nützen sind also auch hier kein Widerspruch, sie lassen sich wunderbar kombinieren.

BSZ: Müsste man dann nicht auch ein Exportverbot verhängen, damit bayerisches Holz nicht wie bisher in rauen Mengen in Übersee landet, weil dort bessere Preise zu erzielen sind?
Kaniber: Bayerns Waldbesitzer verkaufen ihr Rundholz vor allem an Sägewerke im Freistaat oder in benachbarte Bundesländer. Über die Vermarktung des Schnittholzes, ob global oder regional, entscheiden dann allein die Sägewerke. Man muss aber auch bedenken, dass gerade in den vergangenen Jahren Exporte ein wichtiges Ventil zur Bewältigung von Katastrophensituationen durch Windbruch oder Käfer waren, zumindest in Regionen mit kurzfristig hohem Schadholzanfall. Die deutlich spürbaren Folgen des Klimawandels machen das aller Voraussicht nach auch in Zukunft notwendig. Hinzu kommt, dass viele bayerische Holzverarbeitungsbetriebe traditionell zu einem guten Teil von den Exporten leben. Generelle Exportverbote wären daher der falsche Weg.

BSZ: Was wäre dann sinnvoller?
Kaniber: Viel wichtiger ist es meiner Meinung nach, regionale Märkte als Alternative zur globalen Abhängigkeit zu stärken und auszubauen. Deswegen unterstütze und fördere ich regionale Projekte und Initiativen des Clusters Forst und Holz in Bayern. In einem Pilotprojekt zum Beispiel entwickeln Waldbesitzer und holzverarbeitende Betriebe gemeinsam tragfähige Konzepte für regionale Lieferketten. So sichern wir die Versorgung der heimischen Wirtschaft, werden unabhängiger von den Schwankungen auf den internationalen Märkten, gleichzeitig bekommen Waldbesitzer faire Preise für ihr Holz. Holz aus Bayern hilft Klima, Waldbesitzern und heimischer Holzwirtschaft gleichermaßen. So bleibt Bayern auch künftig Waldland Nummer eins in Deutschland.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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