Wirtschaft

Der stellvertretende CSU-Chef und Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europa-Parlament, Manfred Weber, stelle sich der Diskussion über den Ausgang der Bundestagswahl. (Foto: dpa)

17.11.2017

Plötzliches Medieninteresse

CSU-Vize Manfred Weber diskutiert mit Bürgern in Mauth/Finsterau über den Erfolg der AfD im Bayerwald

„An der böhmischen Grenz‘ hat’s an Fuhrmann verwaht“ heißt es in einem bekannten Volkslied, „grad recht is eam gschehn, warum fahrt er so staad.“ Prompt beginnt es in der Grenzgemeinde Mauth-Finsterau im Landkreis Freyung-Grafenau an dem Sonntagvormittag zu schneien, an dem CSU-Vize Manfred Weber zu einem Politischen Frühschoppen eingeladen hat. Der frühere CSU-Bezirksvorsitzende von Niederbayern ist ein erfahrener Fuhrmann, bevorzugt aber im Gegensatz zu lautstarken Postenjägern seiner Partei mehr die „staade Art“ sachlicher Diskussion mit kritischen Bürgern.   Aber was musste passieren, dass sich Reporter überregionaler Medien wie etwa des „Spiegel“ bis an die Grenze zum Böhmerwald verirren? Sogar das BR-Fern-sehen hat den Weg in das ihm sonst unbekannte bayerische Grenzland gefunden. Der CSU-Ortsvorsitzende von Mauth, Michael Bumberger, nennt bei der Begrüßung im frisch renovierten vollbesetzten Gasthaus Fuchs den Grund dafür, indem er an den ersten „Medien-Hype“ nach der Bundestagswahl erinnert: „Nach dem Wahlergebnis von über 28 Prozent für die AfD wollten plötzlich alle Medien wissen: Wie konnte es zu diesem Wahlausgang hier kommen?“

Ursachen der Protestwahl analysiert

Der stellvertretende CSU-Chef und Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europa-Parlament stelle sich „der Diskussion über den Ausgang der Bundestagswahl“, hieß es in der Einladung und: „als Mitglied der Sondierungsrunde kann er zudem über den aktuellen Stand der Gespräche in Berlin berichten.“ Rund zwei Stunden wurde heftig über vielerlei bundes- und europapolitische Ursachen der Protestwahl in Mauth diskutiert, darunter aber im Kern: „Warum ist für unsere Bevölkerung nie Geld da, aber für eine Million Zuwanderer spielen plötzlich 30 oder 50 Milliarden keine Rolle?“ Es waren nur zum Teil kritische Fragen zur Flüchtlingspolitik, vielmehr andere sozial- und strukturpolitische Themen, wegen denen sich Bürger der Region, darunter viele CSU-Anhänger, so abgehängt fühlen, dass sie aus Protest AfD gewählt haben. Nur aus reinem Protest, nicht aus Überzeugung, betonen viele. Aber Weber hatte bereits einleitend jeden Verdacht ausgeräumt, es handle sich in Mauth um eine Hochburg von Rechtsradikalen. Freilich sagt niemand, dass er selbst AfD gewählt hat oder Programm und Kandidaten der AfD kennt, sondern nur jemanden, der irgendeinen kennt, der AfD gewählt hat. Mit dem Ergebnis, stellt Weber lakonisch fest, dass sie damit die CSU in Berlin geschwächt haben und ausgerechnet den Grünen in die Bundesregierung verhelfen.

Weites Feld der Ungerechtigkeiten

Der angestaute Protest, der sich da entladen hat, umfasst in der Diskussion ein weites Feld von Ungerechtigkeiten bei Steuern, Renten und Beamten-Pensionen über schikanöse EU-Regle-mentierung kleiner Landmetzgereien bis zu üppiger Politiker-Versorgung und mangelnder Strafverfolgung bei Sozialbetrug von Migranten, ferner von deren schleppender Abschiebung bis zu all den Milliarden für die Türkei oder Afrika. Unabhängig von der Erklärung des Wahlverhaltens drängte sich aber die Frage auf, warum der CSU-Kreisverband diesen hohen Diskussionsbedarf der Bürger nicht vor der Wahl erkannt und befriedigt hat. Der in Mauth lebende Schauspieler Werner Asam reklamierte denn auch fehlende Informationen für die Bürger. Das ist aber ohne so einen prominenten Politiker  wie Manfred Weber für die regionale Mandatare der CSU nicht leicht, weil wegen denen die Leute nicht kommen. Hier saßen sie aufgereiht wie auf der Strafbank um Webers Tisch und hörten still zu. Außer dem Stimmkreis-Abgeordneten Helmut Brunner ist ja niemand aus der Bundes- und Staatsregierung bereit, mit Bürgern über Probleme der ländlichen Räume an der Grenze zu reden, außer um Selbstlob abzusondern. Jeder im Saal merkte, dass einigen abgehobenen Mandataren der CSU jetzt „das Grundeis geht“, weil die Landtags- und Bezirkstags-Wahlen ähnlich mies ausfallen könnten. Weber nannte das Wahlergebnis einen „Weckruf an die CSU, den sie verstanden hat“.

Keiner will Schuld an Neuwahlen sein

Auffallend war, dass erst recht spät jemand  fragte, wie Weber die Jamaika-Verhandlungen einschätzt. Dem erfahrenen Horst Seehofer bescheinigt er kluge Führung der Verhandlungen. Und optimistisch ist er, weil keine Partei schuld an Neuwahlen sein will. Auch der aktuell von Intriganten aus eigenen Karriere-Interessen inszenierte Machtkampf an der CSU-Spitze interessiert offenbar an der Parteibasis hier nicht wirklich. Das gilt eher als Bestätigung des Unbehagens an der großen Politik. Etliche extra angereiste Diskussionsredner verlesen dann wahre Ko-Referate bis die ersten Rufe „Aufhören!“ erschallen. Dafür kamen nach Ende der Diskussion mehrere Mitglieder der CSU und der Frauenunion aus Mauth zu Manfred Weber an den Tisch und erklärten, die wahren Probleme der Wähler wegen der Flüchtlinge vor Ort seien vor lauter allgemeinem Unbehagen mit der Politik gar nicht zur Sprache gekommen: nämlich der großzügige Umgang mit Geld, das immer für die Einheimischen fehlt und die große Nachsicht für Straftaten von Flüchtlingen wie etwa Diebstähle, die jedoch bei Einheimischen streng geahndet werden. Und dass halt nichts vorangeht. 

22 bis 28 Prozent für die AfD       

Viele auch von bayerischen Medien kaum beachtete Orte entlang der tschechischen Grenze hatten extrem hohe Protest-Wählerstimmen mit 22 bis 28 Prozent für die AfD. Die Gemeinde Mauth/Finsterau ist nur eines von vielen Beispielen, deren Lage und Geschichte man kennen sollte, um die Proteststimmung zu verstehen. Im Jahre 1689 wurde die fürstbischöfliche Mautstelle am Salzhandelsweg „Goldener Steig“ von Kreuzberg bei Freyung nach Mauth verlegt und in den Grenzwäldern mit Rodungen zur Holznutzung begonnen. Entlang dieses Handelsweges von Passau zu den böhmischen Orten Winterberg, Bergreichenstein und Prachatitz sind so auf 700 bis 1100 Metern Höhe viele Siedlungen entstanden; deren letzte direkt an der Grenze und am Fuße des am Lusen ist Finsterau. Die verstreuten Wald-Dörfer sind heute Ortsteile der Urlaubs- und Wintersportgemeinde am ruhigen Ostrand des Nationalparks mit rund 2300 Einwohnern. Die meisten von denen waren früher fleißige Holzhauer mit vorwiegend von den Frauen betriebener kleiner Nebenerwerbs-Landwirtschaft – und als Folge mit heute sehr geringen Renten; die viel gerühmte niedrige Arbeitslosenzahl kommt nur daher, dass die fleißigen Leute als Pendler meist weite Strecken zur Arbeit in Kauf nehmen. Wie Mauth-Finsterau und eine Reihe von Gemeinden aus dem Landkreis Regen könnten auch Haidmühle am Dreisesselberg (27 Prozent AfD) als Beispiel dienen für den wirtschaftlichen Aufstieg und Niedergang in der armen Grenzregion am Böhmerwald.

Nach 27 Jahren Grenzöffnung kaum profitiert

An beiden Orten im gleichen Landkreis gibt es je einen Grenzübergang nach Tschechien, die beide nur für Fußgänger geöffnet sind. Von der bejubelten Grenzöffnung vor 27 Jahren haben beide Orte kaum profitiert. Weder in München noch in Berlin oder Prag interessiert sich irgendein Ministerium für einen touristischen Grenzverkehr mit PKW oder Caravan hier, auch nicht für die Wiederbelebung der Eisenbahn-Strecke Passau-Budweis über Freyung und Haidmühle. Nachhinkende wirtschaftliche Entwicklung lässt sich eben nur beiderseits der Grenze zugleich beheben. Wenn aber vor Ort nichts ankommt, kann man den Menschen lange erzählen, wie gut es Bayern geht und wie Niederbayern sich so glänzend entwickelt hat. Die Menschen im Grenzgebiet erleben, dass der Staat hier für nichts Geld hat, weder für den öffentlichen Nahverkehr oder Steuernachlass für Pendler, weder für grenzüberschreitende Verkehrs-Infrastruktur noch höhere Grundrenten; Schulen und Hallenbäder müssen reihum geschlossen werden. Aber dann sehen sie von der Apotheke über den Zahnarzt bis zum Textilgeschäft und Supermarkt: für die unkontrolliert ins Land geströmten Migranten spielt plötzlich Geld keine Rolle mehr.

Gratis mit dem Taxi in die Kreisstadt

Die Flüchtlingsfrau fährt mit Familie im Taxi gratis von Mauth in die Kreisstadt zum Arzt, die Bayerwald-Oma wartet bis sie zweimal am Tag einen Bus dorthin hat. Die Einheimischen nehmen im Alltag Sozialbetrug von Flüchtlingen und deren Vorzugsbehandlung auf Staatkosten wahr und niemand erklärt ihnen das System dabei oder was falsch läuft, weil viele Medien lieber „Ausländerfeinde“ entlarven als ehrlich zu informieren. Nur weil sie ihre Wut bei der AfD abgeladen hatten, werden die Grenzbewohner von erschrockenen Medien jetzt kurz wahrgenommen. Jeder im Saal wusste, dass einigen abgehobenen Mandataren der CSU „das Grundeis geht“, weil die Landtags- und Bezirkstags-Wahl wieder ähnlich ausfallen könnte. Manfred Weber, den viele in Altbayern sich als nächsten CSU-Chef vorstellen können, nimmt die Leute und ihre Kritik ernst, redet ihnen aber nicht nach dem Mund. Temperamentvoll und kompetent antwortet er auf alle kontroversen Themen und zeigt das Dilemma der CSU bei der Bundestagswahl auf: „Die einen haben von uns gefordert: Schluss mit der illegalen Zuwanderung! Die anderen: Schluss mit der Kritik an Frau Merkel! Eine christliche Partei muss doch Flüchtlingen helfen!“

Menschen in Not helfen

Weber erklärt die Position der CSU: „Erstens mussten wir Menschen in Not helfen. Und die weltweit positiven Bilder von hilfsbereiten Deutschen sind ja nicht in Köln entstanden, sondern in Bayern. Zweitens mussten wir den Kontrollverlust des Staates beenden und weiter verhindern. Darum hat die CSU wegen der Grenzkontrollen den ungarischen Ministerpräsidenten Orban nach Banz eingeladen. Die Kritik an der CSU bezog sich auch nicht auf Hilfsbereitschaft oder Recht und Ordnung, sondern auf die Glaubwürdigkeit unserer Durchsetzungskraft in Berlin. Hinzu kommt die soziale Frage: Unserem Land geht es gut, aber nicht jedem Bürger.“ Weber fordert auch von den CSU-Mandataren, deutlicher zu machen, dass in Berlin die CSU nicht allein regiert und sich vermeintlich einfachen Lösungen der AfD entgegen zu stellen, „weil es die nicht gibt.“ Dazu gehört auch deren unsachlichen Kritik an der EU: „Der noch mangelhafte Schutz der EU-Außengrenzen ist zum großen Teil dem Pochen auf nationale Souveränität geschuldet. Wer die Steuerflucht der Reichen verhindern will, muss das Steuerrecht europäisieren! Europa hat zwar bei der Bekämpfung der Kriminalität für bessere Regeln und Datennetze gesorgt, aber keine Kompetenzen in der Exekutive, die das umsetzen müsste.“ Auch auf die wachsende Rolle der Ausländer kommt Weber zu sprechen. Er verweist auf schwarze Pfarrer aus Indien, Pflegekräfte aus Polen, Bauarbeiter aus Jugoslawien und tschechische Köche auch in vielen Dörfern Niederbayerns. Und er verteidigt die Milliarden für Entwicklungshilfe: „Wir werden in Europa nicht auf Dauer in Frieden und Wohlstand leben können, wenn wir dem bevölkerungsreichen Kontinent Afrika nicht bei seiner Entwicklung helfen.“ Seine CSU, sagt ihr stellvertretender Vorsitzender Weber („Manfred, der Kelheimer“) abschließend, sei ja keine gewöhnliche Partei, sondern mehr eine „Bewegung für bayerische Interessen".
(Hannes Burger)

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